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# taz.de -- ZUKUNFT Der liberale Ökonom Thomas Straubhaar vom Hamburgischen We…
Moderation Gernot Knödler
taz: Herr Straubhaar, warum braucht Deutschland ein bedingungsloses
Grundeinkommen?
Thomas Straubhaar: Um die Weichen richtig zu stellen für die großen
Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Die Öffnung der Märkte im Zeitalter
der Globalisierung hat zu einer Polarisierung zwischen Arm und Reich
geführt, die durch die Digitalisierung verstärkt werden wird. Der
zunehmende Einsatz von Robotern untergräbt das soziale Sicherungssystem,
das auf Beiträgen von abhängig Beschäftigten beruht. Und schließlich wird
die demografische Alterung einem umlagefinanzierten Rentensystem die
finanzielle Grundlage entziehen.
Wir erleben ja nicht die erste technologische Revolution. Was ist das
grundlegend Neue an der Digitalisierung?
Straubhaar: Bei allen technologischen Revolutionen vorher ist genauso
Arbeit durch Kapital ersetzt worden. Neu ist nun jedoch, dass wir
historisch die einmalige Chance haben, die Arbeitswelt völlig neu zu
denken. Wir können den Menschen von der Arbeit emanzipieren und Roboter
jene Dinge erledigen lassen, die Menschen verschleißen.
Herr Krämer, das müsste Ihnen bekannt vorkommen …
Ralf Krämer: Ja, aber ich halte die Ausgangsthesen für falsch. Durch die
Digitalisierung wird sich nicht ändern, dass die Erwerbsarbeit weiterhin
die Grundlage sein wird. Weltweit wächst die Erwerbstätigkeit. Die
gesamtwirtschaftlichen Produktivitätszuwächse sind sogar langsamer als
früher. Ich finde aber durchaus, dass die neuen Techniken genutzt werden
müssten, um Menschen von Arbeit zu entlasten, vor allem von schlechter und
ungesunder Arbeit. Dazu muss man aber gezielt die Arbeit humanisieren. Man
muss die Mitbestimmung ausbauen und die Arbeitszeit verkürzen – anstatt zu
denken, man gibt den Leuten ein Grundeinkommen und dann regelt sich das von
alleine.
Ihr Modell, Herr Straubhaar, würde auch darauf hinauslaufen, dass die Leute
weniger arbeiten.
Straubhaar: Ganz genau. Die Punkte, die Herr Krämer genannt hat, sind
völlig kompatibel mit dem Grundeinkommen. Das Grundeinkommen zielt darauf
ab, Menschen mit Macht auszustatten, sodass sie nicht jede Arbeit annehmen
müssen. Herr Krämer, Sie sagen zurecht, dass wir noch nie so viele Menschen
in Deutschland in Lohn und Arbeit hatten wie heute. Ergebnis dieses
Anstiegs der Beschäftigtenzahl ist aber, dass sich die Polarisierung
zwischen gut und schlecht Verdienenden verstärkt hat und dass die
Arbeitseinkommen im Niedriglohnsektor geringer gewachsen sind als die
Kapitaleinkünfte.
Inwiefern würde denn das bedingungslose Grundeinkommen diese Schere
schließen?
Straubhaar: Das Grundeinkommen ist kein Instrument, um Ungleichheit zu
beseitigen, sondern um absolute Armut zu verhindern. Es ist nicht zur
Vermögensumverteilung gedacht sondern dazu, dass die Beschäftigten in eine
stärkere Position gegenüber den Arbeitgebern kommen.
Führt das tatsächlich zu einer stärkeren Position gegenüber den
Arbeitgebern, Herr Krämer?
Krämer: Nein. Herr Straubhaar hat zum Schluss gesagt, dass das
Grundeinkommen wahrscheinlich gar nicht die Folgen hätte, die er am Anfang
nahegelegt hat, nämlich die Probleme zu bekämpfen, die wir tatsächlich
haben. Wir haben zunehmende Ungleichheit, eine Ausweitung prekärer,
ungesicherter, schlecht bezahlter Arbeit. Ich halte diese Entwicklungen
keineswegs für eine sachzwanghafte Folge von Digitalisierung und
Globalisierung. Sie hat was zu tun mit Veränderungen, die wir in der
Regulierung des Arbeitsmarktes vorgenommen haben, mit den
Kräfteverhältnissen auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft. Wenn man
das ernsthaft ändern will, muss man dafür sorgen, dass reguläre
sozialversicherungspflichtige Beschäftigung die Norm ist, dass man die
Gewerkschaften stärkt und die Tarifverträge. Auch mit einem Grundeinkommen
sind Einzelne niemals auf Augenhöhe mit der Kapitalseite.
