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# taz.de -- Ein Dämon aus der Zukunft
> Preis der Nationalgalerie: Im Hamburger Bahnhof zieht Agnieszka Polska
> eine Linie vom Bergbau bis zum Data-Mining – und fragt, ob sich das
> kapitalistische System doch noch überwinden lässt
Bild: Filmstill aus der 2018er Mehrkanal-Videoinstallation „The Demon’s Bra…
Von Sabine Weier
„Wir möchten Eure Exzellenz darauf aufmerksam machen, dass die Bergleute
und alle Arbeiter, die erwarteten, ihre Löhne vor den Feiertagen zu
erhalten, uns nun mit tränenreichen Beschwerden überhäufen, dass wir sie
nicht bezahlt haben“, heißt es in einem historischen Brief an den
polnischen Salzminenbesitzer Mikołaj Serafin. Es ist 1450, Salz ist ein
rares Gut. Und Serafins Mine ein seltenes Beispiel früher kapitalistischer
Organisation: Er betreibt Lobbyarbeit und beschäftigt bezahlte
ArbeiterInnen, die allerdings bald den Aufstand proben.
In Agnieszka Polskas „The Demon’s Brain“ reitet der fiktive Bote dieser
Briefe durch eine postapokalyptische Landschaft voller sterbender Bäume.
Als er sein Pferd verliert, erscheint ihm ein Dämon aus jener fernen
Zukunft, die unter dem Damoklesschwert der Klimakatastrophe den digitalen
Kapitalismus übt. Das animierte Fabelwesen, mal Pferdekopf mit niedlichen
Riesenaugen, mal zweiköpfiger Rabe, mal nur das Paar Augen mit Mund, gibt
sich als eines jener Programme zu erkennen, die im Hintergrund ablaufen und
nur indirekt mit UserInnen interagieren. Nun hat es offenbar eine eigene
Intelligenz erlangt.
Das Kindchenschema kennen wir schon aus dem Animationsfilm „What the Sun
Has Seen“, in dem eine Sonne eine Neuinterpretation eines Gedichts von
Maria Konopnicka spricht und Zusammenhänge zwischen Datenmüll und
Klimawandel verhandelt. Vergangenes Jahr gewann die 1985 im polnischen
Lublin geborene und in Berlin lebende Künstlerin damit den Preis der
Nationalgalerie. Jetzt zeigt sie auf vier Screens in der historischen Halle
des Hamburger Bahnhofs ihre neue, bisher umfangreichste Arbeit. Die
Ausstellung ist quasi das Preisgeld.
Dass für die Ausstellung und die repräsentativen Veranstaltungen mit den
vier nominierten KünstlerInnen – Agnieszka Polska, Sol Calero, Iman Issa
und Jumana Manna – kein Honorar vorgesehen war, kritisierten diese in einem
offenen Brief. Außerdem seien Gender und Nationalitäten in
Pressemitteilungen und öffentlichen Reden immer wieder betont worden, so
die Unterzeichnerinnen weiter, was zeige, wie weit die Kunstwelt von einer
egalitären Gesellschaft entfernt sei und wie sich Diversität als PR-Tool
eigne. Dass Polska nun nicht etwa in einer Geste des Protests von ihrer
Ausstellung Abstand nahm, sondern mit einer klugen Arbeit in der ihr
eigenen Rhetorik zwischen poetischer Figuration und wissenschaftlicher
Recherche nach den Ursachen solcher Probleme forscht, war eine gute
Entscheidung.
Mit der Ästhetik des monumentalen Historienfilms und hypermoderner
Animation operierend, analysiert Polska die Geschichte des patriarchalen
Kapitalismus vom Bergbau bis zum Data-Mining. Das tut sie nicht alleine.
Sie hat dafür eine Reihe von TheoretikerInnen eingeladen, deren Beiträge im
Dezember in einer Publikation veröffentlicht werden und in kurzen Auszügen
schon in der Ausstellung zusammen mit einigen Zitaten aus den Briefen an
besagten Serafin zu lesen sind.
Die Medientheoretikerin Tiziana Terranova etwa (welche die bekannte These
popularisierte, dass UserInnen ohne Entlohnung für die digitale Wirtschaft
arbeiten) zeichnet nach, wie sich der Kapitalismus nach der Extraktion von
Bodenschätzen (wie Salz) mit der von Daten eine neue Grundlage geschaffen
hat und aus der Gesellschaft ganz auf Basis freiwilliger Übergabe Schätze
hebt.
Der Soziologe Jan Sowa zeichnet eine Geschichte des Risses durch Ost- und
Westeuropa zurück bis in die Zeit nach, in der Serafin seine Salzminen
führte, und fragt angesichts der Tatsache, dass Salz heute nicht mehr
selten, sondern im Überfluss verfügbar sei, nach der Möglichkeit einer
Post-Mangelgesellschaft. Der Mangel aber sei notwendig für das
Funktionieren eines kapitalistischen Systems, folgert er – selbst die
Verknappung endlos verfügbarer technisch produzierter Ware werde in Form
repressiver Copyright-Politiken oder Zugangsbeschränkungen notwendig
betrieben.
Auch die neoliberale Variante des Systems Kunst befeuert ein Mangel – an
Förderung, Budget, Sichtbarkeit. KunstarbeiterInnen werden selten entlohnt
und sind von Preisvergaben abhängig. Droht dem Kapitalismus erst durch die
Klimakatastrophe der Kollaps? Oder, wie Sowa hofft, zeigt die Geschichte
des Salzes, dass wir den Mangel überwinden können? Ist es noch möglich, Big
Data für andere Ziele als die der DatenkapitalistInnen zu vereinnahmen, wie
Terranova fragt? Jener programmierte Dämon jedenfalls fordert den
wimmernden Boten zur Selbstermächtigung auf. Er könne alles ändern. Noch
sei es nicht zu spät.
Hamburger Bahnhof, bis 3. März
1 Oct 2018
## AUTOREN
Sabine Weier
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