# taz.de -- Krautrock und Klapperraketen | |
> Deutsche Raketen über Afrika: In der Doku „Fly, Rocket, Fly“ erzählt | |
> Oliver Schwehm die wahre Geschichte eines deutschen | |
> Raumfahrtunternehmens, das in Zaire mit Hilfe von Diktator Mobutu billige | |
> Raketen startete | |
Bild: Raketenbauer, Geschäftsmann ohne Skrupel und Partylöwe mit elitärer Au… | |
Von Wilfried Hippen | |
Es war einmal eine deutsche Firma, die in den 1970er-Jahren eine | |
alternative Raketentechnik entwickelte. Im afrikanischen Dschungel von | |
Zaire baute sie einen Startplatz, ließ von dort aus Raketen erfolgreich ins | |
Weltall fliegen. Die Geschichte ist wahr, aber so gut wie vergessen. Der | |
Dokumentarfilmer Oliver Schwehm fand sie ganz zufällig – weil er seine | |
Tochter Ariane nennen wollte und davon ausgehend ein wenig ins Blaue | |
recherchierte. Dabei ist ihm ein so abenteuerlicher, fantastischer Stoff in | |
die Hände gefallen, dass man vieles kaum glauben mag. Aber die Geschichte | |
ist gut belegt, mit zahlreichen Zeitzeugen konnte Schwehm Gespräche führen. | |
Weil sie ihre Geschichte selbst erzählen, kommt der Film ganz ohne eigenen | |
Erzählkommentar aus. | |
Mit dem schwäbischen Raketenbauer Lutz Kayser gibt es ja auch einen | |
faszinierenden Helden. Kurz vor dessen Tod ein paar Monate nach den | |
Dreharbeiten besuchte Schwehm ihn einer der entlegenen Marschall-Inseln in | |
Ozeanien, wo er alleine mit seiner Ehefrau wie eine Art Rentner-Robinson | |
wohnte. Kayser war der Kopf hinter der Firma Otrag (Orbital Transport und | |
Raketen Aktiengesellschaft) – ein weltraumbegeisterter Fabikantensohn aus | |
Stuttgart, der als Neunjähriger einen Fanbrief an den Raketeningenieur | |
Wernher von Braun schrieb, in dem er ihn fragte, ob es für ihn besser wäre, | |
Raketen zu fliegen oder zu bauen. | |
Von einem deutschen Astronauten konnte damals noch niemand träumen (der | |
Nasa-Astronaut Ulrich Walter kommt im Film auch zu Wort), also begann | |
Kayser mit ein paar Freunden an einer eigenen Rakete zu basteln. Der reiche | |
Vater gab ihm das Geld für einen Raketenprüfstand. Vor allem aber kam | |
Kayser auf die Idee, eine billige Rakete zu entwickeln, die es auch für | |
kleinere Staaten und Unternehmen möglich machen sollte, Satelliten in eine | |
Umlaufbahn zu schicken. Statt alle Teile neu zu entwickeln, griff er auf | |
bereits gebaute Elemente wie Stahlrohre aus dem Pipelinebau und einen | |
VW-Scheibenwischermotor zurück. Er erntete dafür viel Spott, bekam aber | |
einen Forschungsauftrag von der Bundesrepublik Deutschland. | |
Mit dieser staatlichen Unterstützung war es dann aber vorbei, als zehn | |
europäische Staaten 1974 die ESA gründeten und deren Konkurrenz möglichst | |
beseitigen wollten. Kayser, ein charismatischer Lebemann, von dem seine | |
Ehefrau sagt, er habe „einen Hauch von Arroganz“, ließ ich dadurch aber | |
nicht entmutigen. Schwehm gründete die Otrag und bewies, dass er als | |
Verkäufer mindestens so erfolgreich wie als Raketenbauer war. Er überzeugte | |
1.600 Kleinaktionäre, viele davon schwäbische Mittelständler, 173 Millionen | |
DM in seine Firma zu investieren, mit denen er sich auf die Suche nach | |
