# taz.de -- Altägypten: Das Leben auf dem Todesstern | |
> Das Hildesheimer Roemer- und Pelizaeus-Museum ordnet seine Antiquitäten | |
> neu: Es konfrontiert den Betrachter dadurch wohltuend ausgewogen mit | |
> didaktischer Führung und überfordernder Fülle - und schert sich nicht | |
> immer um die Chronologie. | |
Bild: Ohne ihr Modell eines Kornspeichers, das einen Eindruck von bäuerlicher … | |
Gigantische Grabmale, natürlich, Pyramiden und Mumien, das ist das alte | |
Ägypten im Kopf - ein so vager wie bombastischer Todesstern der grauen | |
Vorzeit. Aber auch wer sterben will, muss schließlich leben. Und es könnte | |
ja sein, dass gerade eine Kultur, die vor allem bemüht ist, die Vorstellung | |
vom Jenseits mit aller diesseitiger Opulenz auszumalen, für den Tod selbst | |
kaum Interesse gehegt hat. Sondern im Gegenteil eben darin ihr Ziel sah, | |
die fünf Sachen des Lebens - den Körper, das rätselhafte Ba, den flüchtigen | |
Schatten, den individuellen Namen und das überpersönliche Ka - über das | |
Enden der Vitalfunktionen hinaus zusammenzuhalten. | |
Es wäre also möglich, sich das Pharaonenreich als eine Kultur vorzustellen, | |
die sich selbst für reich und mächtig genug hielt, auch diesen finalen, | |
unvermeidlichen Aussetzer wie alle anderen äußeren Widerstände zu | |
überwinden: "Das Leben am Nil" heißt, programmatisch, der zweite Teil der | |
neuen Altägypten-Dauerausstellung des Roemer- und Pelizaeus-Museums (RPM) | |
Hildesheim. Seit dem ersten Advent ist er geöffnet, zu sehen sind 636 | |
Exponate - zum Großteil, natürlich, Grabbeigaben. Und er bildet das Zentrum | |
der neuen Ordnung, die das Museum mit großem Aufwand inklusive baulichen | |
Eingriffen seinem Herzstück verleiht: Die Hildesheimer Ägypten-Sammlung ist | |
weltberühmt und das Museum der ganze Stolz der Stadt und ihrer Bürger. | |
Was den Eingriff bemerkenswert macht. Denn: Herzstück, da fummelt man nicht | |
alle paar Jahre dran rum und gerade archäologische Abteilungen gelten | |
diesbezüglich oft als konservativ. Als Grund für die neue Ordnung wird zwar | |
angegeben: man will die Besucherzahlen steigern, das Übliche also, | |
plausibel auch, 70.000 kamen im vergangenen Jahr - das ist eindeutig zu | |
wenig für den Rang der Sammlung. Aber trotzdem: Der Museumsneubau wurde | |
erst im Jahr 2000 eröffnet - und nun schon ein Relaunch? | |
Im alten Ägypten hat man mitunter den Namen von Pharaoninnen von ihren | |
Denkmalen getilgt, ein symbolischer Akt, dessen genaue Bedeutung bis heute | |
nicht entschlüsselt ist. Gerade einmal fünf Jahre lang hatte Eleni | |
Vassilika das RPM regiert. Zeit, die man in Hildesheim als eine | |
Schreckensherrschaft empfand und von der eine spektakulär-gefloppte | |
Napoleon-Schau mit Stargast Nadja Abd el-Farrag, genannt Naddel, sich tief | |
ins örtliche Kollektivgedächtnis eingebrannt hat. | |
Mit dieser Vergangenheit, so hatte Vassilikas Nachfolgerin Katja Lembke der | |
taz beim Amtsantritt gesagt, sei sie "zum Glück" weder unmittelbar | |
vertraut, noch geneigt, sich damit zu belasten. "Man sollte einen Schnitt | |
machen." Dessen letzte Etappe wird Anfang 2011 abgeschlossen sein und den | |
Titel "Tod in der Wüste" tragen, die erste war im Sommer 2008 erreicht - | |
und war, das ist jetzt gut zu erkennen, klug gesetzt und sauber ausgeführt. | |
Das liegt an einem wohltuenden Gleichgewicht von didaktischer Führung und | |
