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# taz.de -- Täterkinder Die Hamburger KZ-Gedenkstätte Neuengamme organisiert …
Bild: Eine ganz normale Familie: Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß mit Frau und…
Von Petra Schellen
Es kann keine stellvertretende Versöhnung der Kinder und Enkel geben.“ Mit
klaren Worten markiert Oliver von Wrochem, Studienleiter der Hamburger
KZ-Gedenkstätte Neuengamme, die Grenze des Dialogs zwischen den Nachkommen
von Nazi-Tätern und -Opfern. Denn so sehr sich viele eine Bereinigung
wünschen: Vergeben könnten nur die Opfer, und die sind meist schon tot. Und
die wenigen Täter, die vor Gericht gestellt wurden, bereuten nicht. Sondern
logen sich durch die Entnazifizierungsverfahren, ließen die verräterischen
SS-Blutgruppentätowierungen entfernen und waren nach Ende des Zweiten
Weltkriegs keineswegs gebrochene Leute.
Vielmehr machten sie Karriere und hüllten sich – wie viele Opfer – in
Schweigen. Doch während die geschockten Shoah-Überlebenden oft nicht reden
konnten, wollten die Täter es nicht. Allenfalls räumten sie ein, dass sie
halb-bewusst und also halb-verantwortlich an Ausgrenzung und Massenmorden
teilgenommen hatten. Außerdem aus einem – inzwischen großteils widerlegten
– „Befehlsnotstand“ heraus.
Diesen Reinwaschungs-Duktus spiegeln auch die Akten aus den NS-Prozessen,
die die Täternnachkommen mit in die Seminare der KZ-Gedenkstätte Neuengamme
bringen. Diese halbjährlichen Workshops, in denen viele erstmals über ihre
Familiengeschichte sprechen, haben sich peu à peu aus Rechercheseminaren
für Täter- und Opfernachkommen entwickelt. Doch während es in den Seminaren
der Opfernachkommen durchaus emotional zugehen kann, passiert das bei den
Täternachkommen kaum. Ihr Problem ist eher das Erbe einer „abgewehrten,
nicht bereuten Schuld“, wie es Ulrich Gantz formuliert, dessen Vater 1941
an Massenerschießungen in Russland beteiligt war.
## Mentale Überlebensstrategien
Er erfuhr das, wie die meisten, nach dem Tod des Vaters und sucht seither
mentale Überlebensstrategien: Wie verkraften, dass der Vater Verbrechen
beging und das nach 1945 bestritt? Wie andererseits ertragen, dass man
selbst oft nicht genau fragte?
Denn auch das bringen die Seminare mit sich, an denen inzwischen 600
Menschen aus ganz Deutschland teilnahmen: Viele müssen ihr Selbstbild
korrigieren. Nicht nur Barbara Brix – Tochter eines Arztes der mit
Massenerschießungen betrauten „Einsatzgruppen“ – musste ernüchtert
feststellen, dass sie die Chance zu fragen seinerzeit nicht nutzte (siehe
Interview SEITE 43).
Überhaupt haben, wie Historiker heute wissen, viele Täternachkommen
Hinweise auf Verbrechen ihrer Väter lange „überhört“. Haben versucht,
Beweise für deren Unschuld zu suchen. Das hat viel mit Familienloyalität zu
tun, aber auch mit der Irritation, den Vater nur halb gekannt zu haben,
sich quasi nachträglich ent-lieben zu müssen.
Andere verfallen ins andere Extrem und bezichtigen die Väter vorschnell des
Schlimmstmöglichen, rudern dann zurück. Dieses Wechselspiel zwischen
Wissenwollen und Nicht-Aushaltenkönnen, zwischen zornig akribischer
Recherche und depressiver Verarbeitungsphase teilen die Teilnehmer der
Seminare. Und das Interesse ebbt mit zunehmendem Abstand nicht ab, im
Gegenteil: Obwohl von Wrochem überzeugt ist, „dass sich ein großer Teil der
deutschen Gesellschaft weiterhin nicht mit ihrer NS-Familiengeschichte
auseinandersetzen möchte“, steigt die Nachfrage – weit stärker als bei den
Seminaren für Opfernachkommen.
## Zynismus der Geschichte
Das hat – Zynismus der Geschichte – auch damit zu tun, dass es mehr
überlebende Täter als Opfer gab. Andererseits damit, dass immer mehr
Täternachkommen an die Öffentlichkeit gehen, Bücher und Filme über ihre
Familiengeschichte veröffentlichen. Die Gedenkstätte Neuengamme selbst hat
kürzlich den Band „Nationalsozialistische Täterschaften – Nachwirkungen in
Gesellschaft und Familie“ herausgeben, der neben historischen Analysen auch
Berichte von Täternachkommen enthält und so die private Ebene mit der
gesellschaftlichen verknüpft.
