# taz.de -- Immer freundlich lecken | |
> Tanz Überspannte Körper: Der Extremchoreograf Jeremy Wade entwirft in | |
> seinem Stück „Drawn Onward“ im HAU eine Wunschmaschine für eine Ästhet… | |
> der Entgrenzung | |
Bild: Immer rundherum im Kreis mit „Drawn Onward“: Jeremy Wade himself in s… | |
von Astrid Kaminski | |
Schön ist weder die Bühne von Jeremy Wades jüngstem Stück „Drawn Onward�… | |
HAU 3 noch die darauf praktizierte Sexualfitness. Beides ist gut gemacht. | |
Aber was macht es für einen Unterschied, ob etwas schön oder gut gemacht | |
ist? Hier fangen die Divergenzen schon an, mit denen der Choreograf, der zu | |
den widerständigsten und philosophisch informiertesten der Berliner | |
Performanceszene zählt, sein Publikum konfrontiert. | |
Er entwirft Zustände, die Nähe herstellen wollen, aber Distanz schaffen, | |
und andersherum. Die Zuschauenden sind in diesem Akt Verbündete wider | |
Willen. Ihre Hingabe an den Glücksspielmechanismus des Theaters wird | |
gleichzeitig ernst genommen und ausgenutzt. | |
Wade hat sich vielleicht schon immer als Dienstleister im Sinn einer | |
Publikumsselbstbestätigung gesehen, und diese Rolle mit mal mehr, mal | |
weniger Ironie eingelöst. In früheren Stücken gab es zunächst eine Art | |
Sensibilisierungspädagogik, um eine größere Nähe zum Produkt auf der Bühne | |
herzustellen. „Together Forever“ vom Vorjahr war das empathischste seiner | |
Stücke, in dem er, im Team mit Kollegen, für das Publikum Wünsche des | |
Zusammenlebens choreografierte. | |
Sein Solo „Death Asshole Rave Video“ brach dann vollständig mit | |
Identifizierungsangeboten, formal jedoch servierte es perfekt getrimmtes | |
und getimtes Entertainment. Da ging es im Stil eines extremen | |
Fetischkapitalismus um die Grenzen des Konsumierbaren, um den Umschlagpunkt | |
von Reizerfüllung in Gewalt. Um eine Industrie des Todes, in die ein | |
Turbokapitalismus, in dem immer das eine Produkt vom anderen, der eine | |
Affekt vom anderen, überboten wird, zwangsläufig führen muss. | |
## Queere Science-Fiction | |
Zur Vorbereitung seines aktuelles Stücks hat Wade dann in Zusammenarbeit | |
mit dem HAU und der Kunsthistorikerin Kerstin Stakemeier eine Lesegruppe | |
ins Leben gerufen, die sich in fünf Sitzungen mit Herleitungen und Ideen zu | |
queerer Science-Fiction beschäftigte. „Drawn Onward“ ist nun, wie schon der | |
vorwärts wie rückwärts zu lesende Titel vermuten lässt, ein geschlossenes | |
System: eine Zukunft produzierende Gegenwart und eine Wirklichkeit | |
produzierende Wunschmaschine, wie sie Guattari und Deleuze in ihrer | |
Psychoanalysekritik „Anti-Ödipus“ entworfen haben. | |
Die Ästhetik der Bühne steht für eine Mischung aus Messestand und | |
Sportstudio: ein Tresen mit Logo, eine Präsentationsfläche, auch mit | |
Logo: ein Kreis in Blau-Grün-Verlauf, der in seiner formalen Strenge und | |
mit seinen kalten Farben klinische Sterilität ausstrahlt und mit seiner | |
eingeschlossenen Freifläche gleichzeitig ritualistische Erwartungen | |
aufruft. Hinter dem Tresen steht der Performer Marc Lohr, der sich als eine | |
Mischung aus Personal Trainer und Therapeut erweisen wird, im Innern des | |
Logokreises ist Jeremy Wade an eine anal-orale Maschine angeschlossen. In | |
Tierhaltung leckt er, in verschiedenen Tempostufen, vorne einen beachtlich | |
großen Dildo, während die Maschine ihn von hinten bearbeitet. | |
Die Message dieses Anfangsbilds, das etwa zehn Minuten dauert, ist so klar | |
wie seine Methode provokativ: Hier wird das Subjekt zum Objekt seiner | |
Erfüllungsoptimierung. Effekt wird zu Affekt und wieder zu Effekt wie | |
Angebot zu Bedürfnis und Bedürfnis zu Erfüllung. | |
In einem späteren tranceartigen Monolog definiert Wade „Drawn Onward“ als | |
„Jetzt auf Crack“, als „stroboskopische Disco im Exzess des Codes“, als | |
„korporativer körperlicher Bewältigungsmechanismus“. Diese | |
poststrukturalistischen Sprachspiele sind Teil seiner Ästhetik, und sie | |
sind in diesem Fall stärker als die Bilder, die noch kommen und die in | |
ihrer Raumverteilung kaum choreografische Finessen zum Einsatz bringen. Im | |
Wesentlichen laufen sie in unklarer Handhabe darauf hinaus, anhand von | |
Tools zur Selbstoptimierung ein zwanghaft rituell geprägtes System zu | |
spiegeln, in dem es keinen Unterscheidung von Nützlichem und Notwendigen | |
mehr gibt. | |
## Des Pudels Kern | |
Das ist bei Wade weder gut noch schlecht, sondern in erster Linie | |
anstrengend. Sein Körper ist überspannt, teilweise so weit, dass rein | |
vegetative Reflexreaktionen einsetzen. Sein Motto „We align with life“ ist | |
alternativlos. Das klingt verdammt vertraut. Nur hätte es am Ende etwas | |
mehr als einen Pudelkopf aus Rasierschaum gebraucht, um das Szenario des | |
Anfangsbilds aufzuwiegen. So kam erst des Pudels Kern und dann der Pudel. | |
„Drawn Onward“ heute, am Samstag, 20 Uhr, im HAU 3, Tempelhofer Ufer 10 | |
24 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Astrid Kaminski | |
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