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# taz.de -- Der Makroblick auf ein Hybridmasthuhn
> Kunst Die naturwissenschaftliche Forschung hat ihre eigenen bildgebenden
> Programme. Mit deren Ästhetik experimentiert Andreas Greiner in seiner
> Ausstellung „Agentur des Exponenten“ in der Berlinischen Galerie
Bild: Andreas Greiner, Ulrike, Euastrum oblongum (eine Zieralge), elektronenras…
von Katrin Bettina Müller
123 Knochen hat das Masthuhn. Sie sind einzeln abgebildet und mit
lateinischem Namen versehen in dem Katalog, der zu der Ausstellung von
Andreas Greiner in der Berlinischen Galerie gehört. Im Museum selbst
erkennt man das Huhn nicht gleich. Eher denkt man bei dem sieben Meter
hohen Skelett, das die Ausstellung dominiert, an einen Dinosaurier aus dem
Naturkundemuseum, angriffslustig aufgerichtet. Dabei ist hier im Maßstab
20:1 jeder der 123 Knochen des handelsüblichen Geflügels vergrößert,
hergestellt mit einem 3-D-Drucker. „Monument für die 308“ heißt die
Skulptur – 308, die Typbezeichnung für ein in vier Wochen viel Fleisch
ansetzendes Huhn, verweist auf 308 Kreuzungsversuche, die diesem
Hybridmasthuhn vorausgingen. Sein Körperbau zeichnet sich durch kürzere,
kräftigere Beine aus, schon um das eigene Gewicht (bis zur Schlachtung)
tragen zu können.
Alle dies kann man im Katalog nachlesen. Aber schon, bevor man ihn zur Hand
nimmt, bevor sich die naturwissenschaftliche Anmutung der Objekte mit
Wissen verbindet, denkt man sich in einem doppelten Raum, in zwei
Richtungen mit Bezügen versehen und mit Bedeutung belegt. Die eine Richtung
ist die Kunst, Skulptur, Fotografie, Installation, die hier vielfach bild-
und modellgebende Techniken der Wissenschaft nutzt. Die andere Richtung ist
die Natur, Ausgangspunkt für jedes Bild, jede Darstellung. Nichts ist auf
Anhieb erkennbar oder eindeutig zuzuordnen. Maßstabssprünge und
Vergrößerungen sind dabei längst nicht das einzige Mittel der
Sichtbarmachung und Verfremdung, auch andere Übersetzungen finden statt.
In den „Autopoetischen Partituren“, einer Videoinstallation mit
automatischem Klavier, sind Bewegung und Sound so aufeinander bezogen, als
ob sie sich gegenseitig hervorbrächten. Man sieht leuchtende Punkte und
farbige Flecken auf einer bewegten Fläche, die sich wellt und glättet,
dehnt und zusammenzieht, während der Sound pulsiert oder schlürfend und
schleifend nach Leben unter Wasser klingt. Man weiß erst nicht so genau:
Ist dieses schöne Farbenspiel technisch oder biologisch erzeugt? Bis man
den Infozettel mit den Titeln und den technischen Angaben zur Hand nimmt:
Auf die biolumineszierende Haut eines Tintenfischs geht dieser Tanz der
Farben zurück, zusammen mit dem Musiker Tyler Friedman hat Greiner an den
Partituren gearbeitet.
Die Ausstellung in der Berlinischen Galerie ist Teil des Gasag
Kunstpreises, den Andreas Greiner erhalten hat. Der 1979 geborene Künstler
studierte Medizin, bevor er zur Kunst wechselte und Meisterschüler von
Olafur Eliasson wurde, der ebenfalls an der Schnittstelle von Wissenschaft
und Ästhetik arbeitet. Diese Schnittstelle wird nicht nur von Künstlern
besetzt: Man denke nur an die vielen Fernsehsendungen über Wunder der
Natur, die vielen Fotoforen, auf denen farbenprächtige Vergrößerungen
kleinster Lebewesen staunen machen. Oder an die vielfachen Wiederauflagen
von Ernst Haeckels „Kunstformen der Natur“, zuerst 1904 erschienen, zuletzt
auch als Pop-up-Buch erhältlich.
Der Markt der Bilder, die der Natur so nahekommen, wie kein Mensch es ohne
aufwendige Ausrüstung kann, ist gigantisch, und es ist zu vermuten, dass er
wächst, je mehr Menschen in Städten wohnen und je größer das Wissen von der
Zerstörung der Umwelt ist. Was wir real von der Natur erfahren und wie sie
uns vermittelt wird, das driftet immer weiter auseinander.
Das ist eine ambivalente Situation, ein Spannungsverhältnis zwischen
Erfahrung und Sehnsucht, zwischen Fremdheit und Nähe. Diese Spannung zu
thematisieren, sie wie die Saiten eines empfindlichen Musikinstruments zum
Klingen zu bringen ist etwas, das Andreas Greiner in seiner Kunst
unternimmt. Er stellt dabei auch den technischen Aufwand vor, mit dem in
die Biologie eingegriffen wird zu ihrer Erforschung oder auch zur
industriellen Erzeugung. Die Trennung zwischen Natur und Technik wird dabei
immer poröser und imaginärer.
Vielleicht leben wir längst schon in einer Welt, die wir uns immer noch als
eine Futuristische denken. In dem Film „Arrival“ von Denis Villeneuve, der
im November 2016 in die Kinos kam, schleudern außerirdische Riesenkraken
mit ihren Tentakeln wunderbare Kalligrafien in den Raum, deren
Entschlüsselung die große Herausforderung ist. Etwas Ähnliches führt uns
Andreas Greiner im Grunde auch vor, nur dass die Algen, Hühner und Fische,
von denen seine Werke erzählen, unseren Planeten mit uns teilen.
Andreas Greiner in der Berlinischen Galerie, bis 6. Februar, Mi.–Mo. 10–18
Uhr
Am 6. 2., 18 Uhr, Abschlussperformance mit Andreas Greiner und Tyler
Friedman
28 Dec 2016
## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
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