# taz.de -- Die Unverwüstliche Uschi Brüning kam in den Sechzigern nach Ostbe… | |
Bild: „Nach der Wende waren wir für den Westen nicht mehr interessant, auch … | |
Interview Gunnar LeueFotos David Oliveira | |
taz: Frau Brüning, auf Ihrem Album covern Sie den alten | |
Peggy-March-Schlager „Mit 17 hat man noch Träume“. Welche hatten Sie, Mitte | |
der Sechziger, mit 17? | |
Uschi Brüning:Sängerin zu werden und berühmt! Damals ging ich noch auf die | |
Oberschule in Leipzig und lebte meinem Abitur entgegen. Ich habe zwar | |
nebenbei Amateurmusik gemacht, suchte aber nach einem richtigen Beruf. | |
Eigentlich wollte ich Lehrerin für Musik und Deutsch werden, bekam jedoch | |
keinen Studienplatz. Dann fragte mich die Frau unseres Bandschlagzeugers, | |
die beim Gericht arbeitete, ob ich nicht auch da anfangen wolle. Also habe | |
ich Gerichtssekretärin gelernt. | |
Justizbeamtin klingt nicht gerade nach künstlerischen Ambitionen, eher nach | |
ödem Bürojob. | |
Ach, ich habe den Beruf ganz gern gemacht und dabei auch einiges über das | |
Leben gelernt. Ich musste Ehescheidungsanträge entgegennehmen. | |
Das war bestimmt interessant. | |
Und wie, die Leute kamen ja aus allen Gesellschaftsschichten. Ich musste | |
sie nach den Scheidungsgründen fragen und nach dem letzten ehelichen | |
Verkehr. Oh je, dabei war ich ja selber noch ganz jung. Eine trockene | |
Veranstaltung war das jedenfalls nicht. Ich konnte sogar | |
Pfändungsbeschlüsse gegen Väter erlassen, die keine Alimente bezahlten. | |
Die Musikerlaufbahn haben Sie aber nicht aus den Augen verloren? | |
Keineswegs, für mich war das Gericht einfach ein Umweg, um doch noch | |
Berufssängerin zu werden. Ich hatte parallel in der Amateurband Studio Team | |
Leipzig gespielt. | |
Sie waren sogar Bassistin in der Band, eine echte Seltenheit in den | |
Sechzigern, oder? | |
Also, das kann man nicht so ernst nehmen. Es kam auch nur durch einen | |
Zufall zustande. Die Bassgitarre musste ich mir kaufen, um nicht aus der | |
Band zu fliegen. Ich beherrschte nur ein einfaches Beatstück und konnte | |
nicht annähernd so gut spielen wie zum Beispiel Suzi Quatro. | |
Wie hat das männliche Publikum in der Zeit auf eine Frau am Bass reagiert? | |
Das war denen egal, es erregte kein Aufsehen. Irgendwann haben sich die | |
Jungs in meiner Band auch einen richtigen Bassisten geholt, aber ich durfte | |
trotzdem in der Gruppe bleiben. Und eines Tages kam tatsächlich ein Anruf | |
aus Berlin bei mir auf Arbeit an: Der bekannte Big-Band-Leader Klaus Lenz | |
war dran und fragte, ob ich nicht bei ihm einsteigen wolle. | |
Lenz hatte Sie in Leipzig singen gesehen? | |
Nein, Horst Krüger, einer seiner Musiker, hatte mich mit Studio Team | |
Leipzig bei einem Auftritt gesehen und Klaus Lenz erzählt, dass es da in | |
Leipzig eine Sängerin gebe, die zwar nicht tanzen könne – und auch nicht so | |
gut aussehe – aber gut singen. Daraufhin hat Lenz angerufen und mich vom | |
Fleck weg engagiert. Das war der Ritterschlag, denn die Lenz Combo galt als | |
die Topband im Osten, zu der wollte jeder. Ich hatte meinen Beruf zwar | |
inzwischen liebgewonnen, aber endlich rief Berlin. | |
Berlin calling – das ist heute für junge Leute aus der ganzen Welt normal. | |
