# taz.de -- Benjamin Moldenhauer Popmusik und Eigensinn: Für Sekundenbruchteil… | |
Viel wird über Kettcar geschrieben, und das meiste ist nicht | |
schmeichelhaft. Uninspirierter Befindlichkeitsrock, gefühliger, ein | |
Scharnier zwischen deutscher Indie-Ästhetik und Bereichen, in denen es | |
abrupt ganz finster wird (Max Giesinger usf.). Die Haltung: „Es war einer | |
dieser Zyankalitage / an denen wir uns mal wieder umbringen wollten / weil | |
die Menschen überhaupt keinen Sinn ergaben“ – aber die Gitarre schrummt, | |
und wir kriegen das irgendwie hin, gemeinsam, die Jungs und ich, auch wenn | |
es schwierig ist. | |
So fürchterlich, wie man oft liest, ist diese Band dann aber doch nicht. | |
Und das Eindreschen auf etwas am Ende Harmloses, Gutartiges ist ja nun auch | |
nicht sonderlich sinnvoll. Zumal das Bild „Ankunftshalle“, zwei | |
Anfangvierzigermittelklassemänner auf der Flughafenbank, doch seltsam | |
anrührt, zumindest wenn man gerade besoffen in der Kneipe sitzt: „Wie die, | |
die viel zu lang weg waren / Die letzten Schritte und dann: / Umarmen / Und | |
sie dann einen Augenblick lang / Unsere Leute sind / Und für | |
Sekundenbruchteile / Mal keine Meute sind“. Dümmer als man eh schon ist, | |
macht diese Musik einen nicht; oder halt nur für Sekundenbruchteile. | |
Interessant hingegen ist, wie hier ein Sänger zu einer Figur geworden ist, | |
die man in seinen früheren Texten noch als Hassobjekt kennengelernt hatte. | |
Vor Kettcar sang Marcus Wiebusch bei …but alive, einer prägenden | |
politischen Deutschpunkband. Sowas: „Okay, tut mir leid / vielleicht bin | |
ich zu kritisch / doch die allergrößte Scheiße heißt: / unpolitisch“. Bei | |
Kettcar: „Keine einfache Lösung haben, ist keine Schwäche / Nicht zu allem | |
eine Meinung haben, keine Schwäche“. Im Verlauf von Wiebuschs musikalischem | |
Schaffen bildet sich ein typisches bundesrepublikanisches | |
Abiturientenschicksal ab: Punk, intelligent, wütend ohne Not, moralistisch, | |
dass es nur so kracht, und dann die Rettung ins Private. „Vergiss Romeo und | |
Julia“, empfehlen Kettcar, „wann gibt‘s Abendbrot? / Willst du wirklich | |
tauschen?“ Natürlich nicht, denn „am Ende warn sie tot“. | |
Kettcar bieten sicheren Grund, und in diesem Punkt besteht dann doch eine | |
Kontinuität zwischen Früh- und Spätwerk. Die Musik versichert, dass man in | |
Ordnung ist, weil man sieht, was alles radikal falsch (…but alive) | |
beziehungsweise was alles ganz arg schwierig (Kettcar), aber stemmbar ist. | |
Ein Entrinnen gibt es im einen wie im anderen Fall natürlich nicht. | |
27 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Benjamin Moldenhauer | |
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