Überforderung. Erstere ist eine Folge der klugen Raumregie, deren Design | |
das örtliche Atelier für Kommunikationsgestaltung besorgt hat: Unterstützt | |
durch antikisierend unaufdringliche Farbgebung gliedern ein angedeuteter | |
Tempelvorhof, eine abstrakte Basarstraße und ein reduziertes, begehbares | |
Modell eines Wohnhauses die Leben-Räume in die drei Themenbereiche | |
Religion, Handel und Haushalt. | |
Die Überforderung ist dagegen Sache des Kurators. Wie gesagt: Zum | |
Alltagsleben hat Martin von Falck 636 Objekte ausgesucht - also, wer 53 | |
Stunden nonstop guckt, schafft sie bei einer Einzelstück-Verweildauer von | |
maximal fünf Minuten alle. Und so manche Vitrine überbrückt kühnen Schwungs | |
deutlich über zwei Jahrtausende. | |
Unübersichtlich? Chaotisch? Ach was. Endlich mal ein Antiken-Museum, das | |
seine Besucher nicht für verblödet hält, sondern ihnen zutraut, selber | |
Unterschieden und Ähnlichkeiten nachzugehen, sie zum selbsttätigen | |
Nach-Forschen einlädt. | |
Das liegt am Thema: Alltag ist zweifellos das Komplexeste und Dunkelste, | |
was Kultur schafft. Seine Rekonstruktion bleibt immer Fragment - was die | |
spekulative Fantasie anregt. Zum Beispiel lassen sich Unterschiede | |
nachvollziehen: Irgendwann muss damit aufgehört worden sein, die | |
Familiengötter morgens zu salben und anzukleiden. Und nach Jahrtausenden | |
einer stabilen, formelhaften Bildsprache verändert sich sogar die Art, sie | |
darzustellen. Sie nimmt hellenische Elemente auf und gleicht sich in der | |
römischen Kaiserzeit vollends der herrschenden Ästhetik an - um trotzdem | |
selbst dann noch Motive zu tradieren, als das Christentum längst | |
Staatsreligion geworden ist: Im koptischen Kreuz überwintert das Anch den | |
Tod des ägyptischen Pantheons. | |
Oder anderes Beispiel: Dass sich hohe Beamte Stuck-Modelle | |
landwirtschaftlicher Tätigkeiten ins Grab haben legen lassen, die Arbeit in | |
einem Kornspeicher oder, besonders schön, eine Viehhirten-Szene, bedeutet | |
sicher: Das bäuerliche Leben war wichtig. Aber was noch? Und inwiefern war | |
das so üblich? "Dass hier eine Frau melkt", erläutert von Falck, "ist eine | |
absolute Ausnahme". Deren Rolle sei meist an den häuslichen Bereich | |
gebunden geblieben, repräsentiert dort vor allem durch Schmuck, Spiegel, | |
Koch- und Essgeschirr. Vor allem an dem wiederum lassen sich Kontinuitäten | |
beobachten: Ungezwungen prangen Amphoren aus byzantinischer Zeit - also dem | |
sechsten nachchristlichen Jahrhundert - neben Gefäßen aus dem Alten Reich. | |
Drumherum hat sich alles zigmal geändert, aber hier: nichts, wenigstens auf | |
den ersten Blick. Aber muss doch! Also schaut man noch einmal hin, und | |
wieder und genauer - um schließlich zu meinen, etwas erkannt zu haben. | |
Man kann mit der Ungewissheit leben, obs stimmt - muss man aber nicht: | |
Schließlich ist die erste Abteilung der Altägypten-Schau auch schon neu | |
sortiert. Sie folgt, ganz bieder und solid, dem Epochen-Prinzip und ist dem | |
Alten Reich gewidmet. In dem Moment aber, in dem ein antikes Stück die Lust | |
weckt, seine Herkunft zu überprüfen und seinen Kontext zu befragen, hat es, | |
ein bisschen, wieder zu leben begonnen. Das ist ein kuratorisches | |
Kunststück - und in Hildesheim hervorragend gelungen. | |
2 Dec 2009 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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