Welches Image hatte Ostberlin Ende der Sechziger bei jungen Leuten? Warum | |
wollten Sie unbedingt dort hin? | |
Jeder wollte dort hin, weil da einfach so viel passierte. Wir hatten in | |
Leipzig zwar die Messe und Goethes berühmten „Auerbachs Keller“, aber | |
Berlin war die Metropole. Gerade die Künstler zog es dort hin. Durch die | |
Mauer hatte man außerdem das Gefühl, nah am Westen zu sein. Klar, auch in | |
Leipzig hörten wir trotz schlechten Radioempfangs Westmusik, aber Berlin | |
war einfach einen Schritt weiter, wenn es um offenes Denken und die Kunst | |
ging. Und in der Hauptstadt befanden sich natürlich auch die Plattenfirma | |
Amiga und die Aufnahmestudios des DDR-Rundfunks. | |
Und dann haben Sie sich in Berlin eine Bude genommen? | |
Nee, das war ja noch schwieriger als für die jungen Leute heute. Damals | |
brauchte man als Zugereister für Ostberlin eine Aufenthaltsgenehmigung. | |
Deshalb habe ich anfangs immer bei Klaus Lenz oder in Hotels geschlafen, | |
bis ich meinen heutigen Mann Ernst-Ludwig Petrowsky kennenlernte, der auch | |
zeitweise in der Lenz-Band spielte. Der trat mir gütigerweise ein Zimmer | |
ab. Das wurde dann auch meine Autogrammadresse: Wilhelminenhofstraße 5 in | |
Oberschöneweide. | |
Das war ja damals eine absolute Malocher-Gegend, ein hartes Pflaster für | |
eine junge Künstlerin? | |
Oh ja, das war Anfang der Siebziger ein Arbeiterbezirk mit vielen Kneipen, | |
wo man noch nachts um zwei was bekam. | |
Ihr Talent als Jazzsängerin sprach sich rasch herum. Der später auch im | |
Westen sehr erfolgreiche Schriftsteller Ulrich Plenzdorf ließ in seinem | |
Kultbuch „Die neuen Leiden des jungen W.“ seinen Romanhelden Edgar Wibeau | |
von den Konzerten mit Old Lenz und Uschi Brüning im Nachtklub „Große | |
Melodie“ im alten Friedrichstadtpalast schwärmen. Er verglich Sie mit Ella | |
Fitzgerald. | |
Davon habe ich erst später erfahren. Als er das geschrieben hat, kannten | |
wir uns nicht. Natürlich fühlte sich das sehr gut an, wie ich überhaupt | |
fand, dass er die Gedankenwelt des DDR-Jugendlichen Edgar Wibeau | |
hervorragend im Buch beschrieben hat. | |
Wie würden Sie Ihr damaliges Berlin-Gefühl beschreiben? | |
Fantastisch, es war eine wunderbare Zeit. In der Jazzszene gab es so viele | |
klasse Musiker und Bands wie SOK, Modern Soul und Panta Rhei. Die machten | |
tollen Jazz, der sich klar an dem orientierte, was aus dem Westen kam, aber | |
in manchen Punkten vielleicht sogar offener war, weniger puristisch. Es | |
ging nicht nur streng jazzig zu, auch etwas poppig. Es gab viel Freiheit in | |
der Kreativität. | |
Fühlten Sie sich als elitäre Künstler? | |
Ja, wir haben durchaus empfunden, dass wir was Besonderes sind, oder besser | |
machen. Im Publikum saßen auch hin und wieder Westberliner. Das merkte man | |
daran, dass die immer kurz vor Mitternacht gingen, um pünktlich zurück über | |
die Grenze zu kommen. | |
Wurden die Jazzer von den Kulturfunktionären vielleicht mehr in Ruhe | |
gelassen, weil sie nicht so eine Massenwirkung ausübten wie die | |
Rockmusiker? | |
Das einerseits, andererseits gab es bei denen, die uns verwalteten, wohl | |
auch eine große Unkenntnis über das, was wir musikalisch trieben. Sicher | |
hat die Stasi auch ein Auge auf die Jazzszene geworfen, aber die meisten | |
