Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Diese Lust an Visionen
> Wo Berlin tanzt 1 Die Berliner Tanzszene ist eine der größten Szenen
> weltweit: Eine Serie stellt wichtige Tanzorte und Netzwerke vor. Wir
> starten in den Uferstudios im Wedding
Bild: Die „Tanzbrutstätte“ Uferstudios ist ein Ort der Vernetzung
von Astrid Kaminski
„Offer-Studios“ sagt Akiles, wenn er von den Uferstudios spricht. Der Mann
mit den wippenden dunklen Locken, der beim Tanzen viel ernster wirkt, als
wenn er spricht, probt in der Tanzfabrik Kreuzberg, der Technikschmiede des
zeitgenössischen Tanzes in Berlin, für sein Solo, das er in wenigen Tagen
in den Sophiensælen in Mitte zeigen wird. Dass in diesen zwei Sätzen drei
Orte vorkommen, sagt einiges darüber aus, wie der Tanz in Berlin
funktioniert: vernetzt.
Und wie Akiles, der aus dem Irak stammt, aber bis zum Krieg in Syrien
gelebt hat und mit Hilfe des Gorki Theaters nach Berlin kam, das Wort
„Uferstudios“ ausspricht, sagt einiges darüber, was den Charakter dieses
2011 in Betrieb genommenen Backsteinareals im Wedding ausmacht: Angebote
machen. Oder wie es Eva-Maria Hoerster, Koordinatorin für
Projektentwicklung und Forschung des dort angesiedelten
Hochschulübergreifenden Zentrum Tanzes (HZT), zusammenfasst: „Es wird hier
sehr viel möglich gemacht.“
Die zeitgenössische Tanzszene in Berlin lebt von dem, was sie selbst zu
bieten hat. Keine der Berliner Institutionen wurde auf Initiative von Senat
oder Bundeseinrichtungen lanciert. Kulturpolitisch ist Berlin noch nie über
das Ballett hinausgekommen, und doch ist die Stadt derzeit eine der
pulsierendsten Metropolen des zeitgenössisches Tanzes überhaupt. Kaum eine
andere Stadt der Welt bietet eine Wahl aus bis zu zehn Vorführungen am Tag.
Und trotzdem gibt es mehr Tänzer*innen, als gebraucht werden – das war die
zunächst nüchterne Einschätzung von Akiles (der unter seinem Vornamen
arbeitet). Wie funktioniert dieses quirlige Miteinander hier in diesem
Auffangbecken für eine weltweit marginalisierte Kunstsparte, in der sich
US-amerikanische, israelische und osteuropäische Expats, Afrikaner und
Asiaten gegenseitig das Wasser abgraben und trotzdem was auf die Beine
stellen?
Dass diese Frage zunächst zu den Uferstudios führt, ist insofern nicht
unproblematisch, als der Berliner Tanz eigentlich gerade auch auf seine
dezentrale, nicht hierarchische Ansiedelung stolz war. „Macht es Sinn, so
viele Institutionen an einem Ort zu konzentrieren?“, fragte sich Gabi
Beier, die künstlerische Leiterin der ada-Studios, einer Bühne für Newcomer
und Berlin-Einsteiger, als sie auf dem Terrain an der Uferstraße mit an den
Start ging. Sie war die letzte im Boot. Die anderen großen Partner sind die
Tanzfabrik, die damit neben Kreuzberg einen zweiten Standort hat, und das
aus der Szene selbst hervorgegangene Studienzentrum HZT, das eine so
internationale wie interdisziplinäre Avantgarde anzieht. Die Uferstudios
selbst sind die Kuppelorganisation, eine GmbH, die sich durch
Studiovermietungen finanziert, mit langem Atem geplant und zugeschnitten
auf die Bedürfnisse der Szene. Aber sie sind noch viel mehr als das.
Wer von der Badstraße, einer der rauesten Berliner Kiez-Hauptstraßen, aus
kommt, erlebt den Ort wie Akiles als eine Oase. Ein Sog, wie ein Luftzug,
leitet zum großen zentralen Innenplatz. Der andere Eingang von der
Uferstraße aus weist darauf hin, dass die Studios den Kiez verändern: Hier
herrscht Kreativklima. Zwei Eingänge, zwei Welten. Irgendwann sollen sie
hier zusammenfinden auf dieser urbanen Teer-Arena, die seit dem Sommer 2016
einen „Impossible Forest“ beherbergt.