Allen recherchierenden Täternachkommen gemeinsam ist dabei ein
Grund-Unwohlsein angesichts bleibender Lücken. Denn oft können sie weder
Werdegang noch Motivation der Täter genau rekonstruieren. „Viele
Seminarteilnehmer haben zudem das Bedürfnis, Gewissheit zu bekommen: War
mein Verwandter ein Täter oder doch nur ein Mitläufer?“, sagt von Wrochem.
Aber diese klare Abgrenzung funktioniert oft nicht; auch Historiker
schreiben die NS-Verbrechen längst nicht mehr wenigen „bestialischen“
Einzeltätern zu.
„Man geht inzwischen von 200.000 bis 250.000 Tätern in Deutschland und
Österreich aus“, schreibt Historiker Frank Bajohr. Denn es habe ja nicht
nur die – gleichfalls klar abgegrenzten – KZ gegeben. Sondern auch die
unkontrolliert eskalierenden Massenerschießungen von Juden in Osteuropa.
Begangen zum Beispiel von Mitgliedern des Hamburger
„Reserve-Polizei-Bataillons 101“, das Christopher Browning im Buch „Ganz
normale Männer“ beschreibt. Zentral war dabei der auf gemeinsam verübten
Grausamkeiten beruhende Zusammenhalt der „Kameraden“ vor Ort.
## Zivile „Bystander“
Aber wie steht es mit den vom Holocaust-Forscher Raul Hilberg definierten
zivilen „Bystandern“? Jenen, die schon seit Hitlers Machtergreifung 1933
zuschauten, zuließen, heimlich oder offen guthießen, dass Juden misshandelt
wurden, gar von der „Arisierung“ jüdischen Besitzes profitierten: Hätten
sie gefahrlos anders handeln können? Wie weit sind sie verantwortlich?
Projekte wie die jüngst von Hamburgs Landeszentrale für politische Bildung
freigeschaltete Datenbank mit „Dabeigewesenen“ verweisen – auch durch ihr…
klobigen Namen – darauf, dass diese Gruppe riesig und nicht klar zu
fokussieren ist.
Die Erkenntnis, dass die Grenzen so fließend sind, enttäuscht viele
Seminarteilnehmer in Neuengamme. Denn oft gelinge nur eine Annäherung, „und
dann müssen sie weiterleben mit einem Rest von Ungewissheit“, sagt von
Wrochem. „Die Täternachkommen empfinden oft eine Ambivalenz zwischen Liebe
und Hass ihren Verwandten gegenüber.“
Dieses Problem haben die Nachkommen der NS-Verfolgten nicht, sie empfinden
in der Regel Zuneigung und Zusammengehörigkeitsgefühl. Obwohl von Wrochem
die Seminare für Täternachkommen wichtig findet, sieht er es nicht gern,
dass sich die Medien derzeit einseitig auf diesen Aspekt stürzen: Noch
seien längst nicht alle Opfer gewürdigt, so genannte „Asoziale“,
„Kriminelle“ und „Euthanasie“-Opfer seien kein Teil der offiziellen
Gedenkkultur, meint von Wrochem.
Immerhin bietet Neuengamme als erste deutsche KZ-Gedenkstätte auch
Dialog-Seminare für Täter- und Opferkinder und -enkel an. Dies war der
Wunsch vieler Täternachkommen, und in der Tat verbindet beide Gruppen, dass
sie schwer am familiären Erbe tragen. Auffallend viele von ihnen sind
politisch engagiert und setzen sich dafür ein, dass sich Ausgrenzungsmuster
nicht wiederholen. Eins der Seminare endete mit einer gemeinsamen
Erklärung. „Wir, die Nachkommen der Täter, tragen keine Schuld, und wir,
die Nachkommen der Verfolgten sind keine Helden, nur weil unsere
Angehörigen Opfer waren“, steht darin.
Auch wenn bei den Seminaren immer eine Psychologin anwesend ist, geht es
von Wrochem weder um Versöhnung noch um Therapie. Die Seminare sollen dem
Austausch dienen und der wechselseitigen Unterstützung. „Unser Ziel ist
nicht, ausgesprochene Versöhnung herbeizuführen“, sagt auch der Neuengammer
Gedenkstätten-Pfarrer Hanno Billerbeck. Es gehe um eine Zukunft ohne Gewalt
und Ausgrenzung. „Und das ist nur möglich, wenn man sich einig ist in der
Beurteilung der Vergangenheit.“
14 May 2016
## AUTOREN
Petra Schellen
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