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# taz.de -- Die Kinomacherin Vom Kinosterben will Verena von Stackelberg gar ni…
Bild: Wenn man selbst mit Baumaßnahmen und den Unwägbarkeiten dabei zu tun ha…
Interview Andreas HartmannFotos Piero Chiussi
taz: Frau von Stackelberg, als Sie erstmalig bei Ihrer Bank vorstellig
wurden, um von der in Zeiten von Netflix und Co den Kredit für den Bau
eines unabhängigen Kinos zu bekommen, was haben Sie da von der Bank zu
hören bekommen?
Verena von Stackelberg: Die Bank hat sich totgelacht.
Im Frühjahr soll das Kino Wolf in Neukölln trotzdem eröffnen. Wie wird das
Projekt nun finanziert?
Teils über Crowdfunding. Und private Darlehen sowie das Medienboard
Berlin-Brandenburg. Wir sind völlig unabhängig, niemand redet uns rein.
Alles lief letztlich bislang ohne Banken.
Zur Wolf-Gang, Ihrem Unterstützerkreis, der ziemlich groß ist, gehören
viele Leute aus der Filmbranche, auch Prominenz wie Thomas Arslan und Jakob
Lass, der Regisseur des Überraschungserfolgs „Love Steaks“. Werden so
bekannte Filmemacher auch nach der Eröffnung weiter Teil des Kinoprojekts
Wolf sein?
Ich hoffe es sehr.
Neben zwei Kinosälen wird es im Wolf auch einen Produktionsraum geben, in
dem Filmemacher an ihren Filmen arbeiten können. Man kommt dann also im
Wolf vorbei, um sich einen Film anzusehen, und nebenan schneidet Thomas
Arslan vielleicht gerade seinen neuen Film?
Das wäre wunderschön. So stelle ich es mir ein wenig vor. Thomas Arslan
wird da arbeiten oder vielleicht ein junger, noch unbekannter Regisseur,
dessen Karriere hier im Wolf beginnt. Wir wollen Filmschaffende und
Publikum zueinander bringen. Die Prozesse des Filmemachens sollen
demystifiziert werden. Dazu soll auch gehören, Rohschnitte von
Filmprojekten zu zeigen, und das Publikum zu befragen, was es von diesen
hält. Es wird Werkstattgespräche geben, Seminare und Workshops rund um das
Filmemachen.
Wolf soll ein Ort werden, an dem nicht nur Filme gezeigt werden, sondern
auch entstehen sollen?
Ja. Entweder man mietet sich ein, dann ist man Klient von Wolf und macht
halt sein Ding. Oder wir von Wolf arbeiten als eine Art Produzent, dann
werden wir uns bestimmt selbst mehr einbringen in die Arbeit eines
Regisseurs.
Am Ende tragen Sie mit dazu bei, den deutschen Film zu verbessern?
Schön wäre es. Ich hoffe, Filmemacher ermutigen zu können, ihren eigenen
Weg zu gehen. Ihren eigenen Stimmen zu folgen und sich nicht zu sehr
anzupassen. Es gibt ja einige sehr spannende Filmemacher in Deutschland,
aber halt eher am Rand. Und indem man diese zu Wolf holt, holt man sie
vielleicht auch mehr vom Rand in die Mitte. Vielleicht kann daraus eine
Bewegung werden. Eine Bewegung, die Leute ermutigt, ihren Visionen treu zu
bleiben beim Filmemachen.
Seit wann verfolgen Sie Ihren Plan mit dem eigenen Kino?
Die Idee, ein eigenes Kino zu betreiben, reift seit 2008. Ich habe in der
Zeit noch in London gelebt und dort bereits in einem Kino gearbeitet.
Ausschlaggebend für meinen Entschluss war für mich die Vorstellung, Kino
ganz grundsätzlich anders zu definieren. Wichtig war von Anfang an die
Frage, wie man die Filmemacher selbst stärker mit in das System Kino
einbeziehen kann. Vor allem unabhängige Filmemacher, für die es immer
schwieriger wird, ihre Filme überhaupt noch ins Kino zu bekommen.
Sie sind dann von London nach Berlin gezogen. Aber nicht, um sofort Ihr
Kinoprojekt zu verfolgen.
