# taz.de -- Das Ende der Romantik | |
> OPERNPREMIERE Damiano Michieletto hat für die Komische Oper „Le | |
> Cendrillon“ des französischen Komponisten Jules Massenet inszeniert | |
Bild: Karolina Gumos als Le Prince Charmant | |
von Niklaus Hablützel | |
Henrik Nanasi wird die Komische Oper nächstes Jahr verlassen. Warum man ihn | |
vermissen wird, war am Sonntag Abend mal wieder zu hören. Jules Massenet | |
hat sich mit seiner „Manon“ als Großmeister für nach Samt und Seide | |
duftenden Seelenschmerz in die Spielpläne der Welt eingeschrieben. Aber | |
ausgerechnet dieser stets unter Kitschverdacht stehende Franzose klingt | |
unter Nanasis Leitung noch nicht einmal romantisch. „Le Cendrillon“ ist | |
1899 uraufgeführt worden. Massenet erzählt das Märchen von Aschenputtel | |
ganz kühl und in großer Distanz, als sei es ihm nur darauf angekommen, | |
diesen allgemein bekannten Stoff für ziemlich gewagte Experimente mit | |
musikalischen Stilen und Zitaten anzustellen. Oft geht es barock zu im | |
Orchester, manchmal aber auch mittelalterlich mit schnarrenden | |
Dudelsack-Quinten und Kirchentonarten. Übergangslos schließen sich | |
Vaudeville-Episoden von Offenbachs Gnaden an, die sich dann plötzlich zu | |
ironischem Wagner verdichten. Dann und wann erinnern glockenhelle Bläser | |
sogar an Mahler. | |
Nanasi lässt nichts aus in diesem geistreichen, präzise in Tempo und | |
Lautstärken abgemessenen Universum musikalischen Könnens. Er nimmt das | |
souveräne Handwerk ernst, das Orchester spielt wunderbar transparent und | |
klar den Reichtum des vergessenen Werkes aus, das bei Wikipedia noch nicht | |
einen Artikel gefunden hat. Nanasi hat es mit seiner genauen und | |
durchdachten Arbeit der Opernwelt zurückgebracht, und zum Glücksfall wird | |
die Wiederentdeckung dadurch, dass er mit dem jungen Venezianer Damiano | |
Michieletto einen Partner im Geiste gefunden hat. | |
Auch der Regisseur wirft einen kühlen Blick auf die Romantik des Stücks und | |
sieht, dass sie nicht echt ist. Schon gar nicht da, wo sie am massivsten | |
auftritt, im großen Duett des Aschenputtels mit dem Prinzen. Dafür lässt | |
Massenet Singstimmen und Orchester in Orgien des Wohlklanges verschmelzen, | |
die deutlich jenseits des guten Geschmacks liegen. Es klingt, als habe er | |
augenzwinkernd vorführen wollen, wie man den Höhepunkt einer romantischen | |
Oper hinkriegt. Es ist Kitsch, aber bewusst als Mittel eingesetzt. Ebenso | |
ironisch lässt Michieletto dazu Gazevorhänge vom Bühnenhimmel fallen, auf | |
denen Traueräste aufgemalt sind. Bühnenarbeiter bringen Scheinwerfer in | |
Stellung und wedeln mit Nebelwerfern das Bild ab. Glotzt nicht so | |
romantisch! Das ist romantische Oper. | |
Das ist sie eben nicht, nicht mehr. Massenet selbst hatte genug davon am | |
Ende seines Jahrhunderts, und Michieletto hat ihn sehr gut verstanden. Das | |
ganze Märchen mit all seinen Sehnsuchtsträumen spielt ohne jede Illusion im | |
Probenraum des Balletts. Dort führt Agnes Zwierko als böse Schwiegermutter | |
das Zepter über eine ganze Armee schöner Bräute für den Prinzen. Sie sind | |
durchnummeriert, ihre eigenen zwei Töchter (Mirka Wagner und Zoe Kassa) | |
sind Nummer 79 und 80. Die Nummer 81 ist Nadia Mchantaf, das Aschenputtel. | |
Auch sie hat getanzt, als ihr guter Vater noch Ballettmeister war. Der Bass | |
Werner van Mechelen singt mit großer Wärme einen gescheiterten alten Mann, | |
dem nur seine Tochter blieb. Sie hatte sich einst schwer verletzt beim | |
Tanz, ihr linkes Bein ist in Schienen gebunden. Im Krankenbett und | |
Nachthemd wird sie hereingefahren. | |
## Medizinischer Realismus | |
Natürlich beklagt sie ihr trauriges Los, aber der harte, sogar medizinische | |
Realismus der Szene unterbindet von vornherein jede Sentimentalität. Nadia | |
Mchantef hat eine herrlich klare, dennoch volle Stimme. Zudem kann sie sich | |
auch noch freuen wie ein richtiges Kind, wenn sie dann im Traum wieder | |
tanzen kann. Dort trifft sie den Prinzen, den Massenet eigenwillig mit | |
einem Sopran besetzt hat. Romantisch wäre der lyrische Tenor gewesen. Nun | |
darf die bewährte Karoline Gumos einen am Hofe gelangweilten Königssohn | |
spielen, der eigentlich nur darauf wartet, sich in ein schwer behindertes | |
Mädchen zu verlieben. Genau das geschieht denn im Duett der Frauenstimmen, | |
raffiniert inszeniert durch pantomimische Verdoppelungen der Rollen, in | |
denen sich nun Wirklichkeit und Traum mischen. | |
Ein zauberhaft leichtes Theaterspiel entsteht und zeigt zwei Menschen, die | |
echtes Mitgefühl verdienen und auch wecken. Sie behaupten sich in der hart | |
um sie herum montierten Arbeitswelt der Probebühne, wo nicht nur Traum und | |
Wirklichkeit aufeinandertreffen, sondern auch Menschlichkeit und der | |
bösartige Drill gesellschaftlicher Konvention. Massenet, der Starkomponist | |
seiner Zeit, scheint ihn gehasst zu haben. Nanasi und Michieletto haben ihn | |
zur kabarettreifen Groteske zugespitzt. Es ist ihnen märchenhaft gut | |
gelungen. | |
Nächste Vorstellungen: 16., 19., 26., 29. 6. sowie 2., 10. 7. | |
14 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Niklaus Hablützel | |
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