# taz.de -- AFGHNISTAN: Nur schleppende Entschädigung | |
> Vertreter der Ethnie der Paschtunen diskutierten im Übersee-Museum. Dabei | |
> war auch Karim Popal, der Anwalt der Bundeswehr-Opfer aus Kunduz. | |
Bild: Im März 2010 beschenken Bundeswehr-Soldaten Kinder im afghanischen Kundu… | |
Die Ärzte gegen den Atomkrieg (IPPNW) und das Bremer Informationszentrum | |
für Menschenrechte (biz) haben am Freitag Vertreter der paschtunischen | |
Volksgruppe Afghanistans zu einer Diskussion ins Überseemuseum eingeladen. | |
Unter ihnen war der Bremer Anwalt Karim Popal, der die Familien der Opfer | |
des Tankwagen-Bombardements von Kunduz vertritt. Popal war früher Anhänger | |
der antirussischen Mudjaheddin. Den Warlord Heckmatyar, der für die | |
grausame Zerstörung von Kabul nach dem Abzug der Sowjets verantwortlich | |
gemacht wird, hat er einen "sozialdemokratischen Reformer" genannt, der | |
noch heute Anhänger im Kabinett von Präsident Hamid Karsai habe. | |
Für die Taliban, die mit Heckmatyar in scharfer machtpolitischer Konkurrenz | |
stehen, hatte Popal jedoch keine versöhnlichen Worte übrig. Er reihte sie | |
ein in die "Marionetten" der USA. Überhaupt, so Popal, hätten die | |
Alliierten kein Interesse an einem Sieg über die Taliban, weil das ihre | |
Anwesenheit am Hindukusch überflüssig machen könnte. Die USA wollten jedoch | |
auf Jahrzehnte diese strategisch wichtige Region kontrollieren und würden | |
nur abziehen, wenn sie "Marionetten" installieren könnten, sagte der | |
Anwalt. | |
Über den Stand seiner Vermittlungsbemühungen mit dem | |
Bundesverteidigungsministerium wegen der Entschädigung für das | |
Kunduz-Bombardement schwieg Popal jedoch. | |
Nach Angaben des Ministeriums wurden 1.500 Pakete und 5.500 Decken als | |
Winterhilfe an betroffene Familien verteilt. "Das bedeutet, dass nichts | |
passiert ist", sagt dazu die Bremer Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck. | |
Die soll demnächst für das Außenministerium nach Kunduz reisen, um sich vor | |
Ort über den Stand der Entschädigung zu informieren. Die Grünen-Politikerin | |
war zu dem Diskussionsabend eingeladen, hatte aber aus Termingründen | |
abgesagt. | |
Das Verteidigungsministerium verhandelt derzeit auch direkt mit | |
afghanischen Autoritäten über Entwicklungsprojekte für die Region Kundus. | |
Das Deutschlandradio berichtete, Popal werde in Berlin als "nicht | |
vertrauenswürdig" eingestuft. Das Verteidigungsministerium wollte dies | |
nicht kommentieren und verwies darauf, dass der Anwalt eine größere Zahl | |
von Opfern vertrete. | |
Neben Popal sprach im Überseemuseum auch der Bonner Handchirurg Amail Safi, | |
ein "bekennender Paschtune". Die Ethnie macht rund 40 Prozent der | |
überwiegend ländlichen afghanischen Bevölkerung aus. Als 1989 die Russen | |
abzogen, waren sie durch keinen der "Warlords" im Bürgerkrieg vertreten. | |
Erst später bekamen sie mit den Taliban eine politische und militärische | |
Repräsentanz. | |
Safi sagte ganz unumwunden: "Die Taliban, das ist die Bevölkerung." Er | |
verglich die fanatische islamische Bewegung mit den Jesuiten. Die Taliban | |
hatten in 90er Jahren auch deswegen Erfolg, weil sie mit den konservativen | |
Werten der afghanischen Landbevölkerung in einer religiös begründeten | |
Erneuerungsbewegung gegen die korrupten und in den Drogenhandel | |
verstrickten Warlords kämpften. | |
Auf dem Podium saß auch der afghanische Journalist Sher Baz Khan, der | |
derzeit an der Jacobs University über Afghanistan promoviert. Er kommt aus | |
der paschtunischen Gegend, die nach der Grenzziehung der englischen | |
Kolonialherren heute zu Pakistan zählt. Für Khan ist eine friedliche | |
Entwicklung der Region nur unter dem starken Einfluss Pakistans denkbar. | |
Dass das Stammesgebiet der Paschtunen überhaupt durchtrennt wurden, ist für | |
den Chirurg Safi nur einer von vielen vergeblichen Versuchen, einem Volk | |
mit einer 2.500-jährigen Geschichte eine fremde Kultur aufzuzwingen. | |
Khan und Safi waren sich einig, dass die Truppen der USA und der | |
europäischen Alliierten besser heute als morgen abziehen sollten. Safi | |
zeigte Fotos verstümmelter Kinder, die er operiert hatte, und fragte, was | |
das mit einem angeblichen Kampf gegen Terroristen zu tun haben könne. Wie | |
die Russen würden die Amerikaner aus dem Land getrieben, so Safi. | |
Wenn die "Ausländer" abziehen würden oder vertrieben seien, dann würde es | |
eine Zeit des lokalen Kräftemessens geben. Dessen Ausgang hänge vor allem | |
davon ab, wie viele moderne Waffen die ausländischen Mächte noch lieferten. | |
Nur wenn die Afghanen unter sich seien, würden sie bald einen Weg zu einem | |
Frieden finden, wie es ihnen vor dem Einmarsch der Russen ja auch immer | |
wieder gelungen sei. Die "Ausländer" hätten das Kräftegleichgewicht der | |
Stämme in der Region zerstört. | |
14 Mar 2010 | |
## AUTOREN | |
Klaus Wolschner | |
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