# taz.de -- Gloria Was bleibt von Helmut Dietls München? Ein Wiedersehen mit d… | |
Bild: Helmut Dietl 1983 auf der Leopoldstraße, als Schwabing noch so war wie i… | |
Von Ambros Waibel | |
Auf der Suche nach ihrem abgestürzten Franz klappert das „Spatzl“ in der | |
letzten Folge von „Monaco Franze: Der ewige Stenz“ (Erstausstrahlung 1983) | |
die Unterwelten des Münchner Nachtlebens ab: keineswegs die beim rigiden | |
Sperrstundensystem der Münchener 80er Jahre ohnehin kaum verbreiteten Clubs | |
oder Discos – und auf gar keinen Fall das berüchtigte P1. Sondern die | |
Frühlokale und Stehausschänke, die bahnhofshallenartigen „Boazn“, wo | |
gescheiterte Existenzen ihre Köpfe in Bierlachen betten. Am Tresen einer | |
dieser Lokalitäten zieht sie sich einen doppelten Ballantine’s rein, zeigt | |
dem verwitterten Stammgast neben sich ein Bild ihres Mannes in all seiner | |
früheren, strizzihaften Eleganz, den suche sie, den „Monaco“. Aber der | |
Stammgast sagt: „Na, Frau, des is a ned.“ | |
Die anschließende Erläuterung, warum er es nicht ist, können wir uns hier | |
sparen. Denn wenn bei dem Autor und Regisseur Helmut Dietl (1944–2015) | |
immer die Rede ist von der Akribie, mit der er jahrelang einen einzigen | |
Satz hin und her erwägte – er selbst nannte seine Drehbücher „Partituren�… | |
–, dann muss man sagen: In dieser Tresenszene sitzt nicht nur künstlerisch | |
noch immer alles, sie ist auch ein Museum der Linguistik. Denn die | |
proletarisch-münchnerische Anrede „Frau“, so wie man im französischen | |
einfach „Madame“ oder im italienischen „Signora“ sagen kann: die ist | |
inzwischen ausgestorben. Und ebenso undenkbar wäre heute die Szene aus der | |
ersten „Monaco“-Folge, in der der Held allein an der Art, wie eine Frau – | |
die er angesprochen und die ihn abgewiesen hat – sich bewegt und wie sie | |
redet, rekonstruieren kann, in welchem Viertel Münchens sie wohnt. | |
All das, solche fein gegliederten Stadtidentitäten, hat es gegeben. So wie | |
es die unbändige Sehnsucht von Vorstadt-Heranwachsenden gegeben hat nach | |
einem ganz bestimmten Teil Schwabings, dem Dietl-Schwabing, zwischen | |
Leopoldstraße und Nordbad. | |
„Münchner Geschichten“ (1974), „Der ganze normale Wahnsinn“ (1979), �… | |
Franze“ (1983) „Kir Royal“, (1986): mit ihnen gibt es ein Wiedersehen an | |
diesem Samstagabend, den der Bayerische Rundfunk Helmut Dietl widmet. Und | |
man sagt nichts Neues, wenn man den Bruch konstatiert zwischen diesen vier | |
großen Gesellschaftspanoramen Dietls und dem Rest seines Werks. Man muss es | |
aber vielleicht noch mal deutlich sagen: Nach „Rossini“, dem Kinofilm, in | |
dem er 1997 Motive aus der TV-Arbeit sammelte, teils verdichtete, teils | |
aber auch schon ins Misslungene überzog, hat der Regisseur Dietl nichts | |
mehr hervorgebracht, woran man sich erinnern müsste. Dem Produzenten Dietl | |
ist dagegen mit „Wambo“ (2001), der Filmbiografie des ermordeten Volks-, | |
Fassbinder- und Syberberg-Schauspielers Walter Sedlmayr, noch mal ein | |
glänzender und gemeiner Film gelungen. | |
Dietl wurde kein Fassbinder, trotz Oscar-Nominierung für „Schtonk“ (1992), | |
den sich heute wieder anzuschauen doch sehr enttäuscht. Noch weniger einen | |
Gefallen tut man dem im März letzten Jahres verstorbenen Dietl damit, ihn | |
nachträglich zum „exzellenten Schriftsteller“ zu deklarieren, wie es der | |
