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# taz.de -- arbeitsbedingungen an den unis: Zeitgemäß wie ein Talar
> An den Unis rumort es wie vor 50 Jahren – diesmal im Mittelbau
Bild: Foto: privat
Wenn am heutigen Dienstag die deutschen HochschulrektorInnen in Potsdam zu
ihrer jährlichen Herbstkonferenz zusammenkommen, dann werden sie viel
Unzufriedenheit und Kritik zu hören bekommen: Rund hundert Protestierende
mit Plakaten wollen den Eingang zum Unigebäude versperren. Auch
Protestaktionen im Audimax sind geplant.
Für die Rektorinnen und Rektoren wird das Zuhören sicher unangenehm. Denn
die ungebetenen Gastredner werden sie verantwortlich machen für eine
unzeitgemäße Hochschule, an der, wie in einem der taz vorliegenden
Manuskript zu lesen ist, „Angst“, „Abhängigkeit“ und eine
„Wettbewerbsideologie“ herrschten. Eine Uni, die erst dann wieder gute
Forschung und Lehre garantieren könne, wenn die RektorInnen
„Exzellenzterror“ und „Antragswahn“ stoppten und eine „echte
Demokratisierung“ ermöglichten.
An deutschen Hochschulen rumort es derzeit gewaltig. Und damit sind nicht
lokale Proteste gegen die teilweise Wiedereinführung von Studiengebühren
(Uni Freiburg), Panzerdeals mit der Türkei (RWTH Aachen) oder
AfD-Hochschulgruppen (Uni Magdeburg) gemeint. Spricht man mit Studierenden,
DoktorandInnen und ProfessorInnen, wird schnell klar: Für viele läuft etwas
grundlegend falsch im deutschen Hochschulsystem.
Die Stimmung erinnert an die Hochphase der Studentenproteste vor 50 Jahren.
Damals trafen zwei Hamburger Studenten mit einem Spruch den Nerv der Zeit:
„Unter den Talaren – Muff von 1.000 Jahren“. Das Banner, das die beiden
vormaligen AStA-Vorsitzenden am 9. November 1967 im Audimax ausrollten und
damit die Talar tragenden Ordinarien vorführten, war ein Aufstand gegen die
autoritätshörige Vätergeneration – und läutete das überfällige Ende der
professoralen Alleinherrschaft an den Unis ein.
Die Uni Hamburg machte selbst den Anfang und änderte kurz darauf ihr
Hochschulgesetz. In der Folge durften Studierende und Assistenten, wie die
wissenschaftlichen MitarbeiterInnen damals hießen, gleichberechtigt an den
Unigremien mitbestimmen. Prompt wurde gegen den Willen der Professoren ein
wissenschaftlicher Mitarbeiter Präsident. Für viele Zeitgenossen eine
ungehörige Vorstellung.
Doch ganz haben die ProfessorInnen ihre Privilegien nicht aufgegeben. Als
LehrstuhlinhaberInnen verwalten sie auch heute noch Budgets, stellen
MitarbeiterInnen ein, betreuen DoktorandInnen, delegieren ihre Arbeit an
Habilitanden, entscheiden über Karrieren. Und das ist in Zeiten von
Kettenverträgen, Abhängigkeit von Drittmitteln und Akademikerschwemme so
unzeitgemäß wie Professoren in Talaren, die in ihren Assistenten bessere
Haushaltshilfen sehen.
Das zeigt auch ein Blick auf die Zahlen: Auf eine ordentliche Professur
kommen heute 25 Doktoranden, 8 fertig Promovierte (kurz: Postdocs), fünf
Habilitierte. Das heißt: Rund 360.000 AkademikerInnen, das sind 93 Prozent
des sogenannten Mittelbaus, haben befristete Stellen.
Um auf die strukturellen Missstände aufmerksam zu machen, hat sich Anfang
des Jahres das Bündnis Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft
(NGAWiss) gegründet. Das Netzwerk steckt auch hinter dem Protest in
Potsdam. Seine Mitglieder fordern: das Lehrstuhlprinzip abschaffen, ebenso
die Habilitation, ohne die man in Deutschland auf keine Professur berufen
wird. Stattdessen soll es unbefristete Verträge bereits nach der Promotion
geben.
Doch da geht das Problem schon los: Für die Unis machen sich die vielen
Doktoranden und Postdocs nämlich doppelt bezahlt. Denn je mehr
Nachwuchskräfte eine Hochschule für sich gewinnen kann, desto mehr Geld
bekommt sie vom Land. So sieht es die leistungsorientierte
Hochschulfinanzierung vor. Ebenso vom Staat erwünscht und gefördert: dass
die Hochschulen mit vielversprechenden Forschungsideen selbst Mittel aus
Wirtschaft, Stiftungen oder EU-Projekten einwerben – und so ein
international renommiertes Profil aufbauen.
In beiden Fällen dürften die unbefristeten Verträge kaum verschwinden.
Dafür sorgt zum einen das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, das die Große
Koalition eigentlich zum Schutz der JungakademikerInnen überarbeitet hat.
Tatsächlich ist es eine Zeitbombe: Das Gesetz verbietet, dass
WissenschaftlerInnen länger als sechs Jahre vor und sechs Jahre nach der
Promotion an der Universität arbeiten. Wer binnen dieser zwölf Jahre keine
Festanstellung ergattert, hat an keiner deutschen Hochschule mehr die
Chance auf eine Anstellung. Das Problem wird dadurch verschärft, dass die
Zahl der NachwuchswissenschaftlerInnen sprunghaft angestiegen ist. Waren es
im Jahr 2000 noch 82.000, die an den Hochschulen auf eine Karriere hofften,
so sind es heute 145.000.
Der Staat verhindert auch an anderer Stelle ein Ende der befristeten
Verträge: Statt die mangelnde Grundfinanzierung aufzustocken, über die neue
Professuren geschaffen werden könnten, lassen Bund und Länder die
Hochschulen um bestimmte Fördergelder (Stichwort: Exzellenz-Initiative)
gezielt in Wettbewerb zueinander treten. Für Tausende, die über diese
projektbezogenen Mittel angestellt sind, heißt das: Keine Aussicht auf
Entfristung. Da sind die 1.000 Tenure-Track-Professuren, für die der Bund
bis 2032 eine Milliarde Euro investiert, nur ein Tropfen auf den heißen
Stein. Dabei weisen sie den richtigen Weg: Die Tenure-Track-Professuren
stellen eine Entfristung in Aussicht und verzichten teilweise auf die
Habilitation.
Daran wird wohl auch die nächste Regierung nichts ändern. In den
Sondierungsgesprächen haben CDU, CSU, Grüne und FDP nichts Konkretes zur
Verbesserung der prekären Arbeitsbedingungen an den Unis erarbeitet. Im
Wahlkampf forderte übrigens nur die Linkspartei eine Abschaffung der
Lehrstühle zugunsten einer Department-Struktur. So wird es wohl dabei
bleiben, dass nur wenige NachwuchswissenschaftlerInnen eine unbefristete
Professur ergattern – während Tausende auf dem langen Weg dorthin zermürbt
und ausgebeutet werden.
14 Nov 2017
## AUTOREN
Ralf Pauli
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