Herr Straubhaar, warum verschafft ein Grundeinkommen den Beschäftigen mehr
Verhandlungsmacht?
Straubhaar: Weil die Menschen wissen, dass ihr Existenzminimum gesichert
ist. Alles, was sie dazuverdienen, kommt obendrauf. Sie können Nein sagen,
ohne ihre Sozialunterstützung zu gefährden. Ich will in keiner Art und
Weise, dass Gewerkschaften beim Grundeinkommen abgeschafft werden, sondern
ganz im Gegenteil: Sie sollten auch in Zukunft kollektiv vorgehen, um für
Gegengewichte gegenüber den Arbeitgebern zu sorgen, um Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer zu unterstützen, beschäftigungsfähig zu bleiben, um sie
weiterzubilden und um ihnen behilflich zu sein in ihrer Suche nach besseren
Arbeitsbedingungen.
Mit einem Grundeinkommen im Rücken schlechte Arbeit ablehnen zu können –
das hört sich doch ganz gut an, Herr Krämer.
Krämer: Was allein geeignet ist, akzeptable Löhne zu sichern, ist eine
flächendeckende Wirkung von Tarifverträgen. Ich finde, dass das, was Herr
Straubhaar gerade gesagt hat, sich viel freundlicher anhört als das, was in
anderen Veröffentlichungen rüberkommt, nämlich dass er den bestehenden
Sozialstaat abschaffen möchte. Er möchte die Arbeitnehmerschutzrechte und
Tarifverträge mehr oder weniger abschaffen, weil dahinter die Vorstellung
steht, mit einem Grundeinkommen könnten die Leute das alles für sich selber
regeln. Das wird nicht funktionieren. Es wird auch in Zukunft auf dem
Arbeitsmarkt Jobs geben, die viele ausüben können und die deshalb schlecht
bezahlt werden – die werden dann noch schlechter bezahlt, weil es dann
keinen Mindestlohn mehr geben wird. Wenn die Leute nicht mehr darauf pochen
können, dass sie von dem Geld leben müssen, werden sie auch für zwei oder
drei Euro arbeiten.
Ein Grundeinkommen wäre ja faktisch ein Mindestlohn.
Krämer: Die Frage ist, wie hoch ist so ein Grundeinkommen und was geht
dafür über die Wupper? Ich bin ganz dafür, die Hartz-IV-Regelungen zu
beseitigen und wieder zu einer Mindestsicherung auch bei
Langzeiterwerbslosigkeit zu kommen, die erstens höher ist als heute,
zweitens die Leute nicht mit Sanktionen bedroht und die Zumutbarkeitsregeln
wieder herstellt. Herrn Straubhaars Grundeinkommen wäre nicht viel höher
als Hartz IV, weil die Leute davon auch noch ihre Krankenversicherung und
Ähnliches bezahlen müssten. Ein Komfort-Grundeinkommen von deutlich über
1.000 Euro und der bisherige Sozialstaat bleibt dabei erhalten, ist aber
eine völlig irreale Wünsch-dir-was-Vorstellung, die eine gigantische
zusätzliche Abgabenlast und Kontrollen, um diese durchzusetzen, zur Folge
hätte.
Herr Straubhaar, Sie gehen von einem 1.000-Euro-Grundeinkommen aus und
haben es auch durchgerechnet.
Straubhaar: Ich setze mich tatsächlich für einen kompletten Umbau des
heutigen sozialstaatlichen Systems ein. Das heutige System ist veraltet,
marode und nicht zukunftsfähig. Stattdessen möchte ich einen neuen
Sozialstaat errichten, der viel effizienter, gerechter und liberaler wäre.
Die Gewerkschaften sollten auch in einem System mit Grundeinkommen eine
wichtige Rolle als Dienstleister spielen. Dabei halte ich 1.000 Euro für
eine realistische Summe. Sie entspricht eher mehr als weniger dem
Mindestlohn, weil es sich um 1.000 Euro netto handelt. Damit könnte auf den
Mindestlohn und den Kündigungsschutz verzichtet werden und auf viele andere
Maßnahmen, die historisch gesehen wichtig waren als Schutz für die
Beschäftigten. Aber in Zukunft wird es nicht mehr so sehr um den
Bestandsschutz von Beschäftigung gehen, sondern um die Fähigkeit, immer
wieder Beschäftigungsangebote wahrnehmen zu können, also um
Beschäftigungsfähigkeit und nicht so sehr um Beschäftigung.
Das hört sich nach einem sehr stark liberalisierten Turbokapitalismus an.
