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# taz.de -- „Sie hat alles mitgetragen“
> Prozess Der Bundesanwalt fordert die Höchststrafe für Beate Zschäpe:
> lebenslange Haft mit besonderer Schwere der Schuld und
> Sicherungsverwahrung. Ein Mitangeklagter wird noch im Gericht
> festgenommen
Bild: Tag 382 des NSU-Prozesses: Beate Zschäpe betritt den Verhandlungssaal in…
Aus München Konrad Litschko
Beate Zschäpe schaut starr durch ihre Brille auf Bundesanwalt Herbert
Diemer, lässt ihren Blick nicht von ihm ab. Ihre Hände liegen gefaltet auf
dem Tisch, die Lippen sind zusammengepresst. Zschäpe verzieht keine Miene,
aber es ist dieser Moment, in dem ihr klar werden dürfte: Es wird bitter.
Denn Diemer fordert am Dienstag, nach 382 Verhandlungstagen im NSU-Prozess,
für Zschäpe die Höchststrafe: lebenslange Haft mit besonderer Schwere der
Schuld und anschließender Sicherungsverwahrung. Zschäpe habe einen „Abgrund
an Menschen- und Staatsfeindlichkeit“ offenbart, sagt Diemer. „Sie hat
alles gewusst, alles mitgetragen und auf ihre Art mitgesteuert.“ Deshalb
sei die Höchststrafe „unumgänglich“.
Die Strafmaßforderung Diemers markiert das Ende eines achttägigen Plädoyers
der Bundesanwaltschaft im NSU-Prozess. Mehr noch: Sie markiert einen ersten
Endpunkt in einem historischen Prozess, der zunächst kein Ende zu nehmen
schien. Viereinhalb Jahre lang wurde bis hierhin verhandelt, rund 600
Zeugen befragt. Nun zieht die Bundesanwaltschaft ihren Schlussstrich. Und
sie sieht ihre Anklage von 2012 voll bestätigt.
Schon damals hatte sie Beate Zschäpe die volle Schuld für alle Verbrechen
des NSU angelastet – obwohl die 41-Jährige an keinem Tatort gesehen worden
ist. Neun Migranten hatte die Rechtsterroristen von 2000 bis 2006
erschossen – Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, H…
Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşı…
Halit Yozgat. Der letzte Mord erfolgte 2007, an der Polizistin Michèle
Kiesewetter. Dazu gab es zwei Bombenanschläge in Köln und 15 Raubüberfälle.
Zschäpe habe von allen Taten gewusst und diese auch unterstützt,
unterstreicht nun Diemer, eine Koryphäe der Bundesanwaltschaft, seit 30
Jahren im Amt. Sie sei „mitsteuernde Tatgenossin“ gewesen. „Ein eiskalt
kalkulierender Mensch, für den Menschenleben keine Rolle spielen, wenn es
um die Durchsetzung ihres Willens geht.“ Für jeden der zehn Morde, für die
zwei Anschläge und auch für einen Banküberfall, bei dem Zschäpes Kumpanen
Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt um sich schossen, fordert Diemer jeweils
lebenslange Haft. Gleiches für Zschäpes letzte Tat: das Anzünden des
NSU-Unterschlupfs in Zwickau im November 2011, das eine betagte Nachbarin
in Lebensgefahr brachte.
Bis heute habe Zschäpe weder glaubhafte Reue noch eine Abkehr von ihrer
rechtsextremen Ideologie gezeigt, sagt Diemer. Vielmehr habe sie auch nach
dem Tod von Böhnhardt und Mundlos noch die zynische Bekenner-DVD des Trios
verschickt. Es sei nicht ausgeschlossen, dass Zschäpe ihre terroristischen
Absichten weiter vertritt, betont Diemer. Eine Sicherungsverwahrung sei
daher zwingend – um Zschäpe Zeit für eine Läuterung zu geben und die
Allgemeinheit vor ihr zu schützen.
Mit der geforderten Höchststrafe könnte Zschäpe nun für viele Jahre hinter
Gitter verschwinden – wenn die Richter der Bundesanwaltschaft folgen.
Bisher jedenfalls ließ der Vorsitzende Richter Manfred Götzl im Prozess
nicht durchblicken, dass er an der Anklage Zweifel hat.
Diemer fordert auch für die vier Mitangeklagten teils hohe Strafen. Für den
als Beschaffer der Česká-Mordwaffe beschuldigten Ralf Wohlleben plädiert er
auf eine zwölfjährige Haftstrafe. Holger G., der dem Trio eine Waffe
zustellte und Papiere überließ, soll für fünf Jahr ins Gefängnis. Milder
wird es für Carsten S., der die Česká den Untergetauchten überbrachte: Für
ihn fordert Diemer drei Jahre Haft nach Jugendstrafrecht – weil der
Szeneaussteiger zur Tatzeit noch Jugendlicher war und die Ermittler erst
durch sein umfassendes Geständnis überhaupt auf seine Fährte kamen.
Ganz anders als André E.: Dem NSU-Trio hielt der überzeugte Neonazi bis zum
Schluss die Treue. Er besorgte Wohnungen, Wohnmobile und Papiere. Bis heute
schweigt E. darüber – und hoffte so, glimpflich davonzukommen. Diemer aber
fordert nun auch für ihn eine 12-jährige Haftstrafe und die sofortige
Festnahme.
André E. wirkt überrumpelt, sein Verteidiger protestiert erfolglos: Noch im
Saal wird E. vorläufig festgenommen. Bis zum Mittwoch will das Gericht nun
beraten, ob es tatsächlich einen Haftbefehl erlässt. Immer wieder hatte
André E. den Prozess grinsend verfolgt. Nun schüttelt er den Kopf, schreibt
aufgeregt SMS – und wird dann abgeführt.
Im Saal verfolgt die Szenen auch Yvonne Boulgarides, Witwe des 2005 in
München erschossenen Theodoros Boulgarides. Gerechtigkeit werde es für sie
nach dem Mord nicht geben, sagt sie. Auch weil so viele Fragen noch offen
seien. Aber heute, mit den hohen Strafforderungen, „da spüre ich etwas
Genugtuung“.
Ab Donnerstag sollen nun die Opfer eine Stimme im Prozess bekommen – mit
den Plädoyers der Nebenklage. Auch diese werden sich über Wochen ziehen: 55
Anwälte der Betroffenen wollen Schlussworte halten. Erst danach folgen die
Plädoyers der Verteidiger – und dann das Urteil.
Kommentar
13 Sep 2017
## AUTOREN
Konrad Litschko
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