# taz.de -- Antony Hegarty predigt die Liebe zur Natur: Nur Wasser und Minerali… | |
> Mit ihrem neuen Album "The Crying Light" wenden sich Antony & The | |
> Johnsons einem Thema zu, an dem sich Künstler gerne verheben: dem | |
> Umweltschutz. | |
Bild: Wasser, Sonne, Steine: alles, was ein Transzendentalist braucht. | |
2008 war ein herausragendes Jahr für den in New York ansässigen englischen | |
Musiker Antony Hegarty. Und 2009 könnte in künstlerischer Hinsicht sogar | |
noch erfolgreicher für ihn werden. Standen die vergangenen zwölf Monate | |
zunächst im Zeichen von "Blind", dieser von Antony elegant interpretierten | |
House-Hymne, die maßgeblich zur Veredelung des Debütalbums seiner Freunde | |
Hercules & Love Affair beigetragen hatte (Antony steuerte zu dem Album auch | |
noch weitere Vocals bei), legte er im Oktober im Barbican Centre of Art in | |
London einen umjubelten Soloauftritt hin. | |
Angetan mit einer römischen Toga, performte der Transgender-Aktivist | |
zusammen mit dem London Symphony Orchestra vor ausverkauftem Haus neben den | |
Songs seines preisgekrönten Albums "I am a Bird Now" unter anderem das | |
Duett "Crazy in Love" von Beyoncé Knowles und Jay Z. Als hätte er nie etwas | |
anderes gemacht, als zeitgenössische R&B-Hits in transsexuellen Glanz und | |
Gloria umzudeuten. | |
Momentan steht sein Stern aber weniger im Zeichen von Camp. Dafür sind nun | |
erstmals in der Londoner Galerie Isis Kunstwerke von ihm ausgestellt, die | |
Hegarty von einer bisher unbekannten, weniger exaltierten Seite zeigen. Es | |
ist ein später Triumph: ausgerechnet in der Stadt, in der dem aus | |
Chichester in der Grafschaft Sussex stammenden Künstler einst der Zugang | |
zur Kunsthochschule verwehrt wurde. Alle großen britischen Tageszeitungen | |
berichten nun über den "Verkannten" und loben seine feingliedrigen | |
Tuschezeichnungen auf Papier und die flüchtig anmutenden Übermalungen von | |
Fotografien aus Illustrierten. Es sind dies Bilder aus der Natur, | |
bearbeitete Porträts von angeschossenen Eisbären und unscheinbare | |
Pflanzenzeichnungen - der Künstler selbst hat sie als "Traumlandschaften" | |
bezeichnet. | |
"Die Erde ist meine Mutter", sagte Hegarty kürzlich. "Wie sie bestehe auch | |
ich aus Wasser und Mineralien." Die Natur spielt auch auf seinem zeitgleich | |
erscheinenden neuen Album, "The Crying Light", die zentrale Rolle. Es ist | |
wieder in Zusammenarbeit mit seiner Band The Johnsons entstanden. Antony | |
hat alle Songs selbst komponiert, federführend für die Arrangements war der | |
junge New Yorker Komponist Nico Muhly. Auf "The Crying Light" kommt ein | |
zunehmend selbstsicherer Sänger zum Vorschein, der auf den sparsam | |
inszenierten Songs stoisch dahinschleicht, wie der Butoh-Tänzer Kazuo Ohno, | |
der das Albumcover ziert. Nein, verzehren wie früher tut sich Antony heute | |
nicht mehr, und so wusste der Künstler zur Genese seiner Songs kürzlich | |
anzumerken, die Gedanken zur Musik kämen nun um einiges reflektierter aus | |
ihm heraus. Jetzt, da er als über 30-Jähriger mehr | |
Verantwortungsbewusstsein entwickelt habe. | |
"I'm finding my rhythm / As twist in the snow" singt Antony, begleitet von | |
Oboen-Tupfern in dem Song "Epilepsy is dancing" und klingt dabei geradezu | |
trunken vor Glück und traumverloren. "Wenn ich träume, dann schließen sich | |
darin stets meine Sorgen um den Zustand des Planeten Erde und den Schutz | |
unserer Natur mit ein", sagte Hegarty in einem Interview. "Umweltschutz ist | |
ein zentrales Anliegen von mir." | |
Vielleicht hat dieser Schwenk ins Grüne damit zu tun, dass ökologische | |
Politik bisher weder in Antonys Heimat England noch in der Wahlheimat USA | |
über eine einflussreiche Plattform verfügt. Wenn also nur ein Bruchteil der | |
500.000 angloamerikanischen Plattenkäufer (nicht vergessen die zahllosen | |
Raubkopierer ) von "I'm a Bird Now" durch "The Crying Light" zum Nachdenken | |
angeregt werden würde, wäre wohl schon viel gewonnen. Antonys mahnende | |
