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# taz.de -- Jupiter lässt’s krachen
> … und trägt lila Socken. An der Komischen Oper inszeniert Barrie Kosky
> Händels göttertrunkenes Liebesdrama „Semele“, ein saftiges Stück Oper …
> Ehebruch, Eifersucht und Liebestod
Bild: Jupiter (Allan Clayton) entführt an ihrem Hochzeitstag Semele (Nicole Ch…
Von Katharina Granzin
Früher waren die Götter auch nur Menschen, jedenfalls zum Teil. Nur so ist
es möglich, dass die schöne Semele sich in Jupiter verliebt, den obersten
aller Götter, der sich uns Sterblichen vor allem mit seiner
Blitzschleuderei in Erinnerung zu bringen pflegt.
Von dieser Fähigkeit macht Jupiter auch in Barrie Koskys Interpretation von
Händels „Semele“ großzügig Gebrauch. Zwar hält er sich mit Blitzen zur�…
lässt aber wiederholt einen Donner durch den Saal krachen, der einem
buchstäblich durch Mark und Bein fährt. Und das (Achtung!) bereits über die
letzten Takte der Ouvertüre dieses angeblichen „Oratoriums“ hinweg – das
vermutlich mit diesem Label versehen wurde, da es seine Uraufführung im
Februar 1744 mitten in der Fastenzeit erlebte. Ein ziemlich unverhohlener
Etikettenschwindel, hinter dem man dreist ein saftiges Stück Oper um
sexuelle Ränke und Begierden, Ehebruch, Eifersucht und Liebestod verbarg.
Ein idealer Spielplatz für Barrie Kosky, der die Inszenierung kurzerhand
selbst übernahm, nachdem die Regisseurin Laura Scozzi die Arbeit aus
gesundheitlichen Gründen nach einer Woche abbrechen musste. Die kleine
Unwucht im Ablauf des Ganzen, die am Premierenabend zu spüren ist, ist
möglicherweise auf diese künstlerische Notadoption zurückzuführen.
Am Ende aber könnte man ebenso gut das Gefühl haben, dass diese
Verlaufsfärbung (die wohl teilweise auch in der Dramaturgie der Vorlage
angelegt ist) eben zum Regiekonzept gehört – dass der Abend, der mit der
großen, gleichsam abstrakten Ernsthaftigkeit einer veritablen Tragödie
eröffnet wird, sich im Laufe zunehmender Liebeswirrsal immer mehr erotisch
auflädt und dabei eine kleine Metamorphose zu einem vielschichtig bunten
Liebesdrama mit tragikomischen Zügen durchläuft. Auch das Opernorchester
unter dem Dirigat von Konrad Junghänel findet im Zuge dessen den
musikalischen Weg von preußisch aufrechtem Pseudobarock hin zur wahren Lust
an der geseufzten Linie.
Das beginnt mit Jupiters Liebesarie vor der Pause, bei der der Tenor Allan
Clayton, ausgestattet mit langem, göttergemäß imposantem Wallehaar, seine
geliebte Semele so zart besingt und dabei in einem dezent choreografierten
Pas de deux so innig über die Bühne führt, dass im Saal auf einmal zu
spüren ist, wie man kollektiv den Atem an- und den Augenblick festhalten
möchte.
Im zweiten Teil der über dreistündigen Aufführung schließlich erhöht sich
die Dichte solch zauberischer Momente hin zu ungebrochen reinem Opernglück.
Es ist ein ausnahmslos großartiges Ensemble, das dafür sorgt – angefangen
bei Nicole Chevalier als Semele, die vom Intendanten vorab als
gesundheitlich angeschlagen angekündigt worden war, sich aber mit
makelloser Bravour und großem körperlichen Einsatz durch ihre hochvirtuose
Partie singt und spielt. In der Rolle ihrer göttlichen Gegenspielerin als
Jupiters eifersüchtige Gattin Juno brilliert die dabei auch noch
fantastisch komische Ezgi Kutlu, bei der man das Gefühl hat, eine
leibhaftige Wiedergängerin von Walt Disneys Cruella de Vil auf der Bühne zu
sehen.
Wie nah Erotik und Komik zusammenliegen können, zeigt am allerschönsten die
Szene zwischen Juno und dem Gott des Schlafes Somnus, dessen
unwiderstehlichen Charme Evan Hughes mit weichem Bass perfekt verkörpert.
Interessant nebenbei, welchen männlichen Stimmlagen Händel in diesem
Fake-Oratorium die höchste erotische Wirkung zuteilt. Der Männersopran als
romantische Heldenrolle hat hier offenbar schon ausgedient. Denn Prinz
Athamas, den Semele ursprünglich heiraten soll, obwohl doch ihre Schwester
Ino (ausdrucksstark: Katarina Bradic) ihn liebt, ist eine zwar nicht
unsympathische, doch eher weichliche Gestalt, die zum Helden nicht sehr
taugt.
In seiner größten Arie, worin Athamas endlich seine Liebe zu Ino äußert,
lässt Händel ihn ausgedehnte Koloraturen auf den Vokal „u“ absolvieren, w…
nicht nur ziemlich originell, sondern vor allem auch ziemlich komisch ist
und stark an Loriots Hundeschule erinnert (die Kosky aber nicht kennen
kann. Oder?). Der Countertenor Eric Jurenas singt das toll, ebenso
beiläufig virtuos wie komisch unterwürfig und dazu noch in der
Körperhaltung eines Dackels, der Männchen macht. Und es ist auf zauberische
Weise trotzdem nicht lächerlich, sondern zu Herzen gehend.
Später, auf der Straße, als das Publikum in großem Pulk seinen
verschiedenen Transportmitteln zustrebt, sagt eine Dame zu ihrem Mann:
„Nee, wirklich, das war, also wirklich, vor allem die zweite Hälfte! Ich
hätte die ganze Zeit fast irgendwie heulen können.“ Er brummelt zur Antwort
irgendetwas Unverständliches.
Nächste Vorstellungen: 18. 5., 26. 5., jeweils 19.30 Uhr
14 May 2018
## AUTOREN
Katharina Granzin
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