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# taz.de -- Kulturverlust: Sie haben Post!
> Der Einstellungsstopp gefährdet Norddeutschlands bedeutendste Bibliothek,
> fürchtet ihr Direktor. Und schrieb an Ministerpräsident Wulff. Angekommen
> ist der Brief nicht.
Bild: Einst ein Weltwunder und der Stolz der Welfen: in der Augusteerhalle der …
Sie lesen? Das ist eine gute Voraussetzung dafür, dass Sie das Schicksal
einer niedersächsischen Bibliothek nicht kalt lässt. Oder wenigstens:
dieser einen. Der wichtigsten, sagen gar die Fachleute: Die Herzog August
Bibliothek in Wolfenbüttel, 1572 gegründet, galt in der Barockzeit als das
achte Weltwunder.
Die Welfenfürsten unterhielten ein europaweites Netzwerk von Agenten, um
ihr die edelsten Preziosen der Druckerkunst einzuverleiben. Ihre
berühmtesten Direktoren hießen Leibniz, Lessing und Paul Raabe. Derzeit
liegt der Bücher-Bestand bei einer Million, davon 350.000 älter als 200
Jahre. Sie untersteht direkt dem niedersächsischen Wissenschaftsminister
Lutz Stratmann (CDU). Und: Es geht ihr schlecht.
"Wenn uns die Sparmaßnahmen in der Substanz gefährden", sagt Direktor
Helwig Schmidt-Glintzer, "dann muss ich das auch sagen dürfen." Man hört da
schon: Dieser Mann ist kein Lessing, was die Lust an Polemik angeht. So hat
er Mitte Juli auch eher ein Bittschreiben verfasst - an den
Ministerpräsidenten Christian Wulff (CDU), aber auf dem
hierarchisch-korrekten Umweg über das Stratmann-Ministerium. Vorwürfe könne
man nicht nennen, was er da formuliert hat, sagt Schmidt-Glintzer. "Ich
habe keinen Anlass, die Landespolitik zu kritisieren."
Eine Antwort erhielt er trotzdem nicht. In der Staatskanzlei heißt es, das
Schreiben sei bis zum gestrigen Mittwoch nicht eingetroffen. "Wir wissen
nicht wo es hakt", sagt Regierungssprecher Roman Haase. Dafür ist
mittlerweile die Problemlage durchgesickert: Vergangene Woche hatte die
Grünen-Politikerin Gabriele Heinen-Kljajic es im Wissenschaftsausschuss
angesprochen, Dienstag stand es in der Lokalzeitung.
Seither nimmt das Stratmann-Haus Stellung: "Abwegig" sei die Sorge des
Direktors. Neben dem Jahres-Etat von 6,4 Millionen Euro gebe es immer
wieder Sonderaufwendungen, allein als 2007 der Psalter des Bernward von
Hildesheim gekauft wurde, habe man dafür "zusätzlich 800.000 Euro
Landesmittel bereitgestellt - die Hälfte des Preises. Grundsätzlich, so
Minister-Sprecher Christian Stichernoth weiter, seien "in der aktuellen
Finanzsituation alle von Einsparungen betroffen", zudem lebe die HAB schon
seit 2004 mit der Kürzung des Erwerbs-Etats um ein Drittel. Und dass sie
mit neun Vollzeitstellen weniger auskommen muss als der Expertise zufolge
nötig - daran ist noch Schröder schuld.
Was stimmt, das Problem aber nicht entschärft: "Wie sparen geht", sagt
Schmidt-Glintzer, "muss man mir nicht beibringen." Akut leidet die HAB
unter dem Mitte April vom Finanzministerium verkündeten Einstellungsstopp:
Der Mitarbeiter, der die Veröffentlichungen des Forschungszentrums betreut,
ist in Ruhestand gegangen. "Das kann ich nicht kompensieren", so
Schmidt-Glintzer. Es bestehe die Gefahr, "dass wir nicht mehr fähig sind,
die Forschungsergebnisse zu publizieren". Insbesondere betroffen sei der
Sammelband zum Internationalen Barock-Kongress.
Damit ließe sich leben, mag der Laie denken. Irrtum: Es droht ein
Schneeball-Effekt - gerade weil die Frühe-Neuzeit-Forschung einer der
angesagtesten Zweige der Geisteswissenschaften ist. Sprich: Hier fließen
Drittmittel, um deren Vergabe die Institute einen teils erbitterten
Wettbewerb austragen. Ohne Output kein finanzieller Input.
Schmidt-Glintzer hat nun angeregt, die Institution eventuell unter
Bundes-Fittiche zu geben. Ein Vorschlag, den die Grüne Heinen-Kljajic
"bedenkenswert" findet - und "jederzeit leicht zu rechtfertigen". Aber
nicht schnell zu realisieren: frühestens "in ein paar Jahren" wäre der
Vorgang abgeschlossen. Zu langsam. Bleibt die Hoffnung, dass vorher
Schmidt-Glintzers Brief bei seinem Adressaten landet.
2 Sep 2009
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
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