Klappentext seiner gerade erschienenen und Fragment gebliebenen | |
Autobiografie tut: Was vorliegt, ist eine interessante, aber recht | |
weitschweifig erzählte Jugendgeschichte, die, von Fragmenten zu „Kir Royal“ | |
abgesehen, 1967 abbricht – also mehr oder weniger genau am Eingangstor zu | |
Dietls hochproduktiver Serienphase. Weiter zu schreiben, daran hinderte ihn | |
seine Krebserkrankung. | |
Ja und jetzt? Wollen wir einem Jahrhundertereignis Karl Valentin vorwerfen, | |
dass er nicht Charlie Chaplin geworden ist? Faszinierend ist ja gerade | |
dieses valentinesk-umständlich-sentimental Kleinbürgerliche an Dietl und | |
seinen Figuren, das durch die große Stenz-Geste aufgehoben werden muss, | |
aber eben dann doch in den Filmstudios München-Geiselgasteig hängen bleibt, | |
anstatt sich nach Hollywood aufzuschwingen. Und selbst beim verdienstvollen | |
Helmut-Dietl-Abend des Bayerischen Rundfunks wird eine Folge von Dietls | |
„unbekanntester Serie“, Titel „Der ganz normale Wahnsinn“, mit dem | |
fantastischen Schauspieler Towje Kleiner um 1.40 Uhr gesendet – als würde | |
sie nicht alles ausstechen, was man im deutschen Fernsehen so zur | |
Hauptsendezeit serviert bekommt. | |
Jede Häme gegenüber Mann und Werk verbietet sich, sobald man sich die | |
Tragik klarmacht, dass hier einem genialen Kleinbürger das Milieu, aus dem | |
er schöpfte, unter den Händen weggentrifiziert wurde und dass er selbst ein | |
bewusster Protagonist dieses Verschwindens war, mit all dem hohlen | |
80er-Jahre-Chichi und Gekokse, Gesaufe, Geficke, Geprahle und Ge-Prada. | |
„Es gelingt einem nicht mal, seine eigenen Depressionen ernst zu nehmen – | |
und das macht einen erst recht depressiv.“ Das ist so ein Dietl-Satz, für | |
den es sich schon mal rentiert, die in Erzählung und Bild arg | |
weichgezeichnete BR-Doku „Schwermut und Leichtigkeit. Dietls Reise“ von | |
Lars Friedrich anzuschauen. Aber es geht noch härter, wenn nämlich erst | |
ganz berechtigt Dietls Fähigkeit hervorgehoben wird, die Lächerlichkeit der | |
Männer gegenüber den Frauen, in die sie sich verschießen, mit Zärtlichkeit | |
darzustellen – und dann Dietl mit der Aussage über die vielen starken | |
Frauen seines Lebens folgt: „Letztlich war dann eine wie die andere.“ | |
Das eröffnet vielleicht tatsächlich einen anderen Blick auf Dietls Werk, | |
einen, der das Münchnerische und Antiquierte außen vor lassen kann. Der | |
Tscharli, der Maximilian, der Monaco, der Baby, all diese wahnsinnig | |
charmanten und gut aussehenden und auf ihr Aussehen penibel achtenden | |
Männer, denen letztlich alles auf eine radikale Art wurscht ist, die an gar | |
nichts glauben, schon gar nicht an die Frauen: die würde man heute wohl als | |
totale Soziopathen und gefährlich Depressive wegtherapieren wollen. | |
Ebendas hat Dietl im letzten Kapitel des „Ganz normalen Wahnsinns“ | |
vorweggenommen mit seiner Vision einer ruhiggestellten, glücklichen | |
Menschheit des Jahres 2014, die sich, selbstverständlich freiwillig, | |
künstliche Gehirne und „Aufregungssperren“ hat einsetzen lassen. Es verhä… | |
sich halt so, wie Benjamin von Stuckrad-Barre es in „Panikherz“ Dietl beim | |
letzten gemeinsamen Spaziergang durch sein „Prachtmünchen“ murmeln lässt: | |
„Ja mei, des is halt so a Sache … mit den alten Sachen.“ | |
22 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Ambros Waibel | |
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