Songtexte auf "The Crying Light" sind ästhetisch allemal interessanter als | |
jeder flammende Pressekonferenzen-Appell von Bono Vox zur Erhöhung des | |
Dosenpfands. Antony singt immer noch wie eine nervöse Taube, die in einem | |
Drahtkäfig zu flattern versucht. Oft zieht er dabei innerhalb eines Songs | |
alle stimmlichen Register, lässt die Stimmbänder regelrecht vibrieren. Er | |
tut das aber mit Leichtigkeit, ansatzlos gehen einzelne Worte und | |
Phrasierungen in waghalsigen Gesangsmelodien auf. | |
"I need another world / This one's nearly gone", hebt er in "Another World" | |
an. Dazu rollen Pianoakkorde in Moll, und ein zärtliches Gitarrenfeedback | |
direkt aus dem Delikatessengeschäft bricht der Stimme den Weg. Nicht hinein | |
in einen Weltuntergang, sondern sehr zielgerichtet in ein langsam mündendes | |
Outro, in dem Antony fürsorglich, aber auch genüsslich im Sinne der | |
Dramaturgie die Eigenschaften der Natur aufzählt, die er alsbald vermissen | |
wird, den Wind in den Bäumen etwa oder das rauschende Meer. | |
Welche Erfahrungen der Natur liegen Antonys Gedanken zugrunde? Er kann | |
unmöglich das gezähmte und kultivierte Naherholungsgebiet meinen, in das | |
sich die Erde durch die expansive Politik der Industrialisierung verwandelt | |
hat. Eher legen seine Texte eine Verwandtschaft mit der sozialutopischen | |
Bewegung des Transzendentalismus nahe, jener US-amerikanischen | |
Religionsphilosophie, die in der Frühzeit des Kapitalismus aufkam und sich | |
mit der unermesslichen Natur ihrer Umgebung und ihrer von starken | |
Kontrasten geprägten Landschaftsräume auseinandersetzte. Die | |
Transzendentalisten stützten sich in ihrer Konstruktion der Natur nicht auf | |
die Vernunft, sondern auf das Gefühl und die Mythologie. Es waren | |
einflussreiche US-Intellektuelle des 19. Jahrhunderts wie Henry David | |
Thoreau oder Ralph Waldo Emerson, die davon ausgingen, dass die unberührte | |
Natur wohltätig ist und dass beide, der Mensch und die Natur, infolgedessen | |
an Gott teilhaben. Die Natur als ideale Kirche und der einsame Mensch kämen | |
der Vollkommenheit am nächsten. Nur in ländlicher Abgeschiedenheit komme es | |
zu sittlicher und gesellschaftlicher Erneuerung. | |
Ähnlich antimaterialistische Ansichten von einer Erlösung finden sich auch | |
auf "The Crying Light". Antony inszeniert sich in den Songs als Naturwesen, | |
das eindringlich auf die zerbrechliche Existenz der Menschen auf Erden | |
hinweist. Allerdings sei seine Reaktion auf die Natur eine Reaktion aus | |
feminin-spiritueller Perspektive, erklärte er. Damit spielt er mit den | |
Stereotypen von naturwüchsiger männlicher Macht und weiblicher Ohnmacht. | |
Auch die Transzendentalisten, wenngleich völlig anders gedacht, haben sich | |
geweigert, den eigenen Körper und seine Begrenztheiten als real zu | |
akzeptieren. Wie ihre Philosophie muten auch die Songs von Antony asketisch | |
und zugleich ausschweifend an. Seine Musik entstehe intuitiv, hat Antony | |
Hegarty gesagt. Steine rufen ihn am Strand, weil sie gesammelt werden | |
wollen. Urplötzlich lägen sie vor ihm, genau wie die Kreativität beim | |
Songwriting, die einschlägt wie ein Blitz. | |
Anders als die der Transzendentalisten, die auf dem Land Wohngemeinschaften | |
gründeten und damit scheiterten, ist Antonys kosmische Frömmigkeit | |
eingebunden in eine spezifisch urbane New Yorker Musikszene mit Wurzeln im | |
Freakfolk und im Deephouse. Dem Erfolg im Mainstream stand das bisher nicht | |
im Wege. Vielleicht weil Antony den Kitsch nicht scheut. Er handhabt | |
Kitsch, wie er in Schauerromantik oder als Inszenierungselement in Romanen | |
auftauchte, die vom Transzendentalismus beeinflusst waren. Dem Sänger | |
Antony Hegarty ist der Kitsch eine Art Biotop, in das er sich, wie seine | |
Helden Elizabeth Frazer (Cocteau Twins), Brian Ferry oder Boy George, | |
schützend begeben kann. | |
17 Jan 2009 | |
## AUTOREN | |
Julian Weber | |
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