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# taz.de -- Ein Weizen-Roggen-Kaffee-Bockbier
> Handwerk Biere aus kleinen handwerklichen Brauereien boomen in Berlin.
> Von Marktanteilen wie in den USA sind die Craft-Beer-Brauer aber noch
> weit entfernt. Dafür gibt es aber schon das erste Buch über den neuen
> Trend und die Berliner Brauerszene
Bild: Trinkt gern Bier mit Geschmack: Philipp Brokamp, Brauer von Hops & Barley…
von Jens Uthoff
Es liegt ein würziger, etwas beißender Geruch in der Luft des feuchten
Raumes, in dem Philipp Brokamp und Marcus Wehrbein neben zwei großen
stählernen Kesseln stehen. Die beiden Brauer haben gerade die Schicht
beendet. Wehrbein säubert nun den linken Bottich, die Sudpfanne, an deren
Deckel noch Hopfenreste kleben. Rund 500 Liter Bier haben sie hier, im
Hinterzimmer einer Friedrichshainer Kneipe, heute gebraut.
Inhaber Brokamp hat in dem küchengroßen Raum vor sieben Jahren seine eigene
Bierfabrik eingerichtet: „Wir sind eine klassische Hausbrauerei“, sagt er.
Brokamp, Jahrgang 1975, hatte bereits in verschiedenen Brauereien in ganz
Deutschland gearbeitet, als er sich 2008 an der Spree selbstständig machte:
„Ich hatte immer im Hinterkopf, irgendwann mein eigenes Bier zu brauen.“ Er
stieß auf die ungenutzte ehemalige Fleischerei nahe dem Boxhagener Platz,
möbelte den Laden innerhalb eines Jahres mit Hilfe von Verwandten auf. Die
Kneipe samt eigener Brauerei benannte er nach dem Song einer britischen
Punkband: Hops and Barley. Hops wie der Hopfen, Barley wie die Gerste.
## Brauen in alter Fleischerei
Die Geschichte des Hops & Barley eignet sich in vielerlei Hinsicht, um zu
verstehen, wie in Berlin ein kleiner Boom an handwerklicher Braukunst, die
meist unter der US-amerikanischen Bezeichnung Craft Beer firmiert,
entstehen konnte. „Als ich begann, hat noch keiner über Craft Beer
gesprochen“, sagt Brokamp – inzwischen sei ein Hype darum entstanden.
Warum? Vor allem waren da Kunden, die die Marke Eigenbräu schätzten. Die
neugierig waren auf andere Geschmäcker. „Die Industriebiere sind in den
letzten Jahrzehnten immer langweiliger, immer milder geworden“, sagt
Brokamp. „Man kann sie heute kaum mehr auseinanderhalten.“ Mit dieser
Meinung steht er nicht alleine da – fast alle Brauer begründen den Trend
zurück zum Handwerksbier damit. Das markante, oft eigenwillige Aroma werde
geschätzt: „Die Leute wollen ja auch mal Bier mit Geschmack trinken“, sagt
Brokamp und grinst.
Craft Beer ist heute gerade an der Spree allgegenwärtig. In fast jedem Kiez
gibt es Kleinbrauereien und Kneipen, es gibt mehrere Craft-Beer-Messen und
Festivals, auch ein ausschließlich dem Thema gewidmetes Online-Magazin
namens Hopfenhelden.de stammt aus Berlin. Insgesamt zählt man 23
Bier-Handwerksbetriebe in der Hauptstadt. Eine kleine Firma wie die in
Neukölln ansässige Rollberg-Brauerei braut heute knapp 300.000 Liter pro
Jahr – vor drei Jahren waren es erst 180.000 Liter. Und zu Beginn kommenden
Jahres eröffnet auch die Stone Brewing Company – eine der zehn größten
Craft-Beer-Brauereien aus den USA, wo die Bewegung ihren Ursprung hat – im
alten Gaswerk in Mariendorf einen europäischen Standort.
In Berlin stehen alle diese Kleinbrauer – wobei bei Letzteren nicht klar
ist, ob man sie wirklich als solche bezeichnen kann – einem großen
Marktgiganten gegenüber: der zur Radeberger Gruppe gehörende
Berliner-Kindl-Schultheiss-Brauerei in Alt-Hohenschönhausen, in der heute
sieben Biere hergestellt werden (neben den Namensgebern: Berliner Pilsner,
Potsdamer Rex, Berliner Bürgerbräu, Märkischer Landmann, Prater). Bis wann
man zu den „Kleinen“, ab wann man zu den „Großen“ zählt, ist dabei
hierzulande nicht genau definiert. Für den US-amerikanische Brauereiverband
ist „ein Brauer, der in kleinen Mengen und unabhängig von Konzernen auf
traditionelle Weise braut“, ein Craft-Beer-Produzent. „Kleine Mengen“ hei…
dort allerdings bis 9,5 Millionen Hektoliter pro Jahr – eine Menge, auf die
kaum eine Brauerei in Deutschland kommt.
