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# taz.de -- Die Herzlichkeit der Buche
> Das Duo Schubot/Gradinger ist zurück. In ihrer neuen Choreografie „Yew“
> gibt es im HAU3 mit singenden Pflanzen intensive Begegnungen mit der
> Natur. Premiere ist am Dienstag
Bild: Ein Spiel mit der Pflanzenwelt: „Yew“ von Jared Gradinger und Angela …
Von Astrid Kaminski
Eines späten Sommerabends saßen Angela Schubot und Jared Gradinger auf
einer Bank im „Unmöglichen Wald“ und lauschten der Brennnessel. Was anfän…
wie ein Märchen, endet am kommenden Dienstag als Performance im HAU3, bei
der neben der Brennnessel auch noch der Beifuß, die Buche, die Echivarea,
die Eibe, die Eiche, der Farn, der Klee und das Moos singen werden.
Der „Unmögliche Wald“ oder „Impossible Forest“, wie Jared Gradinger ihn
getauft hat, wächst auf einer künstlich aufgeschütteten Sandbank inmitten
des geschäftigen Asphalthofs der Uferstudios in Wedding. In den Studios
rundherum werden Performances geprobt, und auch der Wald selbst ist eine
Langzeitperformance: ein Begegnungsort, an dem sowohl geschwatzt, geruht
wie gegärtnert werden kann, der aber mit seinen toten
Caspar-David-Friedrich-Bäumen und den lebendigen Grünpflanzen, Vögeln und
Insekten vor allem auch zu einer Memento-Mori-Meditation einlädt. Im Rahmen
der Tanznacht 2016 wurde er von Jared Gradinger angelegt, seitdem ist er
dort bei jedem Wetter in Gärtnermontur zu sehen.
Jared Gradinger und Angela Schubot sind mit ihren Symbiose-Choreografien
von „What they are instead of“ bis zu „I hope you die soon“ internation…
bekannt geworden. Nach einer jahrelangen Forschung zu Entgrenzungstechniken
bis hin zum probeweisen Mit- und Ineinandersterben haben sie ihre
Zusammenarbeit konsequenterweise eine Zeit lang ruhen lassen.
Gradinger gärtnerte, tourte mit Meg Stuart (die gerade den Goldenen Löwen
der diesjährigen Tanz-Biennale von Venedig gewonnen hat) und kümmerte sich
um die performative Tauschbörse „Social Muscle Club“. Schubot arbeitete an
einer „Körper ohne Macht“-Trilogie und zusammen mit Robert Steijn an einer
Meditation über körperliche Nähe. Nun kehren Schubot/Gradinger mit „Yew“
(Eibe) zurück. Und vielleicht gilt auch für den imaginären Tod des Duos,
dass Sterben fruchtbar macht. Der menschliche Körper, heißt es, gibt einen
guten Humus ab und sorgt für besonderes Pflanzenwachstum.
Bei den posthumanistischen Experimenten, die derzeit auf den Bühnen
stattfinden, gehören Pflanzen und Tiere nicht selten zur Grundausstattung.
Doch während es im Bezug auf Tiere oft um Kommunikationsformen und
-methoden geht, werden Pflanzen meist eher dekorativ oder als nicht näher
befragte Präsenz eingesetzt.
Schubot/Gradinger ändern das. Bei ihnen sind sie Mitspieler*innen. Es gab
sogar eine Audition. Per Kinesiologie wurde das Team aus Eibe & Co
ausgewählt. Dabei ist das Duo alphabetisch vorgegangen und hat bei jedem
Pflanzennamen seinen Muskeltonus gemessen. Mit den ausgewählten Pflanzen
wurde dann jeweils viel Zeit verbracht. Dabei haben Schubot/Gradinger
versucht, ihre menschlichen Gewohnheiten mehr und mehr abzustreifen: Wir
haben, sagen sie, so viele nichtmenschliche Eigenschaften, aber die
menschlichen sind derart dominant, dass wir uns für die Begegnung mit den
Pflanzen Lage um Lage erst davon befreien müssen.
Es knarzt, es seufzt, es ächzt, es stöhnt und quakt, zwischendurch klingt
es wie eine Vollbremsung in Zeitlupe. Zusammengesunken, die Körper wie
eingestülpt, kauern Schubot/Gradinger eng aneinander, dann bäumen sie sich
auf und ab.
Es wirkt, als würden die Geräusche eher in und an ihnen resonieren als
ihnen entweichen. Viele Bewegungen gehen von einer
Rücken-an-Rücken-Position aus, um sich so besser an die Pflanzensituation,
die in der Ausrichtung keine Frontalität kennt, zu assimilieren. Dabei geht
es nicht um eine Nachahmung, vielmehr um einen Perspektivwechsel im Sinn
eines freundschaftlichen Sich-aufeinander-Einlassens.
So sind im Probenprozess mehrfach Situationen entstanden, in denen das Duo
das Erlebnis einer gemeinsamen Erfahrung hatte. Beim Spüren energetischer
Ansammlungen von Pflanzen zum Beispiel. Aber auch die Traurigkeit und
Herzlichkeit der Buche oder die Verrücktheit des Beifuß erleben sie
ähnlich: „Die Verrücktheit des Beifuß hat etwas von Alice im Wunderland,
etwas Weibliches, Ausgeflipptes, over the top“, sagt Angela Schubot.
Gefühlsmäßig differenzieren lässt sich für sie auch die Art des Singens der
Pflanzen: „Manche wollen für dich, manche durch dich singen und andere
möchten, dass du für sie singst.“
Um die Töne der Pflanzen zu hören, werden ihnen Rezeptoren an die Blätter
gelegt, mit denen die Frequenzen der Bio-Daten gemessen und in musikalische
Skalen umgesetzt werden. Während diese Methode an Menschen zu relativ
uniformen, stehenden Tönen mit stotterndem Rhythmus führt, klingen Pflanzen
sehr individuell.
So ist die Brennnessel zum Beispiel Nirvana-Fan. Schubot/Gradinger sind
sich einig, dass sie eines Tages ein paar Takte „Come as you are“ gesungen
hat.
Yew im HAU3, Tempelhofer Ufer 10, 30. Januar bis 2. Februar, 19.30 Uhr
27 Jan 2018
## AUTOREN
Astrid Kaminski
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