# taz.de -- Zu lange weggeschaut | |
> Ein Gutachten zu den Missbrauchsfällen im Bistum Hildesheim wirft den | |
> Verantwortlichen vor, Vorwürfen nicht angemessen nachgegangen zu sein. | |
> Die Kirche gelobt Besserung | |
Bild: Genauer hinsehen sollen die Kirchenverantwortlichen bei Hinweisen auf Mis… | |
Von Reimar Paul | |
Entlastung dritter Klasse aus Mangel an Beweisen in einem Fall, schweres | |
Versagen im zweiten: Zu diesem Ergebnis kommt ein Gutachten zu | |
Missbrauchsvorwürfen im katholischen Bistum Hildesheim und dem Umgang der | |
Kirchenleitung damit. Am Montag stellte das vom Bistum beauftragte Münchner | |
Institut für Praxisforschung und Projektberatung (IPP) die dazugehörige | |
Studie vor. | |
Konkret sollten die Experten herausfinden, ob institutionelles Versagen die | |
mutmaßlichen Taten erleichtert und die Aufklärung erschwert hat. Außerdem | |
sollte das Institut nach weiteren Missbrauchshinweisen forschen und | |
Vorschläge für Strukturveränderungen im Bistum unterbreiten. | |
Ein Schwerpunkt der Studie widmet sich dem suspendierten Priester Peter R. | |
Er gilt als einer der Haupttäter im Missbrauchsskandal am Berliner | |
Gymnasium Canisius-Kolleg, später arbeitete er rund 20 Jahre im Bistum | |
Hildesheim. Laut Gutachter Peter Mosser konnten elf gemeldete Fälle | |
sexualisierter Gewalt während der Tätigkeit des Priesters in Hildesheim | |
nachgewiesen werden, sechs davon seien den damaligen | |
Bistumsverantwortlichen bekannt gewesen. Möglicherweise stellten die | |
gemeldeten Fälle aber nur die „Spitze des Eisbergs“ dar. | |
Die Wissenschaftler warfen dem Bistum ein „Muster des Wegschauens“ vor. Es | |
habe die Gefährdung durch Peter R. wissentlich in Kauf genommen. Keine | |
Gemeinde, in die der Priester versetzt wurde, sei über die von ihm | |
ausgehende Gefahr informiert worden. Ansatzpunkte für straf- und | |
kirchenrechtliche Ermittlungen seien ignoriert, der Schutz möglicher | |
weiterer Opfer sei außer Acht gelassen worden. | |
Laut Institut reicht es nicht aus, Fälle allein an strafverfolgende | |
Behörden weiterzuleiten. Wichtig sei auch, dass sich die kirchlichen | |
Verantwortlichen mit staatlichen Einrichtungen, beispielsweise | |
Kinderschutzdiensten und Fachberatungsstellen, besser vernetzten. | |
Besonders heftig rügt die Studie das Verhalten des Bistums nach der Aussage | |
einer 14-Jährigen im März 2010, die über Übergriffe durch R. berichtet | |
hatte. So habe der damalige Domkapitular Heinz Günter Bongartz die | |
Schilderungen des Mädchens nicht als sexuellen Missbrauch gewertet. Auch | |
sei die Vorgeschichte von Peter R. am Canisius-Kolleg nicht angemessen | |
berücksichtigt worden. | |
Vorwürfe gegen den früheren Hildesheimer Bischof Heinrich Maria Janssen | |
konnte das IPP dagegen weder beweisen noch entkräften. Janssen soll sich | |
von 1958 bis 1963 regelmäßig an einem Messdiener vergangen haben, der zu | |
Beginn der Übergriffe zehn Jahre alt war. Janssen leitete das Bistum von | |
1957 bis 1982, er starb 1988 im Alter von 80 Jahren. | |
Die Anschuldigungen gegen ihn waren erst mehr als 50 Jahre nach dem | |
mutmaßlichen Missbrauch erhoben worden. Ein ehemaliger Messdiener hatte | |
berichtet, Janssen habe ihn regelmäßig missbraucht. Das Bistum hielt die | |
Schilderungen für plausibel und leistete 2015 eine Anerkennungszahlung für | |
das erlittene Leid. Als ein juristisches Schuldeingeständnis wollte die | |
Kirche dies aber ausdrücklich nicht verstanden wissen. | |
Die Gutachter erklärten, eine Aufklärung sei nach so langer Zeit nicht mehr | |
möglich. Zwar seien drei weitere Personen ermittelt worden, die ähnliche | |
Vorwürfe gegen den Bischof erhoben – deren Schilderungen seien aber nicht | |
geeignet, den Bericht des früheren Ministranten zu bestätigen. | |
Das Hildesheimer Bistum gab sich gestern reumütig. „Die eigene Schuld und | |
das eigene Versagen im Umgang mit diesen Fällen lastet auf uns“, sagte | |
Weihbischof Nikolaus Schwerdtfeger. „Die Opfer und ihre Angehörigen bitte | |
ich im Namen unseres Bistums um Vergebung. Uns ist sehr bewusst, dass ihnen | |
großes Leid widerfahren ist. Mich beschämt das zutiefst, und es macht mich | |
zerknirscht und traurig.“ | |
Gleichzeitig kündigte das Bistum an, Vorschläge des IPP zu berücksichtigen | |
und seinen Beraterstab zu Fragen sexuellen Missbrauchs aufzuwerten. An der | |
Spitze dieses Gremiums werde eine Person stehen, „die beruflich unabhängig | |
vom Bistum ist“, hieß es. Außerdem soll es künftig in fünf Regionen des | |
Bistums AnsprechpartnerInnen zum Thema Missbrauch geben und die | |
Präventionsarbeit ausgebaut werden. | |
17 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Reimar Paul | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |