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# taz.de -- Wie Schönheit wächst
> Der US-Trompeter Ambrose Akinmusire thematisiert Rassismus und das
> Schicksal weiblicher Strafgefangener in einer Auftragsarbeit für das
> Jazzfest Berlin
Bild: Ein intellektueller und gänzlich autonomer Künstler: Ambrose Akinmusire
Von Jan Paersch
Das Staatsgefängnis von Mississippi hat einen besonderen Platz in der
Geschichte der populären Musik. In den Gefängnissen der US-Südstaaten waren
stets überproportional viele Afroamerikaner eingesperrt, so auch auf dem
Gelände der sogenannten Parchman Farm. Der einflussreiche Bluessänger Son
House saß hier in den zwanziger Jahren ein; auch dessen Kollege Bukka White
verbrachte dort mehrere Jahre wegen Körperverletzung und komponierte
anschließend einen zigfach gecoverten Song: „Parchman Farm Blues“. Auch
Insassinnen wurden in Parchment Farm zur Besserung durch Arbeit genötigt.
Im Nähzimmer des Frauengefängnisses sang Mattie Mae Thomas zwischen 1936
und 1939 von ihrem Leid und von ihrer Wut. „You may be a bully, but / I’ll
fix you so you won’t gimme no mo’ trouble in the world“, droht sie a
cappella auf der verrauschten Aufnahme.
Als der Jazztrompeter Ambrose Akinmusire ihren „Dangerous Blues“ zum ersten
Mal hörte, überkamen ihn Kindheitserinnerungen. „Mattie Mae stammte aus
Mississippi, genau wie meine 2006 verstorbene Großmutter“, erzählt der
35-Jährige. „Obendrein sind die Stimmen der beiden sehr ähnlich. Die Stimme
meiner Oma schallte durch das ganze Haus; sie ist eines der ersten Dinge,
an die ich mich erinnere. Wegen ihr mache ich heute Musik.“
Akinmusire, ein weltweit gefeierter Musiker, hat für das Jazzfest Berlin
ein von Thomas inspiriertes Werk komponiert und führt es mit einem eigens
zusammengestellten Sextett auf. Über die Interpretin und ihre fünf
erhaltenen Stücke ist wenig bekannt. Ein Musikwissenschaftler nahm sie auf,
50 Jahre später erschienen sie auf der LP eines feministischen New Yorker
Plattenlabels. „Das Schaffen von Mattie Mae repräsentiert einen größeren
Musik-Kanon: Delta Blues, Folk Songs und Negro Spirituals“, erläutert
Akinmusire. „Sie singt diese Songs so beiläufig, dabei enthalten sie so
viel Schmerz, aber auch so viel Freude und Optimismus.“
Ambrose Akinmusire ist der Jazztrompeter der Stunde. Der Kalifornier ist
ein intellektueller und gänzlich autonomer Künstler, der alle Songs selbst
komponiert und seine Alben selbst produziert. Geboren in Oakland nahe San
Francisco, wurde er als Teenager entdeckt, als er noch im
High-School-Ensemble spielte. Der Saxofonist Steve Coleman nahm den
18-Jährigen mit auf Europa-Tournee. Akinmusires Debütalbum für Blue Note,
das 2011 erschienene „When The Heart Emerges Glistening“, katapultierte ihn
auf Bestenlisten und Magazincover.
Akinmusires Musik enthält Elemente von Spiritual Jazz und Gospel, aber auch
Free Jazz und HipHop. Auch während seiner Europatour arbeitet Akinmusire
pausenlos an seinem Kompositionsauftrag für das Jazzfest. Eigentlich habe
er für diese Arbeit gar keine Interviews geben wollen, zu viel Auskünfte
nehmen etwas vom Endergebnis weg. Bereitwilliger spricht der Musiker über
persönliche Erfahrungen.
„Da ich mit den jetzigen Insassen von Parchman Farm keine Interviews führen
durfte, habe ich meine Verwandten befragt“, so Akinmusire. „Und gemerkt,
dass die Zustände heute kaum anders sind, jedenfalls nicht in Mississippi.
Seit dem Ende der Rassentrennung ist in manchen Teilen des Staates die Zeit
stehen geblieben. Rassismus ist allgegenwärtig. Ich könnte über die
Erfahrungen meiner Eltern und Großeltern sprechen, aber ich möchte
niemandem etwas einprogrammieren. Selbst ich, der immer in Großstädten wie
San Francisco und New York City gewohnt hat, habe genug erlebt, um mich in
die Menschen hineinzuversetzen.“
In Akinmusires Song „Rollcall for Those Absent“ auf seinem dritten Album
werden Namen junger Afroamerikaner rezitiert, die bei Schießereien getötet
wurden. Hat er eine Lösung, wie mit der Verrohung unserer Tage umzugehen
ist? „Es braucht ein Bekenntnis zur Schönheit. Ich habe mich oft gefragt,
wie Protest am effektivsten wäre. Ich bin zu dem Ergebnis gekommen, dass
ich meinen Job noch besser machen muss. Ich muss versuchen, die Schönheit
in mir selbst wachsen zu lassen.“
Live: heute 3.11. Haus der Berliner Festspiele, Berlin
3 Nov 2017
## AUTOREN
Jan Paersch
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