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# taz.de -- Die selbst gehäkelte Schuld
> Nina Mattenklotz’kluge Inszenierung befreit Ewald Palmetshofers „die
> unverheiratete“ von jeder Realismusbehauptung zu einem beeindruckenden
> Schauspielabend
Bild: Der Chor in überirdisch weißen Kitteln entfaltet beängstigende Präsenz
Von Benno Schirrmeister
Wenn sie mal schmutzig war, so ist diese Wäsche bereits gewaschen. Weiß,
reinweiß, weißer als weiß sind die Laken, die vier alerte junge Frauen, von
Kostümbildnerin Lena Hiebel in ebenso übernatürlich gebleichte Kittel
gehüllt, schwungvoll auf gespannte Leinen hängen: Gina Haller, Iris Minich,
Stephanie Schadeweg und Annemaaike Bakker bilden einen erschreckend
präsenten Chor, der, obschon ein Quartett, erinnyenhaft Erinnerungen an
Scham, Demütigung, Hohn und Häme heiß in diesen Theaterabend injiziert.
Am Boden hingegen liegt Gabriele Möller-Lukasz als altes Weib, verstrickt
in Bande aus roter Wolle, ihre selbstgehäkelte Schuld. So beginnt in Bremen
Ewald Palmetshofers Erfolgsdrama „die unverheiratete“. Vergangenen Samstag
war Premiere. Regisseurin Nina Mattenklotz hat dafür gut lesbare Bilder von
harter Klarheit auf eine von Johanna Pfau karg eingerichtete Bühne
gebracht. Hier und da liegen rotbackige Äpfel und Tim Schulten hüllt alles
in erbarmungsloses Licht: Das wird also ein Abend von heiligem Ernst und
ohne jede Freude. Und von vornherein beseitigt ist jede
Realismusbehauptung. Zum Glück.
Zwar: Es stimmt, Palmetshofer greift eine wahre Begebenheit aus dem Zweiten
Weltkrieg auf. Eine Frau hat einen Soldaten denunziert. Sie hatte ein
Telefongespräch zufällig mitgehört, es als Ankündigung einer Fahnenflucht
gedeutet – und gemeldet. Vielleicht wollte der junge Mann ja gar nicht
desertieren, sondern weiter morden. Dann hätte man ihn sogar zu Unrecht
exekutiert, wie auch immer: Das ist der Hintergrund, das ist die Schuld der
Maria, der Alten, so die Rollenbezeichnung. Ihre Tochter Ingrid, die
Mittlere, leidet still unterm Täterinnenkind-Stigma. Die Enkelin, die
Junge, androgyn als Ulli angesprochen, verausgabt sich in One-Night-Stands,
von denen sie denunziatorische Smartphone-Fotos sammelt.
Als Zeitstück wäre ein Drama, als dessen wesentliches Merkmal der Titel die
Abwesenheit von Männern bestimmt, bloß die theatrale Fortschreibung eines
Skandals der justiziellen Aufarbeitung des NS-Unrechts, das klar von
männlichen Tätern geprägt ist. Behördlich mit besonderer Härte verfolgt
wurden hingegen Denunziantinnen: Allein in Westdeutschland sind 490
verurteilt worden. Das sind, zum Vergleich, 490 mehr als Richter.
Palmetshofer interessiert sich aber null für die Historie. Die dient nur
zur Beglaubigung seiner eher sprachmusikalischen Bearbeitung der Frage nach
Schuld. Nicht aber als weltlicher Kategorie, sondern eher theologisch: Auch
deshalb sitzt Irene Kleinschmidt irgendwann als die Mittlere wie
teilnahmslos rechts am Bühnenrand und isst einen der Äpfel. Denn bei
Palmetshofer geht’s um Erbschuld und Sünde vor einer, das hat er
Dramaturgin Meike Schmitz gestanden, „universelleren Instanz“.
Klar gibt’s die nicht. Aber das ist ja das Tragische. Denn ohne sie
passiert nichts: Die Alte lebt eingesponnen in Schuld und Verbitterung,
fällt um, kommt in die Klinik und wieder raus. Die Mittlere pflegt sie
verbissen. Den Hass auszuleben, verbietet sie sich. Die Junge lässt sich
halt, das erzählt Karin Enzler lang und breit und maliziös, beschlafen.
Warum – „weiß es nicht“, wird sie, wie erstaunt ob der Frage, in ihrem
brutalen Schlussmonolog sagen.
Die drei Frauen leben in einer unerlösten Sprache. Gemeinplätze, Wendungen
und anderes Wortgerümpel hat Palmetshofer zusammengekehrt. Die
Sprecherinnnen müssen daran nun virtuos herummeißeln, bis, statt Sinn, ein
Rhythmus sich ergibt, und ein Rest von Melodie: „wer A sagt muss auch B/
der muss auch B muss der/ so war das immer schon/ das war schon immer so
dass B/ nach A kommt B/ schon immer B“, versucht die Junge im Singsang den
Geist der Ordnung zu beschwören, die alles legitimieren würde.
Und: „der Apfel fällt man sagt nicht weit / das ist ein Pech/ verfaul nicht
weit vom Stamm gefall’n in ihrem Schatten ich – zertritt ein Schuh was von
mir übrig ist“, sagt die Mittlere in jener Passage, die eine Rachearie
hätte werden können. Doch das kurze Lodern ist da schon erstickt in
Resignation, die Kleinschmidt bedrückend ausspielt: Emotionen? Verbrannt.
Sinn? Gibt’s nicht. Hoffnung? Erhängen könnte ein Ausweg sein.
Termine: 16. und 24. 5., 20 Uhr, 27. 5., 18.30 Uhr, Theater Bremen, Kleines
Haus
5 May 2018
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
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