In Berlin habe ich erst einmal die hiesige Filmszene von verschiedenen
Seiten her kennengelernt. Ich habe als Filmverleiherin gearbeitet und auf
Filmfestivals, und dabei habe ich die Probleme der Branche besser
kennengelernt. Als Verleiherin bin ich mit Kinobetreibern in Deutschland in
Kontakt gekommen und habe viel über deren Wehwehchen erfahren, auf der
Berlinale wiederum konnte ich eher von den Problemen der Filmemacher
erfahren.
Welche Wehwehchen und Probleme sind das denn konkret?
Sehr oft wird seitens der Branche ganz prinzipiell bemängelt, dass heute
nichts mehr so funktioniere, wie es mal funktionierte. Dass die schönen
Filme von Béla Tarr zum Beispiel, die früher noch einigermaßen gut ihr
Publikum fanden, jetzt gar nicht mehr laufen würden, weil das Publikum
überhaupt nicht mehr vom Start eines neuen Béla-Tarr-Films erfahre, weil
die Mehrheit der Presse über diesen gar nicht mehr berichte. Außerdem
würden sowieso viel zu viele neue Filme pro Woche starten und es sei gar
kein diskursiver Raum mehr vorhanden, bestimmte, vielleicht etwas
anspruchsvollere Filme zu verhandeln. Filmkritiken, so heißt es oft bei
diesem Wehklagen, würden keine Rolle mehr spielen, und die Leute seien
einfach auch weniger aufgeschlossen gegenüber cineastischen
Herausforderungen als früher. Vor ein paar Jahren noch seien nach einer
großartigen Rezension in der Zeitung die Leute ins Kino geströmt, um diesen
Film zu sehen, heute würden Kinobesprechungen so gut wie gar nichts mehr
bringen.
Und weil Kino heute nicht mehr so funktioniert wie früher, wollen Sie
dieses in gewisser Weise neu erfinden, indem sie den Begriff Kino
erweitern. Wie genau soll das aussehen?
Es gibt Millionen von Ideen. Man kann bei uns etwa Koproduzent von Filmen
werden. Eventuell könnten wir auch als Filmverleih tätig werden. Geplant
ist ein Onlinekino, eine Kaffeebar wird es sowieso geben, außerdem
Ausstellungen, Seminare und Räume für Postproduktionen. Vielleicht
irgendwann auch noch Stipendien an Filmemacher, die dann wiederum bei uns
arbeiten können. Aber jetzt gilt erst einmal: Eins nach dem anderen.
Das Wolf soll ein Ort sein, den man auch besucht, wenn man gar keinen Film
sehen will.
Unser Café und die Bar sind sehr wichtig bei unserem Konzept. Von den
Kartenverkäufen allein werden wir nicht überleben können. Man soll auch in
das Wolf-Kino kommen, wenn man einfach nur die Zeitung lesen und dazu einen
Kaffee trinken will. Das Kino soll ein sozialer Ort sein, für die Besucher,
aber auch für Filmemacher, die bestenfalls hier untereinander ihre neuen
Projekte besprechen.
Bis all diese Ideen verwirklicht sind, wird es noch eine Weile dauern, wie
Sie selbst sagen. Werden Sie sich denn auch beim Filmprogramm von anderen
Berliner Kinos unterscheiden?
Jedes Kino in Berlin hat seine bestimmte Ausrichtung, und das ist ja auch
das Schöne. Das FSK ist nicht wie Il Kino, Babylon Mitte nicht wie B-Ware.
Ich versuche nicht in Konkurrenz zu treten zu den anderen Kinos, die es
hier bereits gibt, eher, diese zu ergänzen. Wir haben eine unheimlich breit
gefächerte und diversifizierte Filmkultur in Berlin. Trotzdem schaffen es
bestimmte Filmemacher einfach auch hier nicht, ihre Filme ins Kino zu
bringen. Es soll deswegen bei Wolf auch darum gehen, für eine gewisse
Nachhaltigkeit gegenüber der Arbeit unbekannterer Filmemacher zu sorgen.
Viele Filme laufen großartig auf Festivals, verschwinden aber sofort danach
ohne weitere Auswertung im Kino in der Schublade.
Warum eigentlich Wolf?
Man kann so schön mit dem Namen spielen, und bezogen auf unser Projekt kann
dieser verschiedene Bedeutungen haben. Der Wolf ist ein Einzelkämpfer, aber
sehr sozial und ein Rudeltier. Der Wolf kann aber auch für eine Person
stehen, die nach neuen Wegen sucht. Beides hat etwas mit unserem Projekt zu
tun.
