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# taz.de -- Der ehrlichste Wettkampf von allen
> Kampfsport Boxen ist ritualisiertes Kämpfen, Partys sind eingehegte
> Ausschweifungen. Bei der „Kreuzberger Kiezboxgala“ boxen
> FreizeitboxerInnen vor feierndem Publikum: K.o.s sind auf beiden Seiten
> zu erwarten
Bild: Boxen ist nicht nur ein beliebter Sport, sondern nach dem Soziologen Loï…
Von Bernd Pickert
Man kann sich Boxen ja schönreden. Das edle Duell, der Gentlemansport.
Klar, um ein guter Boxer zu sein, braucht es Talent, jahrelanges Training,
Technik, Kondition, Taktik, Beweglichkeit, Schnelligkeit. Und jede Menge
Disziplin. Unkontrollierte Aggression führt nirgendwo hin, jedenfalls nicht
zum Sieg im Ring. Wer boxt, weiß, was zu tun ist. Vor allem in Situationen,
die vor allem Nicht-Boxer eher vermeiden wollen. Stehen Laien aus
bestimmten Gründen einem unvermeidlichen Kampf gegenüber, wissen sie oft
nicht, was zu tun ist. Zu viel Adrenalin. Schmerz. Wut. Und Angst.
Boxer kennen das alles. Wer einmal Kämpfer in den letzten Stunden und
Minuten vor einem Kampf begleitet hat, kann hautnah erleben, wie sie mit
sich selbst kämpfen, bevor sie ihrem Gegner gegenübertreten. Boxen ist
eingehegte Aggression, mit Regeln versehen, von Ring- und Kampfrichtern
überwacht und bewertet. Deshalb ist Boxen Sport – was es eindeutig von
einer Prügelei unterscheidet.
Und trotzdem geht es darum, sich gegenseitig auf die Fresse zu hauen.
Deshalb bleibt Kampfsport der ehrlichste, direkteste Wettkampf von allen.
Der MMA-Kämpfer Forrest Griffin hat das in einem lustigen Buch („Voll auf
die Zwölf“, Riva 2012) einmal so beschrieben: Wenn du ein Tennis- oder
Fußballmatch verlierst, kannst du immer noch denken „aber verhauen könnt
ich den“. Wenn du im Kampf verlierst, bist du wirklich geschlagen.
All das ist wohl auch ein Grund dafür, dass sich Leute, die selbst nicht
kämpfen, Kämpfe ansehen. Man weiß nie, was passieren wird. Wer eben noch
stolz und mit gereckten Fäusten und arrogantem Auftritt in den Saal
einmarschiert ist, kann schon eine Minute später K.o. am Boden liegen.
„Jegner am Boden – jutet Jefühl“ hat das mal in der ihm eigenen Art
Graciano „Rocky“ Rocchigiani ausgedrückt. Die andere Seite kannte er
allerdings auch.
Der größte Triumph und die größte Demütigung liegen nur einen rechten Haken
auseinander. Hier dabei zu sein, ohne das Risiko, selbst Teil davon zu
werden – oder ein schlechtes Gewissen zu haben, weil man nicht eingegriffen
hat – die Chance bietet nur ein Kampfabend.
Eine lange Reihe von Denkern, die selbst nie in den Ring steigen würden,
hat sich dem nicht entziehen können. Von der Schriftstellerin Joyce Carol
Oates, deren gesammelte Essays unter dem Titel „Über Boxen“ 2013 auf
Deutsch neu aufgelegt wurden, bis Norman Mailer, dessen auch Jahre später
noch mitfiebernden Kommentare zum legendären „Rumble in the Jungle“ dem
wunderbaren Film „When We Were Kings“ einen Rahmen geben, bis zu Jan
Philipp Reemtsma, der sich in seinem Band „Mehr als nur ein Champion. Über
den Stil des Boxers Muhammad Ali“ dem Sujet intellektuell näherte.
Kurzum: Kämpfen fasziniert. Die US-amerikanische Essayistin Kerry Howley
hat ihre eigene durchaus verwundert-begeisterte Faszination, wenn auch in
diesem Fall für Mixed Martial Arts, in ihrem gerade auf Deutsch
erschienenen Buch „Geworfen“ ausgebreitet. Und als der Vordenker der
US-amerikanischen Ökologiebewegung Ernest Callenbach 1975 in „Ökotopia“
seine Vision einer neuen Gesellschaft entwarf, gehörten dazu auch
ritualisierte Kämpfe in regelmäßigen Abständen. Die Faszination fürs
Kämpfen ist menschlich.
Und so dreht sich an einem Boxabend um, was wir sonst über Aggression
wissen. Die Kämpfer müssen diszipliniert sein, die Zuschauer können sich
gehen und ihren Emotionen freien Lauf lassen.
Wenn sie dazu noch alkoholische Getränke bekommen und die Kämpfe gepaart
sind mit musikalischen Show-Acts, den Burlesque-Tänzerinnen Rosie Riot und
Dynamite Betty, die sich durch die Ringseile räkeln und bei einem K.o. in
den ersten Reihen Wodka ausschenken – dann herzlich willkommen bei der
„Kreuzberger Kiezboxgala“.
Wer schon mal dort war, erinnert sich an die ersten rauschenden Boxnächte
im „Festsaal Kreuzberg“. Den gibt es nicht mehr, zuletzt war die
Kiezboxgala 2014 im „Astra“ zu Gast – und auch das war gut. Aber nicht ga…
so laut, nicht ganz so wild.
Genau da aber wollen die beiden OrganisatorInnen Björn von Swieykowski und
Elisa Mishto vom Festsaal-Team wieder hin. Zwei Jahre hat es gedauert, aber
an diesem Donnerstag findet das Spektakel in einer neuen Location statt –
und von Swieykowski ist sicher, dass hier „der alte Hexenkessel aus dem
Festsaal“ wiederauferstehen kann.
Am Erfolgskonzept der Gala hat sich nichts geändert: Das Freizeitboxen soll
aus der neonbeleuchteten Turnhalle am Sonntagmorgen herausgeholt und
dorthin gebracht werden, wo Boxen hingehört: in die Arena. War es doch kein
Zufall, dass „Preisboxen“ einst auf Marktplätzen entstand, wo sich die
Umstehenden, egal ob fachkundig oder zufällig anwesend, diesem ganz
besonderen Kribbeln eines live und hautnah erlebten Faustkampfes nicht
entziehen konnten. Das wissen auch Mishto und Swieykowski.
Zum ersten Mal stehen auch zwei Frauenkämpfe auf dem Programm. Die
BoxerInnen kommen aus sieben verschiedenen Berliner Box-Clubs, insgesamt
stehen neun Kämpfe in allen Gewichtsklassen auf der „Fightcard“, eine
Mischung aus Debütanten und erfahrenen Kämpfern – Kiezboxen eben.
20 Oct 2016
## AUTOREN
Bernd Pickert
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