Krämer: So würde ich das auch interpretieren. Ein Grundeinkommen von 1.000
Euro ist kein Luxus. Wenn jemand den Durchschnittslohn von 3.000 Euro
verdient, bleibt netto deutlich mehr übrig. Dem ist nicht damit geholfen,
dass ihm gesagt wird: Du brauchst keine Angst um deinen Arbeitsplatz zu
haben, du kriegst ja dein Grundeinkommen. Und wenn man den Sozialstaat
abschaffen will, muss man überlegen, was das bedeutet: Dabei geht es ja
nicht nur um die Geldleistungen, sondern auch um Personal, etwa bei der
Altenversorgung und Jugendhilfe. Aber den größten Batzen machen die
Sozialversicherungen, insbesondere die Rentenversicherung aus. Was ist mit
den Leuten, die eine private Rentenversicherung abgeschlossen haben? Was
ist mit Leuten, die statt in die Rentenversicherung einzuzahlen, sich ein
oder zwei Mietwohnungen zugelegt haben? Die dürfen ihr Einkommen behalten
und die Rentner werden enteignet. Ich finde das schwierig.
Das hieße, man könnte das jetzige System gar nicht ändern?
Krämer: Das dauert 50 Jahre ungefähr. Man braucht eine Übergangsphase von
mehr als einer Generation.
Herr Straubhaar, wie stellen Sie sich das vor?
Straubhaar: Die Übergangsphase ist sicher nicht kurz. Selbstverständlich
müssen alle bestehenden Zusagen gewahrt bleiben. Die Menschen sollten
jedoch entscheiden können, ob sie bis ans Ende ihres Lebens beim alten
System bleiben oder ob sie auf das neue umstellen wollen. Ältere werden in
der Tendenz beim alten bleiben, jüngere werden wechseln. Was die
Mieteinnahmen angeht, bin ich mit Herrn Krämer wohl einer Meinung, dass wir
alles Einkommen – Arbeitseinkommen von Selbstständigen, Unselbstständigen
und Beamten, Kapitaleinkommen – also Zinsen, Mieteinkommen, Gewinne,
Tantiemen, Lizenzen – gleichermaßen besteuern müssen.
Krämer: Hier gibt es in der Tat keine Differenzen. Wenn aber bestehende
Ansprüche erhalten bleiben sollen, ist die Vorstellung, man könnte auf
Kosten des bestehenden Sozialstaats die Einführung eines bedingungslosen
Grundeinkommens finanzieren, etwas, das man mindestens 30, 40 Jahre in die
Zukunft verlegen müsste. Denn ein Großteil der Leistungen des Sozialstaats
beruht auf Ansprüchen, die man nicht beseitigen kann. Wenn man 1.000 Euro
Grundeinkommen finanzieren will, steht man vor der Frage, wo die
zusätzlichen 800 Milliarden Euro herkommen sollen. Da läge man bei
Abgabensätzen von 80 Prozent.
Straubhaar: Wenn ich einem nach 1985 Geborenen sage, du kannst ab sofort
von dem alten System ins neue wechseln – das heißt, du verzichtest auf alle
erarbeiteten Ansprüche, brauchst aber ab sofort keine
Sozialversicherungsbeiträge mehr zu bezahlen und kriegst bis an dein
Lebensende pro Monat 1.000 Euro – dann vermute ich, dass die Masse
schneller wechseln würde, als wir das erwarten. Denn die wissen haargenau,
dass sie künftig immer mehr einzahlen müssen, um im Alter immer weniger zu
bekommen. Ab dem Jahrgang 1985 ist die Rendite auf die
Rentenversicherungsbeiträge bescheiden bis negativ – vor allem, wenn „er“
oder mehr noch „sie“ nur Teilzeit arbeiten sollte.
Krämer: Jeder, der heute mehr als 1.000 Euro Rente bekommt, würde natürlich
nicht wechseln. Alle die, für die es günstiger wäre, wechselten in das
bedingungslose Grundeinkommen, und alle die, für die es ungünstiger ist,
blieben im alten System. Das würde einige Hundert Milliarden Euro
Mehraufwendungen bedeuten, die man irgendwo reinholen müsste. Die
Unternehmen und Beschäftigten müssten in Größenordnungen von Hunderten
Milliarden Euro zusätzlich bezahlen. Das halte ich für irreal.
Straubhaar: In der Übergangszeit wird es tatsächlich zum Teil erheblich
höhere Belastungen geben für die Steuerzahlenden. Aber ein früher Übergang
wäre billiger als ein später. Heute bezahlen die Unternehmen jährlich 341
Milliarden Euro Arbeitgeberbeiträge in die sozialen Sicherungssysteme. Das
wäre ein Potenzial. Die aus meiner Sicht bessere Idee wäre jedoch, alle
Erträge aus wirtschaftlicher Aktivität zu besteuern: In dem Moment, in dem
die Eigentümer der Roboter sich ein Gehalt auszahlen oder einen Gewinn oder
eine Dividende, schlägt der Fiskus mit genau den gleichen 50 Prozent zu,
mit denen er alle anderen Einkommen auch besteuert.