einem Startplatz für die Rakete machen konnte. | |
Den idealen Ort dafür – nah am Äquator, um den Schwung der Erdrotation gut | |
nutzen zu können – fand er im afrikanischen Zaire. Diktator Mobutu Sese | |
Seko liebte internationale Prestigeprojekte wie den Boxkampf zwischen | |
Muhammad Ali und George Foreman. Er stellte Kayser ein Gebiet von der Größe | |
der ehemaligen DDR zur Verfügung. Dort baute Kayser auf einem abgelegenen | |
Hochplateau einen eigenen Weltraumbahnhof. Und seine Rakete funktionierte, | |
wie er mit einigen Testflügen eindrucksvoll belegte. | |
Nicht so gut berechnet hatte er die politischen Aspekte seines Projekts. | |
Deutsche Raketen über Afrika wirkten im kalten Krieg in den Augen vieler | |
bedrohlich und weder die Amerikaner noch die Russen hatten ein Interesse | |
daran, dass jeder, der dafür zahlte, mit Billigraketen etwas ins All | |
schießen könnte. Der politische Druck auf Mobutu nahm zu, 1979 verbot | |
dieser weitere Raketentests. Die Tage der Otrag waren gezählt. | |
Trotz der vielen Zeitzeugen stellt sich bei „Fly, Rocket, Fly“ nicht das | |
Gefühl ein, vorwiegend sprechende Köpfe zu sehen, denn Schwehm konnte viel | |
Archivmaterial nutzen, weil die Otrag ihre Arbeit immer gut dokumentierte, | |
um die Aktionäre mit möglichst attraktiven Bildern bei Laune zu halten. Im | |
ersten Drittel wird zwar noch viel von den technischen Besonderheiten der | |
schwäbischen Rakete und Kaysers Geschäftstrategien erzählt, aber sobald der | |
Film zum Schauplatz Zaire wechselt, verzweigt sich die Erzählung in | |
überraschend viele Richtungen. Auf dem Hochplateau arbeiteten Männer aus | |
verschiedenen Milieus, für die dieses Abenteuer eine prägende Erfahrung | |
war, sodass sie alle noch sehr präsent und detailliert von dieser Zeit | |
erzählen können. | |
Da erzählt ein Ingenieur von den Schwierigkeiten, eine Straße durch den | |
Dschungel zu bauen, und danach ein deutscher Metzger davon, woher er im | |
Dschungel das Fleisch für seine Bratwürste bekam. Ein Fremdenlegionär, der | |
angeheuert wurde, nachdem Rebellen damit gedroht hatten, das deutsche Lager | |
anzugreifen, zieht sein Hemd aus, zeigt stolz seine Tätowierungen und | |
erzählt davon, dass er lieber mit dem Messer als mit dem Gewehr tötet. | |
Aber der eindrucksvollste Protagonist ist Lutz Kayser selbst. Der Nachname | |
ist passend, denn der alte Mann hat immer noch eine elitäre, fast | |
aristokratische Ausstrahlung und man kann sich gut vorstellen, mit welcher | |
Grandezza er früher zugleich ein erfolgreicher Raketenbauer, Geschäftsmann | |
und Partylöwe war. | |
Einen schönen ästhetischen Mehrwert erreicht Schwehm, weil die Filmmusik | |
klingt wie elektronischer Krautrock aus den 1970er-Jahren. Zum Teil sind es | |
tatsächlich obskure Originalaufnahmen aus der Zeit, zum Teil wurden sie von | |
dem Filmkomponisten und Produzenten Heiko Maile neu eingespielt.Dieser | |
futuristische Retrosound passt ideal zu den immer ein wenig klapprig | |
wirkenden deutschen Raketen. | |
28 Sep 2018 | |
## AUTOREN | |
Wilfried Hippen | |
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