## Vogueing-Shooting
Den hat der Tänzer und Choreograf Jared Gradinger im Auftrag des letzten
Tanznacht-Festivals geschaffen: ein Ensemble aus abgestorbenen Bäumen und
lebender Grünfläche als Vanitas-Biotop. Etwas Surreales geht davon aus. Was
sich zum Beispiel die modebewusste Vogueing-Szene schon in
bizarr-stimmungsvollen Shootings zu eigen gemacht hat.
Andere sehen dagegen tote Bäume mit Unkraut in dem Ensemble. Diese
Spannbreite in der Wahrnehmung zwischen Erhabenem und Pragmatischem passt
gut zu den Uferstudios und den drei eisernen Raucherinnen, die abwechselnd
ihre Köpfe aus einem der Bürofenster halten: Conny Breitkreutz, Simone
Willeit und Barbara Friedrich.
Conny Breitkreutz ist für das Booking zuständig. Simone Willeit hat bis zum
Sommer das Berliner Tanzbüro, die Interessensvertretung der Szene,
geleitet. Sie ist nun zusammen mit Barbara Friedrich Geschäftsführerin der
Studios. Friedrich wird sogar von den Geflüchteten, mit denen die Studios
durch regelmäßige Projekte und Tanzpartys in Kontakt stehen, „Mama Barbara�…
genannt. Zum Team gehören außerdem Maik Richter, der für Haus und Gelände
verantwortlich ist, und Benjamin Schälike, der die Bühnentechnik der
Studios betreut. Das gesamte Team ist ein Glücksfall für die
Tanzbrutstätte: Leute, die nicht geschmäcklerisch sind, die Ärmel
hochkrempeln können und dabei nie vergessen, über den Tellerrand zu
schauen.
Aber „Mama Barbara“, die sich selbst viel zu kantig für diesen allseits
gebrauchten Kosename findet, ist ein Sonderfall. Sie ist das menschliche
Pendant zum ehemaligen Heizkraftwerk des Geländes, das nun, nachdem ein
Erbpachtvertrag auf die Dauer von 196 Jahren abgeschlossen werden konnte,
zum Begegnungsort werden soll. Eigentlich sollte dieser Text von Barbara
Friedrich handeln, aber das war der gestandenen Tanzmanagerin, die zuvor
schon die Berliner Tanztage als beliebtes Nachwuchsfestival gegründet sowie
ebenfalls das Tanzbüro geleitet hat, gar nicht Recht. Wenn man Häuser zu
sehr mit Personen verbinde, sei das kulturpolitisch verheerend, so das
Argument der resoluten Frau mit dem Löwenherz. Nicht über Lady Di sondern
über die Monarchie solle gesprochen werden.
Eine Monarchie sind die Uferstudios ganz sicher nicht. „Sie beansprucht den
Ort nie für sich, sondern sie ist extrem stolz darauf, behaupten zu können,
dass er uns allen gehört“, unterstreicht der Wald-Erfinder Jared Gradinger.
Neben dem „Impossible Forest“ hatte er noch zwei andere Gartenideen
vorgestellt, aber Barbara Friedrich wollte das Unmögliche. Diese Lust an
Visionen repräsentiert genauso den Ort wie die Tanzszene, für die er steht.
Oder vielmehr die verschiedenen Szenen und ihre Überlebenskämpfe, die fast
ausschließlich von prekären Visionären vorangetrieben werden. Barbara
Friedrich ist Meisterin im Schlafentzug: „Meine Hauptaufgabe lässt sich auf
den Punkt bringen, die Insolvenz der Uferstudios zu vermeiden.“ Aber wenn
jemand ein offenes Ohr braucht oder neue Ideen zirkulieren, was natürlich
immer der Fall ist, werden die Zahlen in die Nacht verlagert.
Die Tatsache, dass die Uferstudios aus der Eigeninitiative Tanzschaffender
entstand, ist der Leitfaden der Geschäftsführung, die ihre Sitzungen
öffentlich abhält. Barbara Friedrich und Simone Willeit sehen den Ort als
„Netzwerk der Netzwerke“, was sie in erster Linie dazu verpflichtet, eine
„Atmosphäre zu schaffen, die nicht gegeneinander gerichtet ist“. Zahlreiche
Projektgruppen sind entstanden: vom berühmt-berüchtigten Social Muscle Club
über Partys mit Geflüchteten und einem Angebot für die Vor-Ort-Bevölkerung
bis hin zur Choreograf*innen-Arbeitsgruppe „How do we work it“, in der auch
Akiles Zugang zu Kolleg*innen fand. Eine wirklich produktive Durchmischung
von Kiez- und Tanzszene ist dagegen noch Zukunft. Aber eine, die
vorstellbar ist.
2 Jan 2017
## AUTOREN
Astrid Kaminski
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.