Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Herz: Ein heißes Ritual
> Gemeinsam schwitzen verbindet. Zu Besuch in einer Sauna in Berlin, in der
> sich ein paar Frauen seit vier Jahrzehnten treffen
Von Antje Lang-Lendorff
Die Hitze schwappt als Welle über die drei Frauen hinweg. Sie breitet sich
aus in dem hölzernen Raum, flutet über nackte Schultern, Rücken, Beine. Ob
straff oder schlaff, ob schön oder hässlich – die feuchte Hitze umfasst
alles, hüllt es ein. Die schlanke Weißhaarige auf der unteren Stufe
schließt die Augen, während Saunameister Dennis Niemke das Handtuch über
seinem Kopf dreht wie einen Propeller. Nicht zu schnell, er will sich in
den nächsten zehn Minuten noch steigern können.
Ein Novembernachmittag im Paracelsusbad in Reinickendorf, am Stadtrand von
Berlin. In zentraler gelegenen Saunen tummeln sich oft junge Menschen mit
Tattoos. Wer will, kann dort Trends der Intimrasur studieren. Im
Paracelsusbad: nichts von dem. In Reinickendorf leben viele ältere
Menschen. Vor allem Rentner kommen in die Sauna des städtischen Bades.
Montags ist ein besonderer Tag: Zum Wochenbeginn ist Frauentag.
„Ich hab heute Lavendel mitgebracht“, sagt Niemke, ein schmaler
31-Jähriger mit Kinnbart. „Dit haben wir uns ja ooch so jewünscht“, gibt
eine Weißhaarige zurück. Die drei Frauen auf den Holzbänken, „Damen“, wie
Niemke sie nennt, haben hier auch ein Wörtchen mitzureden, so viel wird
schnell klar. Sie haben im Paracelsusbad schon geschwitzt, da war Niemke
noch gar nicht auf der Welt. Seit 38 Jahren kommen sie einmal in der Woche
her. „Uns jehört hier schon ein Teil“, ulkt eine. Den Kalten Krieg, die
Wende, das Zusammenwachsen der einst geteilten Stadt, all das hat das
Ritual der Frauen überdauert. Montags ist Saunatag.
Früher gab es im Bad zwei kleine Saunen. Heute kann man wählen zwischen
Biosauna, finnischer Sauna, Dampfbad – verteilt in einer Landschaft aus
Tauchbecken, Duschen und Liegen zwischen Säulen.
Die Frauen kennen sich aus der Nachbarschaft, haben ungefähr zeitgleich
Kinder gekriegt. Die Rundliche war Krankenschwester, die anderen haben im
Einzelhandel gearbeitet. Inzwischen sind alle in Rente.
Der Ofen knistert. Einatmen. Ausatmen. „Jetzt sind alle ganz schweigsam“,
sagt Niemke. Die Rundliche antwortet: „Na ja, wir quatschen ja nicht
immer.“ Niemke erzählt, dass ein Gast einmal das Handy dabeihatte.
„Plötzlich klingelte es. Der wollte tatsächlich hier telefonieren.“ Die
Frauen schmunzeln.
Wenn man sich einmal die Woche beim Schwitzen sieht, lernt man sich kennen.
Zur Geburt von Niemkes zweitem Kind vor acht Wochen haben die Frauen ihm
einen Gutschein für einen Drogeriemarkt geschenkt.
Niemke, der mit Tuch um die Hüften vorm Ofen steht, ist gelernter
Bademeister, hat aber eine Zusatzausbildung zum Saunameister gemacht. Er
weiß, wie er mit dem Handtuch wedeln muss, wie viel Duftmittel auf welche
Menge Wasser gehört. Was zu tun ist, falls jemand umkippt, muss er als
Bademeister sowieso draufhaben.
Vergangenen Samstag ist das bei der Mitternachtssauna passiert. Niemke und
seine Kollegen machten einen Tequila-Aufguss für Mexiko, einen Rum-Aufguss
für Jamaika – allerdings ohne Alkohol. Der Kreislauf einer Frau hielt der
Prozedur nicht Stand. Sie verließ die Sauna, vor der Tür kippte sie um.
Beine hoch, Sauerstoff, süße Getränke. Sie habe sich schnell erholt,
erzählt Niemke.
Beim Aufguss an diesem Montag glänzen alle Saunagäste inzwischen
schweißnass, doch noch fehlt der heißeste Teil. Niemke leert den Eimer über
dem Ofen aus. Das Wasser zischt auf den heißen Steinen. Niemke fasst das
Handtuch rechts und links. Vor dem Gesicht jeder Einzelnen schlägt er es so
schnell von oben nach unten, dass es knallt. Abschläge, nennt man das im
Saunadeutsch. Wie ein Schwall ergießt sich die Hitze über die Hockenden.
Dann raus auf die Terrasse, ein paar Schritte gehen. Kalte frische Luft.
Die Körper dampfen in der Nacht. Nach dem Duschen cremen sich die Frauen
dann gegenseitig den Rücken ein. „Das ist pure Erholung, der schönste Tag
in der Woche“, schwärmt die Weißhaarige. Als Rentnerinnen könnten sie
eigentlich jeden Tag in die Sauna gehen, aber eine der Frauen winkt ab:
„Nee, dann wäre et ja keen Highlight mehr.“
11 Nov 2017
## AUTOREN
Antje Lang-Lendorff
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.