| # taz.de -- „Ich will den emanzipierten Zuschauer“ | |
| > Der Regisseur Philipp Preuss sucht nach dem Unbewussten und Surrealen im | |
| > Theater. In Leipzig arbeitet er dafür mit Texten, die für ihren Wahnsinn | |
| > berühmt sind | |
| Bild: Der Regisseur Philipp Preuss | |
| Von Torben Ibs | |
| Das Regiepult ist verwaist. Außer einer leeren Kaffeetasse, einer | |
| Kameratasche, zahlreichen Büchern von Mark Fisher und den biografischen | |
| Aufzeichnungen von Daniel Paul Schreber, „Denkwürdigkeiten eines | |
| Nervenkranken“ deutet allenfalls das zugeschlagene Textbuch darauf hin, | |
| dass hier gerade geprobt. Doch auf der Bühne dreht sich langsam unter viel | |
| Nebel das Bühnenbild aus vier ähnlichen Räumen, die um eine zentrale | |
| Drehachse angeordnet sind. Ein Streicherquintett spielt dazu. Auf der Bühne | |
| sitzt Schauspieler Felix Axel Preißler umgeben von zahlreichen Sektflaschen | |
| und erzählt als Osvald Alving, eine Figur aus einem Ibsen-Drama, vom | |
| Unglücklichsein, während im Hintergrund geisterhafte Gestalten durch die | |
| Kulissen huschen. | |
| Regisseur Philipp Preuss hat es sich etwas abseits in der sechsten Reihe | |
| gemütlich gemacht, wo sein lockige Mähne über die roten Polstersessel ragt. | |
| Vor allem sind es Fragen des Timings, die ihn noch umtreiben. Wie lange | |
| spielt die Musik, wie erreicht man zur nächsten Szene die richtige | |
| Halteposition der Bühne. Zusammen mit dem Musiker Kornelius Heidebrecht, | |
| der Videokünstlerin Konny Keller und der Bühnen- und Kostümbildnerin | |
| Ramallah Aubrecht müssen noch die letzten Entscheidungen getroffen werden | |
| für die neue Inszenierung „Gespenster oder Denkwürdigkeiten eines | |
| Nervenkranken“. Preuss kreuzt darin das Stück von Henrik Ibsen mit den | |
| Aufzeichnungen des Juristen Daniel Paul Schreber, 1903 veröffentlicht und | |
| berühmt für ihr Protokoll über Erscheinungen in der Psychose. | |
| Das Team ist dabei kein zufälliges, schon seit Jahren arbeiten die vier | |
| regelmäßig an verschiedenen Theatern zusammen. Preuss versteht sie als | |
| Forschungsteam, das sich ästhetisch an immer neuen Fragestellungen | |
| abarbeitet. Den Arbeitsauftrag umreißt Preuss dabei so: „Ich möchte den | |
| Bruch ins Unbewusste gehen, ins Surrealistische, in den Traum, ein | |
| vertikales Eindringen in das Psychologische des Menschen. Die Zuschauer | |
| sollen andere Zustände des Bewusstseins erleben.“ | |
| Bei den Zuschauern kommt das mal so und so an. Gerade hat er einen „Faust“ | |
| in Heidelberg fertiggestellt, den das Publikum eher nicht so dolle fand. Es | |
| gab Buhrufe zur Premiere. In Leipzig hat er zuletzt mit einem | |
| assoziationsreichen „Peer Gynt“ von sich reden gemacht. Das Bühnenbild war | |
| ein riesiger Haufen Seifenschaum. Perfekte Metapher für die | |
| Schaumschlägerei des Biografienerfinders Peer Gynt, aber auch eine | |
| politische Lesart auf den amtierenden US-Präsidenten bietet die | |
| Inszenierung an. Doch Preuss möchte dem Zuschauer nichts vorschreiben, im | |
| Gegenteil, das Publikum soll selbst aktiv werden: „Ich will den | |
| emanzipierten Zuschauer, der den Schaum in seiner Vorstellung verwandelt in | |
| Geld, Erde, Matsch. Was immer ihm gerade einfällt.“ Zudem war der Peer hier | |
| auf sieben Schauspieler verteilt, die alle ihre Zwiebelschalen von der | |
| Hauptfigur ziehen durften. Die Inszenierung wird im Mai letztmalig beim | |
| Sächsischen Theatertreffen in Dresden zu sehen sein. | |
| Preuss’Weg zum Theater war nicht vorgezeichnet. Er kommt aus einfachen | |
| Verhältnissen, geboren 1976 in Bregenz, aufgewachsen dort und in Wien. Mit | |
| Theater konnte er nicht viel anfangen, aber als Jugendlicher begann er sich | |
| für bildende Kunst, Film und Videokunst zu interessieren und machte erste | |
| Kontakte mit der Kunstszene und dem Wiener Aktionismus. Er lernte den | |
| Medienkünstler Peter Weibel kennen, lernte viel und entschloss sich am | |
| Mozarteum im Salzburg für ein Regiestudium – des Filmes wegen. | |
| Erst hier entdeckte er Theater für sich, wollte aber mehr, als angeboten | |
| wurde: „Mitte der 90er wurden Ausstellung, Video und Theater ja noch viel | |
| getrennter gedacht. Wir wollten damals einen anderen Umgang mit Video als | |
| die übliche Tapete.“ Nach dem Studium ging es erst einmal ans Theater | |
| Dortmund, doch nach einem halben Jahr schmiss er seinen Job als | |
| Regieassistent. Als Lohn dafür bot ihm der Intendant Michael Gruner eine | |
| erste Regiearbeit an: „Geschlossene Gesellschaft“ von Sartre. Von da aus | |
| startete er durch im deutschsprachigen Sprechtheater. Er inszenierte unter | |
| anderem in Bochum, Frankfurt, am Deutschen Theater in Berlin und in | |
| Leipzig, wo er in der dritten Spielzeit Hausregisseur ist. | |
| In seinen Inszenierungen geht es mitunter rau, düster und verstörend zu. | |
| Auch literweise Kunstblut sind kein Problem, wie beim „Sommernachtstraum“, | |
| wenn Puck damit die vier Liebenden säubert. Vom Video als Tapete hat er | |
| sich auch längst entfernt, vielmehr setzt er auf verfremdende | |
| Live-Video-Effekte, die wie eine weitere Bedeutungsschicht gerne auch über | |
| der ganzen Bühne liegen. Das ist sicher auch eine Regiehandschrift, doch | |
| Preuss will auf keinen Fall in eine Schublade gesteckt werden: „Theater ist | |
| Prozess, kein Produkt. Ich hasse dieses Formattheater. Man muss sich | |
| überraschen lassen. Und ein Prozess muss auch Scheitern dürfen. Kunst darf | |
| keine Angstfabrik sein.“ Angst hat er auch jetzt, kurz vor der Leipziger | |
| Premiere am Sonnabend keine – auch wenn noch einiges zu tun ist. | |
| 29 Mar 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Torben Ibs | |
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