# taz.de -- „Welten verbinden“ | |
> Das Sommerfestival auf Kampnagel will Lust an der Überschreitung | |
> verströmen. Warum sich Spektakel und Avantgarde nicht ausschließen | |
> müssen, erklärt Leiter András Siebold | |
Bild: Dada-Spektakel für Kinder und Erwachsene : Miet Warlops „Big Bears Cry… | |
Interview Robert Matthies | |
taz: Herr Siebold, Sie schreiben im Programm, das Sommerfestival wolle | |
„transgressive Lust verströmen“. Was heißt das? | |
András Siebold: Es ist die Lust, Trennungen zu überwinden, Welten, Sprachen | |
und Kulturen in Kontakt zu bringen oder zu etwas Neuem zu arrangieren. Das | |
Neue oder die Avantgarde ist ja immer durch eine Rekombination des | |
Vorhandenen entstanden. Zugleich geht es um ein waches Bewusstsein für die | |
gegenwärtige Welt, für die Dinge, die es heute gibt. Und darum, die | |
Trennung von Hoch- und Subkultur wirklich aufzulösen und nicht mehr zu | |
sagen: Dort ist die Avantgarde-Ecke, das ist ein bisschen avancierter, und | |
dann machen wir noch Pop und Zirkus für die anderen und etwas für Kinder. | |
Aber Zirkus gibt es. | |
Nicht im herkömmlichen Sinn. Zirkus gilt ja immer eher als leichte Kunst, | |
als Volkskunst schlechthin. Wir haben Elizabeth Streb eingeladen, die sich | |
mit Akrobatik und Zirkus beschäftigt und eine Form entwickelt hat, die sie | |
„Extreme Action Dance“ nennt. | |
Das klingt nach Spektakel. | |
Es hat den Spektakeleffekt vom Zirkus, ist aber zugleich etwas für Leute, | |
die sich im Zirkus langweilen. Es ist im Prinzip eine Mischung aus | |
Stunt-Show und Akrobatik, aber mit dem formalem Bewusstsein des Postmodern | |
Dance. Da geht es darum, die Grenzen des Körpers auszuloten oder zu zeigen, | |
dass der Mensch auch körperliche Limitationen überwinden kann. | |
Dann ist Miet Warlops quietschbuntes Farb- und Formspektakel auch kein | |
Kindertheater? | |
Das ist eigentlich Anti-Kindertheater, auch wenn sie es diesmal sogar | |
ausdrücklich für Menschen ab sechs entwickelt hat. Aber das können sich | |
Erwachsene genauso gut angucken: ein Dada-Spektakel mit explodierendem | |
Riesenteddybär und Tausenden Tennisbällen, die von der Decke fallen und die | |
Bühne überfluten. Miet Warlop schafft es wirklich, bildende Kunst und | |
Theater zusammenzubringen. | |
Grenzüberschreitung und Vermischung also auf allen Ebenen? | |
Es ist eine der Grundideen des Festivals, schon in den Produktionen selbst | |
die Übergänge von Stilen und Genres zu zeigen. Wir versuchen, ein Ganzes zu | |
schaffen, was inhaltlich konsistent ist und eine Struktur hat, die von | |
außen erkennbar ist. Wir wollen das Interdisziplinäre wirklich ernst nehmen | |
und gucken: Wo sind denn die Übergänge? | |
Wie entdecken Sie diese Übergänge? | |
Wenn wir anfangen, finden wir oft schon viele Verbindungen, die aus den | |
Künsten selbst kommen. Viele Projekte entstehen durch einen intensiven | |
Austausch. Als wir zum Beispiel mit dem Theaterregisseur Thom Luz über sein | |
neues Stück mit sehr viel Bühnennebel gesprochen haben, hat er am Rande von | |
einer Idee für ein Konzert mit Nebel-Installation in einer Kirche erzählt. | |
Und jetzt produzieren wir eben die Nebel-Konzert-Installation in der Kirche | |
und das Theaterstück. | |
Das Festival will also keine Leistungsschau sein, sondern ein | |
Produktionsfestival? | |
Das ist einfach ein anderes Selbstverständnis, nicht nur Rosinen zu picken, | |
sondern auch zu helfen, dass es die überhaupt gibt. Außerdem macht es das | |
Festival aufregender, Risiko macht ja auch Spaß. Und Uraufführungen erhöhen | |
die Sichtbarkeit des Festivals weltweit. | |
Viele Künstler*innen kommen ja auch immer wieder. | |
Und entwickeln sich weiter! Dieses Jahr ist zum Beispiel zum dritten Mal | |
die Choreografin Gisèle Vienne zu Gast. Ihr Stück „Crowd“ mit 15 | |
Slow-Motion-Tänzer*innen ist derart überwältigend, das ist wie ein | |
Höhepunkt, auf den sie mit den letzten Stücken zugesteuert hat. Aber wir | |
haben mal nachgezählt: Ungefähr die Hälfte der Künstler*innen sind neu und | |
waren noch nie hier. Denn neben Kontinuität geht es auch um | |
Horizonterweiterung, sonst entstehen Monokulturen. | |
Was hat Sie selbst denn dieses Jahr besonders begeistert? | |
Ich bin gespannt auf die Eröffnungsproduktion mit der kubanischen Malpaso | |
Dance Company. Die habe ich zufällig in Los Angeles kennengelernt und war | |
begeistert, weil das so gar nichts mit dem Klischee zu tun hat, das wir vom | |
kubanischen Tanz oft haben. | |
Was machen sie denn anders? | |
Das ist zeitgenössischer Tanz auf höchstem Niveau, zugleich sind sie gerade | |
auf der Suche nach einer Öffnung und Weiterentwicklung. Sie haben zum | |
Beispiel mit der kanadischen Choreografin Aszure Barton gearbeitet, die | |
dekonstruiert Ballett so gut wie William Forsythe – mit Musik von Nils | |
Frahm. Der war vor zwei Jahren auf dem Sommerfestival. Das war schon mal | |
ein interessanter Anfang. | |
Und am Ende? | |
Es gab dann noch eine andere Produktion des Malpaso-Haus-Choreografen Osnel | |
Delgado mit Livemusik wiederum vom mehrfachen Grammy-Gewinner Arturo | |
O’Farill. Ein Gigant, der fernab jeden Cubanissimo-Klischees den Latin-Jazz | |
ins 21. Jahrhundert bringt. Und um die ganze Bandbreite dieser Company zu | |
zeigen, produzieren wir jetzt noch eine neue Arbeit mit der argentinischen | |
Choreografin Cecilia Bengolea: Musik macht bei ihr der kubanische | |
Love-Parade-Erfinder DJ Joyvan. Alle drei Stücke zeigen wir jetzt an einem | |
Abend zur Festival-Eröffnung, und in diesem kubanischen Sprung von der | |
Ballett-Erneuerung über den Latin-Jazz zur Popkultur steckt programmatisch | |
schon das ganze Festival. | |
Kampnagel-Sommerfestival. Eröffnung: Mi, 8. 8., 20 Uhr, Kampnagel; bis 26. | |
8.; | |
www.kampnagel.de/sommerfestival | |
4 Aug 2018 | |
## AUTOREN | |
Robert Matthies | |
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