Kulturfunktionäre hatten überhaupt keine Ahnung. Die sahen nicht durch und | |
konnten erst recht nicht belegen, was denn an unserer Musik konkret | |
staatsfeindlich sein könnte. Dadurch hatten wir wahrscheinlich etwas mehr | |
Freiheiten als andere Musiker in der DDR. | |
Nie Ärger mit der Staatsgewalt gehabt? | |
Den gab es eher wegen der Temperamentsausbrüche von Klaus Lenz. Nach einem | |
Konzert in Prerow an der Ostsee hatte er sich in seiner cholerischen Art | |
mal mit einem Koch angelegt. Leider war der Genosse und rächte sich, sodass | |
die Klaus Lenz Band sogar verboten wurde. Das fällt mir erst jetzt wieder | |
ein, dabei war das wirklich hart. Ich wusste nicht, wovon ich leben sollte, | |
musste Schulden machen. Irgendwann durften wir doch wieder spielen und dann | |
habe ich das auch vergessen. | |
Sie sangen in der Klaus Lenz Big Band auch mit Manfred Krug, der schon ein | |
Star in der DDR war. Heute machen Sie wieder zusammen Konzerte. Weil es | |
damals so toll war? | |
Nee, als ich als Sängerin in die Lenz Band kam, traf ich nicht gerade auf | |
einen glücklichen Manfred Krug. Der war stinksauer. | |
Hat er Sie als Konkurrenz empfunden? | |
Offenbar. Er war ja der Berühmte und als das Publikum nun „Uschi, Uschi“ | |
rief, war ihm das nicht egal. Das wäre mir wohl auch so gegangen. | |
Jedenfalls waren wir nicht gleich Freunde, was er auch gezeigt hat. Ich | |
kriegte so manche Spitze ab. Manchmal verstanden wir uns blendend und ich | |
hätte ihn ohne weiteres als duften Kumpel, Freund und Beschützer | |
betrachtet, aber am nächsten Tag war wieder alles anders. Wenn er einen Gag | |
auf Kosten anderer machen konnte, hat er es getan. Da war unsere | |
Freundschaft noch nicht so dicke wie heute. Aber als er dann die DDR | |
verließ, war ich aber doch sehr, sehr traurig, denn er war eine | |
Institution. Was er sagte, hatte Hand und Fuß. | |
Seine Ausreise nach Westberlin 1977 war auf gewisse Art ein tieferer | |
Einschnitt in die DDR-Gesellschaft als die Ausbürgerung von Biermann. | |
Ja, denn Krug war unser aller Held. Ich bin schon als junges Mädchen in | |
seine Filme gerannt und als Sänger habe ich ihn erst recht bewundert. Da | |
brach was weg. | |
Sie galten als das größte ostdeutsche Jazzgesangstalent. Träumten Sie mal | |
von einer Karriere im Westen? | |
Daran hat doch jeder irgendwann gedacht. Wir brannten für unsere Musik und | |
natürlich wollten wir auch mal dort hin, wo die allerbesten auftreten. | |
Sie konnten in den Achtzigern auch in Westberlin auftreten. Haben Sie gute | |
Erinnerungen daran? | |
Ich war mit meiner Band zweimal im Quartier Latin, wo auch viele | |
ausgereiste Ostler im Publikum saßen, und fand das immer sehr schön. Das | |
einzige Pech war, dass jedes Mal Leute aus meiner Band die Chance zum | |
Abhauen nutzten. Ein Techniker und ein Pianist. Das gab natürlich Ärger. | |
Haben Sie nie überlegt, selbst dazubleiben? | |
Wenn ich allein im Westen war, wollte ich nie weg. Als ich mit Ernst-Ludwig | |
Petrowsky reiste, hab ich schon mal überlegt. Aber eigentlich hätte ich es | |
nicht fertig gebracht, die zu verlassen, die uns lieben. Man hängt ja auch | |
an dem, was man als Heimat bezeichnet. Umso mehr tat es weh, als nach der | |
