# taz.de -- Marginalisierungsschleife | |
> ChoreograFie Der Regisseur Neco Çelik zeigt großes Gespür für Tanz. Und | |
> für männlich-muslimische Körper in der Krise | |
Eine Bühne im Sturm zu erobern sieht anders aus. Fünf Gestalten stehen | |
reliefhaft an der Hinterwand, es regnet aus den Boxen, der Bühnenhimmel ist | |
dunkel, nur wenig Licht fällt hindurch. Im Film würde jetzt irgendwer auf | |
irgendwen warten, eine Figur sich duckend und schützend voranpreschen, | |
Frisuren würden einstürzen, klares Wasser über bronzene Haut perlen. | |
Eine Weile überlässt der neuerdings ins Tanzfach gewechselte Regisseur die | |
Bühne den Wolkenbruch-Assoziationen, dann haut er ein Video auf die Wand | |
und damit auch auf die fünf Reliefgestalten. Ach ja, „Warnung“ stand in | |
großen Lettern von Anfang an über dem Geschehen. Nur sind wir im | |
Gorki-Theater, wo solche Hinweise als Spielzeitmotto durchgehen könnten. | |
Aber das Signalwort gehört tatsächlich zum Stück. Es ist die Abbreviatur | |
für den Warnhinweis, der im Netz vor dem Abspielen des Gewaltclips „Lass | |
die Affen aus’m Zoo“ des Rappers Haftbefehl steht. | |
Während Musik und Bilder peitschen, löst sich das Relief auf, die Jungs | |
bekommen Kontur. Zunächst wirken sie wie eine Gang, die sich V-förmig gegen | |
ein Gegenüber aufbaut; die gestählten Körper schieben sich selbstgewiss | |
nach vorne. Aber je näher sie kommen, je mehr sie sich von der | |
Hintergrundsprojektion abheben, desto mehr verlieren sie ihre | |
Brutalo-Präsenz. An der Bühnenrampe angekommen, sind sie weichgespült, die | |
Augen ein See aus Fragezeichen. Nein, diese Jungs haben keine Guns unter | |
den Gürteln. | |
Mit dieser Anfangsszene der unter dem Dach des Herner Kulturvereins | |
Pottporus entstandenen Produktion „Basmala. Freund oder Feind“ ist klar | |
umrissen, worum es Çelik und seinen fünf internationalen Tänzern geht: | |
darum, nicht Projektionsfläche zu sein. Aber wie geht das, wenn man | |
männlich und jung ist und dem Äußeren nach aus dem | |
türkisch-arabisch-nordafrikanischem Raum kommen könnte? Dem Publikum | |
einfach den Rücken zuwenden? Wie Seegras den Strömungen ausweichen? | |
Spätestens beim Beten geht gar nichts mehr. Die Hände vor dem Unterbauch | |
übereinanderlegen, das bedeutet das doppelte M-Stigma: männlich, | |
muslimisch. Und so wird diese Geste (wie auch später noch viele weitere aus | |
dem Gebetskontext) von einem inneren Erdbeben erfasst. Oder auch von einem | |
Elektroschock. Sein und Gesehensein verschmelzen miteinander, brennen | |
durch. Keine Erdung. Da hilft keine schützende Hand vor den Augen. | |
Es ist jedoch nicht nur der Blick einer westlichen Mehrheitsgesellschaft, | |
der diese verunsicherten, aus ihren Achsen hängenden Körper produziert. Das | |
wird mit der zweiten Videoeinspielung gegen Ende von „Basmala“ (Basmala ist | |
die Anrufungsformel für Allah) klar, die einen islamistischen Missionar | |
zeigt, der im Rap-Sound die Opferung für den Islam propagiert. | |
HipHop und Islam, das war einst eine Gegenkultur-Kombination, die sich aus | |
sozialer Marginalisierung heraus Gehör verschaffte. Inzwischen hat der | |
Islamismus den HipHop vereinnahmt und damit eine ganze Kunstform und die | |
gesamte Urban-Culture, für die sie steht, in Frage gestellt. Die Antwort | |
darauf: Über die zwei themensetzenden Rap-Einspielungen hinaus wird der | |
größte Teil der akustischen Atmosphäre von einer grummelnden und | |
schwelenden Streicher-Percussion-Klangfläche der isländischen | |
Neue-Musik-Komponistin Anna Thorvaldsdottir bestritten. | |
Immer wieder Bass-Untiefen, die sich wie amorphe Schlünde öffnen. Die fünf | |
Tänzer tauchen ein, auch wenn sie ihre virtuos trainierten Körper dazu | |
abstreifen müssen. Abruptes Ende. Statt Publikumsgespräch folgt Fußball. | |
Programminformationen, etwa zu den fünf in Berlin kaum bekannten Tänzern, | |
gibt es nicht. Klare Prioritäten im Gorki. Die Marginalisierung eines | |
wichtigen Stücks. Astrid Kaminski | |
4 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Astrid Kaminski | |
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