| # taz.de -- Normale Randale: "Volkssport" ohne Moral | |
| > Ausschreitungen auf der Bremer Sielwallkreuzung haben linke Tradition. | |
| > Doch nun, sagt die Polizei, werde sie von "Normalbürgern" angegriffen. | |
| Bild: Ein Event für normale Bürger: Angriffe auf Polizisten Samstagnacht in B… | |
| BREMEN taz Einen Appell an die Bürger, den gesellschaftlichen Konsens nicht | |
| zu verlassen - um nicht weniger ging es Bremens Polizeipräsident Holger | |
| Münch, als er am Dienstag zur Pressekonferenz geladen hatte. Am Wochenende | |
| war es nachts auf der Sielwallkreuzung in Bremens links-alternativem | |
| Steintorviertel zu Auseinandersetzungen mit der Polizei gekommen. Doch es | |
| waren keine linken Autonomen oder "Ultras", Hardcore-Fußballfans: "Normale | |
| Bürger haben Flaschen geworfen, dazu geklatscht und die Polizisten | |
| beschimpft", so Münch. Konflikte sei die Polizei gewohnt, nicht aber mit | |
| der Klientel, für die sie eigentlich arbeite. Um das Anliegen zu | |
| unterstreichen, hatte Münch einige PolizistInnen eingeladen. Eine junge | |
| Polizistin, erst ein Jahr dabei, war erschüttert: "Ich wurde von Menschen | |
| beschimpft oder bespuckt, die mein Papa oder Opa hätten sein können." | |
| Festgenommen worden waren wegen Angriffen auf die Polizei am Wochenende | |
| vier Männer, zwischen 17 und 33 Jahren, die sich keiner politischen Szene | |
| zuordnen ließen. Zum "Viertelfest" waren Menschen aus ganz Bremen in die | |
| Stadtteile Ostertor und Steintor gekommen, um vor Bühnen, Bierständen und | |
| Bratwurstbuden zu feiern. Das Betreten der zentralen Kreuzung war am diesem | |
| Abend an sich noch kein Vergehen. Dennoch flog, wie an so manchem | |
| Wochenende üblich, irgendwann ein Ball in die Menge und wie immer rannte | |
| ein Polizeitrupp hinterher und konfiszierte die Kugel. Flaschen flogen. | |
| "Wenn wir das Fußballspiel nicht unterbinden, folgen Lagerfeuer und dann | |
| Vandalismus", so Polizeipräsident Münch. | |
| Diese Szene ist in Bremen bekannt und - wenn auch ohne Fußball - jahrelange | |
| Tradition im linken Stadtteil. | |
| Bekannt sind auch die Reaktionen aus der Politik: Wie seit Jahren forderte | |
| die CDU ein Sofortprogramm zur Befriedung der Kreuzung, sah dort einen | |
| "rechtsfreien Raum". Die FDP warf der SPD vor, gegen die "Freunde" von der | |
| Antifa nicht hart genug durchzugreifen. Doch die waren diesmal laut Polizei | |
| gar nicht beteiligt. | |
| Ähnlich war es bereits am 9. Juli gewesen. Straßenschilder und Steine waren | |
| auf die Polizei geflogen, eine große Menge auf der Kreuzung hatte | |
| applaudiert. Auch im Juli waren es keine Linken, sondern | |
| "erlebnisorientierte Jugendliche", wie die Polizei sie nannte. Auch im Juli | |
| hatte eine Open-Air-Festivität, die "Breminale", zahlreiche Besucher ins | |
| Viertel gelockt. | |
| "Wo viele Leute auf einem Haufen sind, findet man auch Idioten", sagte der | |
| Leiter des Ortsamts Bremen-Mitte, Robert Bücking. Die Krawalle in den | |
| Achtzigern und in den Neunzigern hätten noch mit dem linken Lebensstil der | |
| Viertelbewohner zu tun gehabt. "Die Leute sagten ,Wir leben wie Indianer im | |
| Feindesland'", so Bücking. "Die jetzige Randale hat keine Moral und kein | |
| Motiv." | |
| "Auch mit der Kreuzung hat es etwas zu tun", sagt Polizeipräsident Münch. | |
| "Das Viertel war Ausgangspunkt von Protestbewegungen, die Kreuzung der | |
| Punkt für Auseinandersetzungen mit der Staatsgewalt." In den Achtzigern, so | |
| Münch, da habe er selbst auf der Sielwallkreuzung gestanden, nach der | |
| Randale am Weserstadion gegen das Bundeswehrgelöbnis. Dann, in den | |
| Neunzigern, die regelmäßigen Silvesterkrawalle - alles im weitesten Sinne | |
| "links" motiviert. Heute dagegen seien die Ausschreitungen "eine Art | |
| Volksport" und hätten "Eventcharakter", vermutet die Polizei. | |
| 6 Sep 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Jean-Philipp Baeck | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Fußballverband verprellt Ultras: Bengalos auf Eis | |
| Funkstille statt Pilotprojekt: Der Streit zwischen dem DFB und Fußballfans, | |
| die sich für das Abbrennen von Pyrotechnik starkmachen, ist festgefahren. | |
| Kommentar Steintorviertel-Randale: Appelle nützen nichts | |
| In Bremen ist schnell erkannt worden, dass es Menschen in der ganzen Stadt | |
| gibt, für die Randale mit der Polizei "Eventcharakter" hat. Wenn die | |
| Zukunftsperspektive düster ist, wird es weiterhin Leute geben, die Krawall | |
| als Ventil benutzen. |