Biermann-Geschichte so viele weggingen: Nina Hagen, Krug und so weiter. | |
Viele Ost-Künstler hatten nach der Wende das Problem, dass ihr | |
Stammpublikum erst mal nur noch Bock auf Westkünstler verspürte. Hatten Sie | |
das auch? | |
Ich habe schon darunter gelitten, in welcher Art und Weise die Wende | |
abgelaufen ist. Von heute auf morgen brach alles zusammen, was Heimat war | |
und ich habe auch die Leute nicht verstanden, die sich für Bananen und Cola | |
so entblößten. Was unsere Auftragslage als Musiker betraf, so war auch | |
unser Publikum zum Teil weg. Also haben wir Projekte angeleiert, die | |
teilweise aus der Not geboren waren. Zum Beispiel „Vier Frauen im Konzert“ | |
mit Barbara Kellerbauer, Anne-Kathrin Bürger und der Opernsängerin Carola | |
Nossek, das sich dann als ein ausgesprochen erfolgreiches Projekt | |
herausstellt. | |
Vom berlintypischen Projekte-Eifer waren Sie dann in den Neunzigern also | |
auch voll erfasst worden? | |
Klar, wir mussten ja von irgendwas leben. Nach der Wende waren wir für den | |
Westen nicht mehr interessant, auch nicht für die befreundeten Jazzmusiker. | |
Plötzlich waren wir Konkurrenten. Auf einmal herrschte Ruhe. Ich konnte das | |
gar nicht verstehen, dass Freundschaften auch ihre Zeit hatten, je nach | |
Umständen. Das musste ich erst einmal verarbeiten. Das eigentliche Loch, in | |
das man fiel, war die Ungewissheit. Man wusste nicht mehr, wo man steht, | |
wer und was man ist. | |
Sie haben jetzt ein neues Album veröffentlicht, die Musik darauf bezeichnen | |
Sie teilweise als „gehobenen Schlager“. Ein besonders schönes Lied ist die | |
Holger Biege-Adaption „Wenn der Abend kommt“. Haben Sie das als Ausklang | |
gewählt … | |
…Sie meinen, um Abschiedsstimmung auszudrücken? Nein, ganz und gar nicht. | |
Dazu habe ich noch viel zu viele Zukunftspläne. Der Kosmos der Musik, die | |
ich noch machen möchte, wird immer größer. Ich bin da sehr offen und | |
hoffnungsfroh. Abendstimmung will ich jedenfalls nicht verbreiten. | |
Warum haben Sie den alten Ost-Hit ausgewählt? | |
Weil ich den Biege-Song stets geliebt habe und schon jahrelang mal | |
aufnehmen wollte. Mich hat auch immer etwas geärgert, dass Xavier Naidoo | |
mit einer Art Musik berühmt wurde, die Holger Biege schon viel früher sang. | |
Aber gut, dafür kann der Naidoo ja auch nichts. | |
Wie wichtig ist das Flair Berlins für Ihre Musik? | |
Ich muss Sie enttäuschen: Überhaupt nicht. Wir wohnen draußen in Ruhe am | |
Stadtrand, hier in Mitte würde ich verrückt werden. Berlin ist eine tolle | |
Stadt, aber mir ist das zu viel des Ganzen. Auch die Art, wie neugebaut | |
wird, ist nicht meins. Vieles wirkt kalt und eben so, als ginge es nur ums | |
Geld. Berlin nähert sich im Aussehen anderen Städten auch immer weiter an, | |
überall dieselben Gebäude. Das Urwüchsige verschwindet und wird nur noch | |
als Attrappe für Kneipen benutzt. | |
Ihre alte Heimatstadt Leipzig gilt ja deshalb nun als das bessere Berlin. | |
Ach so? Mich zieht es, außer zu gelegentlichen Konzerten, nicht mehr nach | |
Leipzig, weil ich dort niemanden mehr habe. Die Sehnsucht nach einem Ort | |
hängt ja immer von konkreten Menschen ab. | |
5 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Gunnar Leue | |
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