# taz.de -- „Jeder Wachmann war verantwortlich“ | |
> Ermittlungen Jens Rommel, Leiter der Zentralen Stelle zur Ermittlung von | |
> NS-Verbrechern, zu den Konsequenzen des Urteils | |
taz: Herr Rommel, welche Bedeutung hat das Urteil des Bundesgerichtshofs | |
für die weitere Strafverfolgung von mutmaßlichen NS-Straftätern? | |
Jens Rommel:Wir sehen uns mit dieser Entscheidung in unserer Auffassung | |
bestärkt, wonach auch der einzelne Wachmann mitverantwortlich ist für die | |
systematischen Morde in Auschwitz. Das sind Verbrechen, die dadurch | |
gekennzeichnet sind, dass sie dort bürokratisch organisiert von vielen | |
Beteiligten begangen worden sind. Wir werden jetzt genau analysieren, unter | |
welchen Voraussetzungen sich einzelne Personen in der Organisation eines | |
Konzentrationslagers strafbar gemacht haben. Wir haben unsere Schwerpunkte | |
ja an dem weiten Begriff der Beihilfe ausgerichtet und unsere Ermittlungen | |
auf andere Lager ausgedehnt. Wir werden genau schauen, an welchen Stellen | |
die neue Rechtsprechung uns weitere Ermittlungen ermöglicht. | |
Tausende mutmaßliche NS-Straftäter sind davongekommen, weil über Jahrzehnte | |
die Rechtsauffassung galt, dass alleine die Tätigkeit in einem | |
NS-Vernichtungslager nicht zu einer Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord | |
ausreicht. Kommt das BGH-Urteil nicht 30 Jahre zu spät? | |
Ich glaube, jede Juristengeneration muss versuchen, sich diesen staatlichen | |
Verbrechen anzunähern. Wir machen das mit dem gleichen Gesetz, das damals | |
schon gegolten hat – aber wir versuchen, die Besonderheiten dieser | |
Massenverbrechen zu berücksichtigen. Ich hätte mir auch gewünscht, dass das | |
Ganze früher so gekommen wäre. | |
Gegen wen ermittelt die Zentralen Stelle derzeit konkret? | |
Die jetzige Entscheidung betrifft Auschwitz und Majdanek. Beide Lager waren | |
schon in den vergangenen Jahren Schwerpunkte bei den Ermittlungen der | |
Zentralen Stelle. Wir haben jetzt auch die Lager Stutthoff, Bergen-Belsen | |
und Neuengamme in den Blick genommen und zuletzt unsere Ermittlungen auf | |
Buchenwald und Ravensbrück ausgedehnt. Wir müssen zunächst prüfen, ob auch | |
in diesen anderen Lagern systematische Ermordungen zu bestimmten | |
Zeitpunkten nachzuweisen sind. Danach geht es darum, das Personal ausfindig | |
zu machen, dass in dieser Zeit Dienst getan hat. | |
Bei den Ermittlungen in Stutthoff haben Sie die Vorermittlungen | |
abgeschlossen und an die Staatsanwaltschaften abgegeben? | |
Ja. Im Sommer konnten wir acht Verfahren abgeben. Das betrifft vier | |
Wachmänner und vier Frauen, die in der Kommandantur tätig gewesen sein | |
sollen. Das betrifft Staatsanwaltschaften von Hamburg bis München, die | |
jetzt weiter ermitteln und entscheiden müssen, ob Anklage erhoben werden | |
kann. | |
Die letzten noch lebenden mutmaßlichen NS-Straftäter sind heute alle | |
mindestens 90 Jahre alt. Was glauben Sie, wie lange wird die Zentrale | |
Stelle noch ermitteln? | |
Die Justizminister der Länder, die die Zentrale Stelle tragen, haben sich | |
im letzten Jahr mit dieser Frage befasst und erklärt, ein Ende der | |
Ermittlungen sei noch nicht absehbar. Der baden-württembergische | |
Justizminister hat 2015 von zehn Jahren gesprochen. Das wäre dann 2025. Das | |
scheint auch mir persönlich die Obergrenze zu sein. | |
Interview Klaus Hillenbrand | |
29 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Klaus Hillenbrand | |
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