# taz.de -- Ohne erhobenen Mittelfinger | |
> Ausstellung „Billy Childish – unbegreiflich, aber gewiss“ in den | |
> Opelvillen Rüsselsheim | |
Bild: Billy Childish, „Lighterman, River Lee circa 1920“, 2013, Öl und Koh… | |
von Katharina J. Cichosch | |
Man könnte sich in einer Galerie moderner Klassiker wähnen, aber die | |
Verortung will nicht ganz gelingen: Ist dieses Blumenarrangement hier nun | |
ein Van Gogh, hat man es dort mit einem dieser typischen Munch-Bilder zu | |
tun, auf dem Menschen in vorausgreifend psychedelischer Weise mit ihrer | |
Umgebung verschmelzen? Ist der Akt von einem Gefährten Egon Schieles | |
inspiriert? | |
Ganz falsch: Die Rüsselsheimer Opelvillen, sonst eher bekannt für ihre | |
Fotografie-Ausstellungen, haben sich Malereien von Billy Childish ins Haus | |
geholt. Über 20 Werke des britischen Alleskünstlers, des 1959 in Chatham | |
geborenen und bis heute dort lebenden Poeten, Malers, Punkmusikers und | |
Produzenten mit dem programmatischen Nachnamen hängen nun in den Räumen der | |
ehemaligen Fabrikantenvilla, viele großformatig, daneben auch Monotypien | |
und Devotionalien aus mehreren Jahrzehnten Self-Publishing, als das noch | |
DIY und nicht Amazon hieß. Es gibt auch einen kurzen Film mit Billy | |
Childish und Punkmusik, doch mit diesem biografischen Ausflug belässt es | |
die Ausstellung auch, die Malereien sollen nicht im Klischee des | |
überproduktiven Allround-Genies untergehen. | |
Bei genauerem Blick offenbart sich dann doch, dass die modernen Klassiker | |
allenfalls Pate standen: Im Gestus des schnellen Pinselstrichs verzichtet | |
Childish größtenteils ganz auf Grundierungen, so dass seine Bilder von | |
Frau, Kindern, von sich selbst, aber auch von romantisierter Natur vielfach | |
eher farbige Ölzeichnungen auf grauer Leinwand als richtige Gemälde sind. | |
Die Kohleskizzen darunter scheinen durch. Matt, kein Firnis. Die Punkte, | |
Striche, Arabesken, Schlangenlinien, aus denen sich seine Motive | |
herausformen, sind immer wieder mit Neon durchsetzt: Knalliges Orange, | |
Blau, Grün. Doch was ist das Amalgam, was all dies zusammenhält? Es bleibt | |
ein irritierendes Moment. | |
## Ignoranz des Zeitgeists | |
Das Anschauen setzt automatisch jene Prozesse in Gang, die der Künstler im | |
Moment des Arbeitens tunlichst meidet: Intellektualisierung, | |
Kontextualisierung, Sinnstiftung. In den 90er Jahren gründete Childish | |
zusammen mit Charles Thomson die (von ihm, logisch, längst wieder | |
verlassene) Stuckism-Bewegung, die sich explizit gegen Konzeptkunst, für | |
die figurative Malerei aussprach und somit für das, was dem Künstler rund | |
zehn Jahre zuvor seine damalige Freundin Tracey Emin an den Kopf warf: | |
Seine Kunst, er selbst seien hoffnungslos steckengeblieben, stuck. Und man | |
kann ihr ebenso gut recht geben, wie man Childishs völlige Ignoranz dessen, | |
was gerade so Zeitgeist ist, sympathisch finden mag. | |
Denn natürlich ist seine Haltung, Konzeptkunst sei verkopft und elitär, | |
nichts Neues. Aber umgekehrt: Was ist schon an ein paar Topfpflanzen, | |
Taschentüchern, Polaroids und Lichterketten so progressiv? Wenn es allein | |
um die Form geht, dann sind heute weder Installations- oder Konzeptkunst | |
noch figurative Malerei Gütesiegel und Gradmesser an sich. | |
Insofern repräsentieren Billy Childishs Arbeiten eine Art | |
Anti-Kunsthochschul-Kunst: Malereien, die keinem Zeitgeist, keinem Markt, | |
aber eben auch keiner Akademieklasse irgendetwas schuldig sind (und die, | |
Treppenwitz der Geschichte, nach vielen brotlosen Jahrzehnten inzwischen | |
von namhaften Galerien vertreten werden). Die aufhört, bevor sie vollendet | |
ist, die keine Vorstudien und Verbesserungen kennt, sondern Entwurf bleiben | |
will, ganz im Geiste von Lo-Fi und Punk. | |
Einen möglichen Kontext für seine Malereien liefert Billy Childish gleich | |
mit: „all of gods dark places / are mine“ titelt das Ausstellungsgedicht, | |
das großformatig auf der Wand am Treppenabsatz prangt, und es schließt nach | |
einer Aufzählung von Selbstporträts mit Pinsel, Schwänzen und Knochen, die | |
sich außen statt innen befinden, von Bildern seiner Familie und | |
Landschaften mit: „i / pick up my brush and glorify / myself all“. Egokunst | |
also, wer braucht da schon ein Label wie Punk? | |
Auch wenn, zugegeben, der offen zur Schau gestellte Anachronismus heute | |
besser wirkt als jeder Mittelfinger. Das kann man vielleicht belanglos | |
finden oder dem rohen Ausdruck der DIY-Collagen, Fanzines und Plattencovern | |
hinterhertrauern – der direkte Vergleich ist ja möglich –, wobei Letzteres | |
nicht ganz frei von Anachronismus ist. | |
Wer sich um Rechtfertigungen nicht schert und Leerstellen begrüßt, kann | |
sich mühelos in Childishs Bilder verlieben: In die überstilisierten | |
Bergmänner und Birkenwälder, die irgendwo im Bild plötzlich auslaufen und | |
die unbehandelte Leinwand offenstehen lassen wie eine klaffende Wunde. In | |
diese merkwürdig vertrauten Ansichten von Mutter, Vater, Kind oder von | |
Beduinen am See Galiläa, deren Idylle ein pinker Himmel mit | |
Messerschmidt-Flugzeug pointiert. | |
Bis 26. Juni, Opelvillen, Rüsselsheim | |
20 Apr 2016 | |
## AUTOREN | |
Katharina J. Cichosch | |
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