Vor ein paar Jahren noch hieß es, das Kino werde aussterben, nur ein paar
große Eventkinos mit ihren 3-D-Filmen und XXL-Popcorn-Kübeln und ein paar
Arthouse-Kinos werden überleben. Stattdessen erleben wir gerade einen Boom
der kleinen Ladenkinos. Woran liegt das?
Weil die Leute es satthaben, in Multiplexen wie auf einem Laufband
abserviert zu werden, anstatt persönlich begrüßt zu werden. Sie haben diese
Anonymität und Flughafenatmosphäre im Foyer satt. Kino ist einfach mehr als
nur ein funktionaler Betrieb.
Wie genau würden Sie dieses „mehr“ definieren?
Es gibt so viele Möglichkeiten, Filme zu sehen. Auch die obskursten Filme
findet man im Internet. Aber es ist eine ganz andere Filmerfahrung, wenn
man zusammen mit anderen in einem Raum sitzt. Es wird langsam dunkel, der
Vorhang geht auf, diese ganze Zeremonie ist magisch. Die Gefühle, ob man
nun lacht, weint, sich amüsiert oder erschrickt, sind in der Gruppe ganz
anders, viel stärker, als wenn man nur alleine zu Hause hockt und sich
einen Film ansieht. Gerade auch, weil wir inzwischen so viel zu Hause Filme
gucken, brauchen wir den Gegenpol, brauchen wir es, gemeinsam in der Gruppe
Filme zu erfahren.
Ohne die Digitalisierung, die Umstellung von den analogen auf digitale
Filmprojektoren, wäre ein Kino wie das Wolf nicht denkbar, oder?
Nein. Die analogen 35-Millimeter-Projektoren sind sehr groß, man bräuchte
dafür extra Vorführräume. Den Platz hätten wir bei uns gar nicht.
Ihr Kino soll eine Begegnungsstätte mit Café und Gastronomie werden. Würden
Sie sagen, die klassischen Arthouse-Kinos, in denen man sich einen Film
ansieht, über diesen jedoch lieber in der Kneipe nebenan diskutiert, sind
Auslaufmodelle?
Ich glaube nicht, dass jetzt die Arthouse-Kinos aussterben werden, sie
müssen sich aber auch überlegen, wie sie sich als Ort lebendiger zeigen
können. Das Publikum erwartet heute einen gewissen Veranstaltungscharakter
von Programmkinos. Die bieten teils zwar auch Workshops und Gespräche mit
Filmemachern an, aber noch viel zu wenig. Man kann als Kinobetreiber nicht
mehr so wie früher denken: Okay, eine neue Kinowoche hat begonnen – da ist
das Poster zum Film, dort der Trailer, kommt jetzt doch bitte alle ins
Kino! Das zieht nicht mehr. Man muss etwas anbieten, was es dem Publikum
ermöglicht, sich mit dem Film auseinanderzusetzen.
Wie hat sich denn bei Ihnen selbst diese Leidenschaft fürs Kino entwickelt?
Ich habe Film und Fotografie studiert, dann als Kartenabreißerin in dem
besagten Kino in London gearbeitet. Dabei habe ich gemerkt, was für ein
großartiger Ort das Kino ist. Weil man bei jeder Filmvorführung ein ganz
anderes Publikum kennenlernt und es Filme gibt, bei denen die Leute
wahnsinnig wütend aus der Vorstellung rennen und mich, die
Kartenabreißerin, am liebsten verprügeln würden. Und es gibt andere
Vorführungen, bei denen die Leute total aufgeweicht aus dem Saal kommen und
noch stundenlang reden möchten. Das Kino als Ort ist so faszinierend, weil
er Herzen öffnet und die Menschen zusammenbringt. Es bringt sie dazu, über
Themen zu reden, über die sie vor dem Film nie miteinander reden konnten.
Das Wolf wird zwei Säle mit je 50 Plätzen haben. Das klingt eher
bescheiden.
So hat man leichter einen vollen Saal und damit eine bessere Atmosphäre.
Wollten Sie selbst mal Regisseurin werden?
Ich habe einen Kurzfilm gemacht, der ist aber ganz schlimm.
