Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Moderner Typus
> Erst vertrieben, nach 1945 wegen Realismus vergessen: Das Frankfurter
> Städelmuseum lässt Lotte Laserstein mit einer umfassenden
> Einzelausstellung Gerechtigkeit widerfahren
Bild: Die Malerin und ihr Modell. „In meinem Atelier“ ist 1928 entstanden
Von Katharina J. Cichosch
Erinnern die scheinbar beiläufig mit Öl auf Packpapier gemalten Frauen, das
„Liegende Mädchen auf Blau“ von 1931 oder ein Porträt von „Traute im gr…
Pullover“ aus demselben Jahr, nicht auffällig an die Heroinen der frühen
Indie-Pop-Jahre, die viele Jahrzehnte später eine Art feminine Androgynität
heraufbeschworen?
Das Wiederentdecken immer wieder vertraut scheinender Gesichter, zeitlos im
besten Sinne, zieht sich von Bild zu Bild. Lotte Lasersteins Porträts
machen zunächst keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern, jedem widmet
sie sich mit derselben Aufrichtigkeit und Virtuosität. Gerade deshalb kann
man hier, in der „Von Angesicht zu Angesicht“ genannten Retrospektive,
heute Frauen entdecken, die zwar ihrer Zeit entspringen – der Blüte, in der
kurz vieles möglich schien und teils wohl auch war –, im selben Moment aber
auch wenig mit dem gemein haben, was eben sonst an Frauenbildern aus dieser
Epoche zum Klischee geronnen ist: die glamourös schillernden Ladys der
Goldenen Zwanziger, deren Auftritt mit Charleston-Stirnband,
Zigarettenspitze und Wasserwelle heute auf keiner Kostümparty fehlen darf,
oder am anderen Ende der Skala die grell-morbiden Karikaturen von
Prostituierten und Amüsierdamen, die ein Otto Dix auf die Leinwand brachte.
Moderner Typus, kurze Haare, Hemd und Hose: Ja, ja, alles richtig, aber
allein betrachtet eben auch nur eine Reihung von Attributen. In Lasersteins
Arbeiten werden all die ins Abbild realer Individuen eingewoben.
Gelegenheiten, mehr als eine Handvoll Bilder von Lotte Laserstein
(1898-1993) zu Gesicht zu bekommen, waren bisher rar: 1987 widmete ihr die
Londoner Galerie Agnews die erste Einzelschau, zu der die damals beinahe
90-jährige Malerin selbst anreiste. Erst 2003 folgte die erste deutsche
Retrospektive in Berlin, nun präsentiert das Frankfurter Städelmuseum rund
40 Arbeiten. Viele stammen aus Privatbesitz, einige aus der hauseigenen
Sammlung, die in den letzten Jahren um die Arbeiten „Russisches Mädchen mit
Puderdose“ und „Junge mit Kasper-Puppe“ ergänzt wurde.
Neben Lasersteins technischer Virtuosität, der Fähigkeit, mit sehr dünnem
Farbauftrag hinreißende Porträts und Studien zu schaffen, sind weitere
Entdeckungen zu machen: das Licht, welches sich überall Wege bricht in
wenig heitere Farbwelten; Toskana-Sonnenschein aus der Studio-Retorte. Oder
der Hintergrund: Oft genug erscheint er wie ein Bluescreen, vor dem die
Abgebildeten stehen, posieren oder einfach nur blicken. Auch beim „Abend
über Potsdam“, unheilvolle Version eines modernen Abendmahls, heute im
Besitz der Nationalgalerie, malte Laserstein die verzagten Gesichter ihrer
Protagonisten nachträglich ins Stadtpanorama hinein. Manchmal gerät der
Hintergrund zum Zitat, oder umgekehrt: Ein Standbild der
„Dreigroschenoper“-Verfilmung von G. W. Pabst wird zur Kulisse fürs
Selbstporträt: „Mackie Messer und ich“.
Biografisch werden hier wie in anderen Laserstein-Ausstellungen nicht sehr
viel mehr als Eckdaten vermittelt. Ob ihre Muse und Freundin Traute Rose,
die Laserstein immer wieder und auch als Akt malte, ihre Geliebte war,
bleibt offen wie die Frage, wie es ihr später genau ergangen ist. Lotte
Laserstein wird 1898 in Ostpreußen geboren, in eine bürgerliche Familie;
ihr Vater ist jüdisch, sie selbst wird von den Nazis später als
„Dreivierteljüdin“ bezeichnet. Bei einer Tante nimmt sie ersten
Malunterricht, später meldet sie sich als eine der ersten Frauen an der
Kunstakademie an, wo sie bei Erich Wolfsfeld studiert. Ausstellungen,
Malwettbewerbe und Veröffentlichungen in Mode-Zeitschriften ebnen den
Beginn ihrer künstlerischen Laufbahn, die durch den Nationalsozialismus ein
jähes Ende findet.
1937 folgt die Flucht ins schwedische Exil: Ermöglicht werden sollte
Laserstein, die eigenen Aussagen nach niemals heiraten wollte, die neue
Sicherheit und Staatsbürgerschaft durch eine Heirat. Künstlerisch und
privat musste sie von vorn anfangen, ihr großes Können verschaffte ihr bald
Auftragsarbeiten für die schwedische Oberschicht, die, so heißt es hier,
künstlerisch allerdings nicht mit ihren früheren Arbeiten mithalten. Ob
diese Einschätzung trägt, kann man künftig in Berlin überprüfen: Dorthin
zieht die Ausstellung später, ergänzt um Arbeiten aus dem schwedischen
Exil.
John Crichton‑Stuart, Direktor der Londoner Galerie, in der die
Wiederentdeckung von Lotte Laserstein ihren Anfang nahm, sprach einmal von
den vielen Künstlerinnen, die in dieser Zeit marginalisiert und erst sehr
spät wiederentdeckt wurden. Lasersteins Arbeit und Person seien dabei von
den Umwälzungen zwischen den Weltkriegen ebenso geprägt wie auch „nahezu
zerstört“ worden.
Spitz formulieren die KuratorInnen der aktuellen Schau diesen Umstand: Die
Malerin teile das Schicksal etlicher ihrer Generation, deren künstlerische
Laufbahn durch den Nationalsozialismus massiv beschnitten wurde und die
später, doppelter Zynismus, aufgrund ihres realistischen Stils, in der
„avantgardeorientierten Nachkriegsforschung“ praktisch nicht vorkamen.
Den Schluss der Ausstellung bildet diese nicht zu Ende erzählte Pointe, ob
trotzig oder traurig, zur eigenen Deutung: 1950 porträtiert sich die
Malerin wieder selbst, hinter ihr verschwommen der „Abend über Potsdam“.
Ein stolzes oder zumindest süffisantes Deuten auf jenes damals bereits
Jahrzehnte alte Meisterwerk, dessen Potenzial die Kunstgeschichte wieder
erst knapp ein halbes Jahrhundert später entdecken sollte.
Bis 17. März 2019. Zur Ausstellung ist im Prestel Verlag ein Katalog
erschienen.
28 Sep 2018
## AUTOREN
Katharina J. Cichosch
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.