# taz.de -- „Der kann doch auch bei uns leben“ | |
> SENSIBEL In Bremen werden bereits seit fünf Jahren junge Flüchtlinge | |
> erfolgreich in Familien vermittelt. Auch in Hamburg wird jetzt dafür | |
> geworben und das Interesse von Eltern ist groß. Aber nicht jede Familie | |
> ist geeignet und es stehen noch bürokratische Hürden im Weg | |
Direkter helfen geht kaum: „Werden Sie Pflegefamilie! Nehmen Sie junge | |
Flüchtlinge bei sich auf!“ So wirbt der Pflegefachdienst Pfiff in Hamburg. | |
In der Stadt leben mehr als 800 junge unbegleitete Flüchtlinge in | |
Erstaufnahmeeinrichtungen. Einige könnten sich laut Pfiff in einer | |
Pflegefamilie stabilisieren und eine Perspektive entwickeln. | |
„Noch ist das Projekt in der Vorbereitung“, sagt Koordinator Adam | |
Muminovic. Es gebe einiges zu klären. In Hamburg regelt eine sogenannte | |
Fachanweisung etwa, dass ein Pflegekind stets das jüngste Kind in der | |
Familie sein soll. Alleinreisende junge Flüchtende sind aber oft zwischen | |
15 und 18 Jahren alt. Auch wird erwartet, dass ein Elternteil in Teilzeit | |
arbeitet. „Solche Fragen gilt es noch zu klären“, sagt Muminovic. | |
Trotzdem lädt Pfiff am 24. und 31. August zu Info-Abenden. „Das Interesse | |
ist groß“, sagt Muminovic, der erste Termin sei schon ausgebucht. Allein | |
durch interne Werbung habe man fast 30 Interessenten gewinnen können, | |
darunter gestandene Pflegeeltern. Doch nicht alle seien geeignet. Es sei | |
wichtig, sensibel für die Erfahrungen der Flüchtlinge zu sein, | |
möglicherweise durch eine eigene Migrationsgeschichte. Der Prototyp seien | |
Eltern ab 50, deren Kinder fast oder gerade aus dem Haus sind, sagt | |
Muminovic. | |
In dieser Phase ist Peter Beck nicht. Der Bremer Polizist hat zwei Söhne, | |
fünf und zehn Jahre alt — und seit Januar hat er einen 17-jährigen | |
Pflegesohn aus Somalia. „Bei uns läuft das 100-prozentig“, sagt Beck. „D… | |
Junge geht zur Schule, trifft sich mit Freunden, geht zum Fußball. Meine | |
Jungs nennen ihn Bruder und behandeln ihn auch so.“ Über sein Engagement | |
bei einer Flüchtlingsinitiative kam er mit dem Jungen in Kontakt, wurde | |
Vormund. „Er war ein paar Wochen bei uns, da haben wir gedacht: Mensch, der | |
kann bei uns leben“, sagt Beck. | |
Anders als in Hamburg gibt es in Bremen seit fünf Jahren das Projekt | |
Pflegekinder in Bremen GmbH (PIB), das junge Flüchtlinge in Familien | |
vermittelt und Eltern wie die Becks begleitet. | |
„Es ist nicht schlimm, jemanden aus einem anderen Kulturkreis aufzunehmen“, | |
sagt Beck. Nur während des Fastenmonats Ramadan sei sein Pflegesohn nicht | |
gut gelaunt gewesen, weil er tagsüber nichts gegessen habe und sich dann | |
abends seinen Couscous kochte. | |
Einmal im Monat treffen sich die Becks mit allen anderen | |
Flüchtlings-Pflegeeltern zur Supervision bei PIB. „Im Prinzip haben alle | |
ähnliche Problemchen“, sagt er. Zum Beispiel, dass die Jungs sich an die | |
westliche Gesellschaft gewöhnen müssten. „Mein Pflegesohn hat 40 Kilometer | |
vor Mogadischu in einer Lehmhütte gelebt. Er kannte keinen Strom aus der | |
Steckdose und keine Straßenbahn“, erzählt Beck. Sein Pflegesohn ist in | |
Deutschland geduldet, schafft er Schule und Ausbildung, hat er gute | |
Chancen, bleiben zu dürfen. | |
Insgesamt hat PIB mehr als 70 junge Flüchtlinge in Bremer Pflegefamilien | |
vermittelt, derzeit seien es etwa 25, sagt Geschäftsführerin Monika | |
Krumbholz. PIB habe das Projekt behutsam aufgebaut. Nun riefen selbst aus | |
Bayern Kommunen an, um sich zu informieren. Und viele Menschen, die | |
politisch oder christlich motiviert sind, wollten helfen, „sagen, wir haben | |
Lust, wir haben Platz, wir können uns das vorstellen“. | |
Doch man dürfte keine verklärten Vorstellungen haben. Die jungen | |
Flüchtlinge seien nicht so hilfsbedürftig wie kleine Kinder. „Die wollen | |
zur Schule, die wollen einen guten Platz, die wollen eine Ausbildung“, sagt | |
Krumbholz. Auch hätten sie auf der Flucht gelernt, autonom für sich zu | |
sorgen. „Da kommen schon mal Klagen: Der kocht immer allein sein Essen. Der | |
soll mit uns essen.“ Dabei sei Kochen oft das einzige, womit die jungen | |
Flüchtlinge sich hier identifizieren können. „Statt Erziehung ist | |
Begleitung gefragt“, sagt Krumbholz. Deshalb spreche PIB auch lieber von | |
Gastfamilien und nicht von Pflegefamilien. KAJ | |
22 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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