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# taz.de -- Das Schwermütige zog sie an
> Kunst Für den Artisten schwärmen: Die Ausstellung „Unica Zürn – Camaro…
> Hans Bellmer“ zum hundertsten Geburtstag von Unica Zürn in der
> Camaro-Stiftung erzählt von Freundschaft, Liebe und Austausch
Bild: Das Unbehauste der Existenz: Alexander Camaro: „Ertrinkendes Liebespaar…
von Katrin Bettina Müller
Sie schrieb ihm Gedichte, oh ja, und schenkte sie ihm zu Weihnachten, 1951.
„Der Artist. Sein Wagen zerfiel / und sein Zelt war zerschlissen / die
Herbstfeuer brannten / auf allen Feldern / der Wind würde kalt / und er
ging davon.“
Zwei Jahre zuvor hatte Unica Zürn, sie ist Anfang 30, den fünfzehn Jahre
älteren Camaro kennengelernt. Er war Maler, aber auch einmal Artist
gewesen, der selbst mit einem Zirkus über Land gefahren war, und er spielte
1949 in einem Berliner Künstlerkabarett, Die Badewanne, einen traurigen
Clown. Unica Zürn hatte ihn dort erlebt, wie er mit einem Seil auf die
Bühne kam, das bald zur Schlinge um seinen Hals wurde.
Darauf beruhte eine Geschichte, die die junge Schriftstellerin für den
Kurier schrieb. Und wie da Angst und Zaghaftigkeit des Clowns auf das
erwartungsvolle Lachen des Publikums treffen und abrupt in Schrecken und
Trauer kippen, bringt eine Stimmung gut auf den Punkt: die der
Nachkriegsjahre in der Trümmerstadt Berlin. Als einige Künstler
zusammenkratzten, was von der zerstörten und vertriebenen Moderne noch zu
fassen war, und die Sehnsucht nach Neuanfang und die Lust auf Ablenkung
sich über die Erfahrung des Krieges legten.
Fotos aus dem Kabarett Die Badewanne, das nur ein halbes Jahr existierte,
Zeitungsausschnitte von Zürns Geschichten und Porträts von Camaro und Unica
Zürn bilden den Auftakt der intimen und interessanten Ausstellung „Unica
Zürn – Camaro – Hans Bellmer“ in der Camaro-Stiftung. Sie nimmt die
persönlichen Beziehungen zwischen den drei Berliner Künstlern zum Anlass,
nach Verwandtschaften in den Werken zu suchen und das Potenzial des
kreativen Austauschs herauszustellen.
Ausgangspunkt waren die sehr schwärmerischen Briefe, die Unica Zürn an
Camaro schrieb. Die Camaro-Stiftung hatte sie vor zwei Jahren im Nachlass
entdeckt.
## Fragil und unbehaust
Alexander Camaro ist nicht der einzige Künstler, der mit Motiven des
Zirkus, der flüchtig aufgeschlagenen Bühnen, in den späten vierziger Jahren
vom Fragilen und Unbehausten der Existenz erzählt. Seine Figuren sind oft
aus Farbe nur grob hingewischt oder gar bloß mit Konturen umrissen, durch
die die Markierungen des Raums hindurchscheinen, was ihrer Gegenwärtigkeit
etwas Zweifelhaftes gibt.
Das Schwermütige seiner Bilder zog Unica Zürn an, aber auch ihr Vorrat an
geheimnisvollen Chiffren, an der Möglichkeit, sich magische Ereignisse
vorzustellen, die in seinen dunklen, kargen Räumen ihre Spuren hinterlassen
hatten. Wie diese Motive in ihre Geschichten hinüberwandern, zeigen in der
Ausstellung auf die Wände geschriebene Zitate und ihre Briefe in den
Vitrinen. Fortsetzung findet der Austausch in Bildern, die Unica Zürn zu
malen begann. Und sicher nicht nur, weil Camaro ihr einen Farbmalkasten
geschenkt hatte.
„Die verzauberte Prinzessin“ heißt eines ihrer frühen Bilder: Vor einem
hohen Zaun, der nur schmale Durchblicke in den Himmel lässt, kommt ein Tier
mit Eselsohren und einem beinahe menschlichen Gesicht halb ins Bild. Das
ist, zumal mit dem Titel, ein märchenhaftes Bild, auch gemalt in einem
kindlichen Gestus. Erst in den anschließenden Jahren, als sich Uncia Zürn
in Hans Bellmer verliebt hatte und zu ihm nach Paris gezogen war,
entwickelt sich der eigene Stil ihrer aus feinen Liniengeweben gesponnenen
Zeichnungen. Bellmer war schon 1938 nach Paris gegangen, vertrieben auch
von der Feindschaft, mit der der Nationalsozialismus den Dadaismus
verfolgte. Mit ihm gehörte Unica Zürn bald zum Kreis der Surrealisten in
Paris und erfuhr dort erstmals als bildende Künstlerin Anerkennung.
In dem hohen und hellen Raum der Camaro-Stiftung kann man nun zwischen den
Bildern Camaros, von Unica Zürn und Hans Bellmer hin und her wandern. Und
dabei werden auch die Unterschiede klar. Während bei Camaro das
Befremdete-in-der-Welt-Sein oder auch die Stille und das Verstummen im
Verhältnis zum Außen artikuliert wird, in der Beziehung zwischen Figuren
und den Flächen, die den Raum darstellen, verlegt sich der Schauplatz bei
Bellmer und Unica Zürn nach innen. Beide beschäftigen sich, wenn auch mit
sehr unterschiedlichen Bildmitteln, mit körperlichen Sensationen. Beide
verbindet eine erotische und sexuelle Spannung in den Bildern, und auch das
Aufrufen von Situationen, die von Angst, Unbehagen und dem Verlust von
Kontrolle gezeichnet sind.
## Lust an Verschmelzung
Von 1956 etwa stammt eine feinmaschige, zartgraue Zeichnung Zürns, in der
viele Strukturen an Augen, Hände, Knochen und Rippenbögen erinnern, aber
auch an durchscheinende Larven, Quallen und andere Weichtiere. Alles ist
miteinander verbunden, treibt über das Papier wie durch Wasser. Die
Auflösung klarer Körpergrenzen hat etwas von sehnsuchtsvoller
Verschmelzung. Und etwas von Desorientierung.
Die Puppenbilder von Hans Bellmer sind vermutlich die bekanntesten unter
den ausgestellten Werken. Er baute sie aus einzelnen Gliedern um bewegliche
Gelenke und fotografierte sie. Körperteile spiegeln sich, vor allem Brüste
und Beine vermehren sich, drehen sich und winden sich. In Zerlegung und
Neukomposition des Körpers sah Bellmer eine Parallele zu den Anagrammen,
die Unica Zürn schrieb: Während sie damit einem in der Sprache verborgenen
Sinn auf der Spur war, brachte er etwas zum Ausdruck, das über das bekannte
Vokabular für den Körper und die Sexualität hinausging.
Über die Figur der Puppe, mit der Unica Zürn sich auch identifizierte,
waren Bellmer und sie in einer Weise verbunden, die ihre Beziehung und ihre
Kunst sehr dicht miteinander verwob. Das lässt die Ausstellung schon ahnen,
noch mehr darüber erfährt man im schön gestalteten Katalog, der dazu bei
Brinkmann & Bose erschienen ist.
9 Apr 2016
## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
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