Wie verhindern Sie unter diesen Voraussetzungen Kapitalflucht?
Straubhaar: Die Angst, das das Kapital ein scheues Reh ist und bei
steuerlicher Belastung ins Ausland abhauen würde, ist eine Fiktion. Die
empirische Evidenz zeigt, dass mit Abstand der größte Anteil des
Kapitalkuchens im Inland angelegt wird.
Krämer: Ich fände es schön, wenn man das von Ihnen auch außerhalb dieser
Diskussion hören könnte, dass die Unternehmen ruhig höher besteuert werden
könnten. Das würde aber zur Finanzierung eines Grundeinkommens einfach vom
Volumen her gar nicht reichen. Grundeinkommen oder Sozialversicherung: Man
kommt nicht daran vorbei, dass das aus dem Volkseinkommen finanziert werden
muss, das im Land hier erwirtschaftet wird – dadurch, dass Erwerbsarbeit
geleistet und produziert wird. Daraus entstehen auf der einen Seite
Lohneinkommen und auf der anderen Seite Gewinne und Vermögenseinkommen. Es
muss immer aus diesem Kuchen herausgeschnitten werden.
Straubhaar: Das ist genau meine Herangehensweise. Die Bruttowertschöpfung
in Deutschland beträgt rund drei Billionen pro Jahr. Wenn Sie die zu 50
Prozent besteuern, sind 1.000 Euro Grundeinkommen nicht mehr unrealistisch.
Krämer:Diese Rechnung geht nicht auf. 44 Prozent dieser Bruttowertschöpfung
werden bereits für bestehende öffentliche Aufgaben und Sozialleistungen
umverteilt. Es wären etwa 25 Prozentpunkte zusätzlich erforderlich.
Wie würde sich das Grundeinkommen auf die Arbeitsmoral auswirken?
Straubhaar: Das Arbeitsangebot wird zurückgehen, das ist aber genau das,
was ich als Chance betrachte, dass wir gar nicht mehr so viel arbeiten
müssen, um als Gesellschaft gut überleben zu können. Der Rückgang wird vor
allem schlecht bezahlte, gefährliche, krank machende Arbeit betreffen. Bei
Jobs, die Spaß machen, die Sinn stiften, interessant sind, wo man anständig
bezahlt wird, wo man im Team etwas erreichen kann, wo man wertgeschätzt
wird – dort wird schlagartig eine ganz andere Mentalität dominant sein. Ich
habe nicht die geringste Sorge, dass sich mehr als genug Menschen finden,
die bereit sind, diese Tätigkeiten zu erledigen. Es gibt Befragungen, die
zeigen: Vielleicht hört mein Nachbar auf zu arbeiten, aber ich selber würde
selbstverständlich meinen Job weiter ausfüllen wollen.
Das hängt aber auch von der gesellschaftlichen Mentalität ab.
Straubhaar: Ich habe mein Modell ausschließlich auf Deutschland bezogen. In
Deutschland haben wir eine historische Chance, uns von dem Mythos zu lösen,
dass nur wer hart und lang arbeitet, ein anständiger Mensch ist. Dann
verschwindet auch das Thema „Fachkräftemangel“ von der Bühne, weil wir die
Chance haben, mit weniger Arbeitszeit mehr zu leisten.
Krämer: Dann haben wir aber auch kein demografisches Problem. Dann ist die
Erwerbsbevölkerung, die übrig bleibt, auch 2050 in der Lage, nicht nur für
sich selbst, sondern auch für viele nicht mehr Erwerbsfähige zu sorgen.
Arbeiten müssten die Leute auch bei einem Grundeinkommen. Das Ganze beruht
doch darauf, dass die gesamte Wirtschaft und die gesamte Erwerbsarbeit, die
jetzt geleistet wird, weiter erbracht wird – und zwar alles. Sonst könnte
man für das Geld nichts kaufen und es würde auch die Finanzierung nicht
funktionieren. Der Hauptunterschied besteht darin, dass ein
Riesen-Umverteilungskarussell in Gang gesetzt wird: Zig-Millionen, die es
gar nicht brauchen, erhalten das Grundeinkommen. Gleichzeitig muss man es
ihnen aus der anderen Tasche wieder rausziehen, um es zu finanzieren. Ich
sehe darin keinen Vorteil, sondern nur eine ganze Menge Probleme.
9 Sep 2017
## AUTOREN
Gernot Knödler
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