Wird der in einer Sondervorführung auch einmal im Wolf gezeigt?
Auf keinen Fall. Ich wäre vielleicht eine ziemlich mittelmäßige Regisseurin
geworden, aber die Welt braucht nicht noch mehr mittelmäßige Regisseure.
Und da liegt nicht noch ein halbfertiges Drehbuch in Ihrer
Schreibtischschublade?
Nein.
Von welchem Film würden Sie sagen, er habe Ihr Leben verändert?
Als Teenager in Heidelberg habe ich „Gas Food Lodging“ von Allison Anders
gesehen. Das war das erste Mal, dass ich einen Independent-Film gesehen
hatte, und danach war ich aufgewühlt und voller Fragen: Wo kommt das her,
diese Art von Kino? Warum hat mir niemand erzählt, dass es diese Welt des
Films gibt? Ich habe mich wirklich ein wenig betrogen gefühlt in dem
Moment. Mir wurde klar, dass es da ein Paralleluniversum gibt, eine
Kinowelt, die mir bislang vorenthalten wurde.
Und welcher ist Ihr ewiger Lieblingsfilm?
„Das ewige Märchen“ von Juri Norstein. Der muss auch gleich nach der
Eröffnung im Wolf gezeigt werden. Das ist ein wunderschöner russischer
Animationsfilm, der über den Charakter eines Wolfs die
Kindheitsgeschichte des Regisseurs erzählt, mit ganz viel Liebe zum Detail.
Gibt es Vorbilder für das, was Sie mit dem Kino Wolf vorhaben?
Sicherlich die Anthology Film Archives von Jonas Mekas in New York. Auch
die Cinémathèque française in Paris ist faszinierend. Wir orientieren uns
durchaus an diesen Leuchttürmen. Wir sind aber keine öffentlich geförderte
Institution, und es geht im Wolf auch weniger darum, Filmgeschichte
aufzuarbeiten, sondern neue Filme zu zeigen.
Eigentlich war vorgesehen, dass das Wolf bereits Ende 2015 eröffnet. Nun
ist ein Eröffnungstermin dieses Frühjahr anvisiert, weil sich die
Baumaßnahmen – Ihr Kino wird in die Räumlichkeiten eines ehemaligen
Bordells in der Weserstraße einziehen – verzögert haben. Muss das mit den
Verzögerungen einfach so sein in Berlin?
Es ist schon spürbar alles schwerer und auch teurer geworden in den letzten
Jahren. Die Leichtigkeit, die zu Beginn bei bestimmten Baumaßnahmen noch zu
spüren war, auch bei Gesprächen mit Architekten, die ist weg. Es gibt jetzt
einfach viel mehr Auflagen. Die ganzen Brandschutzvorschriften, die man
heutzutage erfüllen muss, sind absolut verrückt. Ich verstehe jetzt auch
die Krise beim BER-Flughafen ein wenig besser. Man bekommt Auflagen, die
sind einfach viel zu vage formuliert. Dann baut man so, wie man die Auflage
interpretiert, und schließlich kommt der Prüfer und sagt: Nein, so war das
nicht gemeint, alles bitte noch einmal von vorne.
Berlin hat bereits eine enorme Kinodichte. Gibt es da nicht auch irgendwann
einmal ein Zuviel an Kinos?
Nein, es ist nie genug. Man muss sich auch als Kino immer wieder neu den
Herausforderungen unserer Zeit anpassen. In dem Moment, in dem das Wolf
eröffnet wird, braucht man vielleicht schon wieder eine neue Generation von
Kinos und eine Gegenbewegung gegen genau uns.
Wenn ich jetzt auch mein eigenes kleines Programmkino eröffnen wollte, was
würden Sie mir als Rat mitgeben?
Es ist hart. Man muss hartnäckig sein und man braucht Glück. Im Wolf
stecken jetzt viereinhalb Jahre meines Lebens drin, und hätte ich vorher
gewusst, wie schwer manches wird, hätte ich es mir vielleicht nochmal
überlegt.
Die Weserstraße ist inzwischen eine der bekanntesten Ausgehmeilen der
Stadt. Kino und Ausgehexzesse, wird das zusammenfinden?
Die Nachtschwärmer sollen einfach morgens nach der Party kommen. Gleich zum
Zehn-Uhr-Film.
30 Jan 2016
## AUTOREN
Andreas Hartmann
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