Peter Korneffel hat kürzlich ein Buch über die „Biermanufakturen in Berlin�…
geschrieben, ein kleines Überblickswerk über die hiesige Szene. Der
52-Jährige sitzt an den Bierbänken in der Markthalle Neun in Kreuzberg, wo
ein weiterer Kleinbrauer, Heidenpeters, seinen Stand hat. Korneffel nippt
wechselnd an Bieren mit Mango- oder Limonenaroma, lässt sich die
gewöhnungsbedürftigen Sorten auf der Zunge zergehen (“sehr fruchtige
Hopfung“), und erklärt, was er dazugelernt hat, seit er sich mit Craft Beer
beschäftigt. „Man merkt erst richtig, wie spannend Bier sein kann. Wenn man
viele verschiedene handwerklich gebraute Biere trinkt, erweitert man damit
auch sein Geschmacksempfinden.“ Man hört bei Korneffel den Kenner, wenn er
von Imperial Pale Ale, India Pale Ale oder Stout spricht – dies sind
beliebte obergärige Biersorten unter Handwerksbrauern, im Gegensatz zu den
weitverbreitetsten untergärigen Sorten Pils oder Helles.
Korneffel hat festgestellt, dass die Lebensläufe vieler Brauer denen
freischaffender Künstler ähnelten – sie seien selbstständige Kreative mit
einem kleinen Kesselhaus als Atelier und könnten von ihrer Braukunst allein
anfangs noch nicht leben. Einer, den er nun schon länger kenne, erzählte
ihm stolz, dass er sich beim Jobcenter abgemeldet und es geschafft habe.
„Ganz viele Brauer kommen auf Umwegen zur eigenen Brauerei und zum Craft
Beer“, so Korneffel, „dabei spielen oft Zufälle eine Rolle.“
## Tipp vom Arbeitsamt
Zufälle und Umwege kennt auch Brokamp, der, ein schäumendes Helles frisch
vom Fass vor sich, im Kneipenraum des Hops & Barley sitzt. Bei ihm war der
Zufall die Liebe, der er an die Spree folgte. „Eine Anstellung in einer
großen Berliner Brauerei war zu der Zeit unrealistisch“, sagt Brokamp –
also machte er sein eigenes Ding. Aufgewachsen ist er im westfälischen
Borken, als Sportjournalist in einer Agentur wurde er nicht glücklich. Ein
Tipp vom Arbeitsamt brachte ihn zum Brauen. Nach der Brauerlehre folgte
zunächst eine Odyssee durch Deutschland – Hagen, Steinfurt, Niederbayern.
In Berlin hatte er etwa 60.000 Euro Startkapital zur Verfügung, die erste
Brauanlage – heute sind es drei – hat er online gekauft. Von der Kiezkneipe
– „der Opa von nebenan kam genauso wie die Leute, die bei uns Fußball
gucken wollten“ – wandelte sich das „Hops“, so die Kurzform, zu einem P…
der in japanischen Berlin-Reiseführern gelistet wird. Auch wenn die
Betreiber es selbst nicht gern hören, gelten sie als Craft-Beer-Vorreiter.
Sie bieten heute ab und an Führungen und Braukurse an. Seit drei Jahren hat
Brokamp mit Wehrbein – auch gelernter Brauer – einen zweiten Braumeister.
Neben der eigenen Kneipe verkaufen sie auf Bierfestivals oder stellen
Fässer und Zapfanlagen für Privatpartys bereit.
Brokamp kommt auf etwa 30 verschiedene Biere, die er im Jahr braut und in
seiner Kneipe anbietet. „Das Ausgefallenste war mal ein
„Weizen-Roggen-Kaffee-Bockbier“, sagt er, „das hatte sieben Prozent. War
interessant, würde ich aber nicht jeden Tag trinken“, sagt er. Doch das sei
ja das Gute an einem Minibetrieb wie dem Hops: Man könne alles
ausprobieren.Die neue Kleinbrauer-Bewegung scheint dennoch in Berlin erst
am Anfang zu stehen. Die Berliner Szene, sagt Brokamp, habe sich noch nicht
dahin entwickelt, dass die Kleinen sich in erster Linie als Konkurrenten
sähen. „Wir beharken uns untereinander nicht, wir bedienen aber auch
unterschiedliche Sparten.“ Er zum Beispiel verkaufe ausschließlich
gezapftes Bier und wolle nicht ins Flaschengeschäft einsteigen; andere,
etwa Christoph Flessa (Flessa Bräu), der für das taz Panter Bräu
verantwortlich zeichnet, setzen auf Flaschenbiere. Und, bei allem Hype um
Craft Beer: Korneffel schätzt den Anteil der Kleinbrauereien an Berlins
Bierproduktion auf gerade mal 1,5 Prozent (zum Vergleich: in den USA ist
man bei etwa 10 Prozent).
Interessante Besonderheiten der Berliner Szene? Wenn man mit Korneffel
spricht oder sein Buch liest, erfährt man jede Menge. Etwa, dass man dank
zweier Kleinbrauer die Urform der Berliner Weißen wieder trinken kann:
Während das Original von 1680, die einzige überhaupt in Berlin entwickelte
Biersorte, vom Markt verschwunden war, gibt es nun mit Brew-Baker und
Bogk-Bier zwei Hersteller, die sich an der Originalrezeptur orientieren.
Auffällig ist, dass sich kaum Frauen in die Berliner Brauerszene mischen.
Ein Bier-Start-Up wie etwa das ehemalige beer4wedding bildet hier die
Ausnahme. Die Weddinger haben sich inzwischen an der Alten Börse in Marzahn
niedergelassen, in „Berliner Bierfabrik“ umbenannt – und wachsen mächtig.
Mag sein, dass dort gerade die nächste Erfolgsgeschichte des Berliner
Brauhandwerks geschrieben wird.
22 Sep 2015
## AUTOREN
Jens Uthoff
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