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# taz.de -- Skispringen: Da fliegt das Moppel-Ich
> Die Weitenjäger bewegen sich nicht mehr wie früher im Grenzbereich zur
> Magersucht. Nichtsdestotrotz wird auch heute um jedes Gramm gekämpft.
Bild: Jedes Gramm zählt: Anders Bardal vor dem Absprung.
Wir kennen dieses Bild, das Bild von sehr dünnen jungen Männern, die auf
V-förmig ausgestellten Skiern ins Tal hinuntergetragen werden. Leicht
müssen sie sein, so leicht wie möglich. Das dachten wir früher einmal. Doch
mittlerweile hat sich ihr Gewicht im Durchschnitt erheblich erhöht. Die
Formel "Je leichter, desto weiter" gilt nicht mehr.
Der Schweizer Weltklasse-Springer Simon Ammann nahm in den letzten Jahren
3,5 Kilogramm zu: "Also, für einen Skispringer ist das extrem viel. Die 3,5
Kilo zu kompensieren über Absprungkraft und verbesserte Technik ist auch
für einen Simon Amann wirklich schwer", sagt Jens Weißflog, Olympiasieger
für die DDR und die Bundesrepublik im Skispringen. Er ist einer der
profiliertesten Experten, wenn es um die Entwicklung des Sports geht.
"Adler sind keine Fliegengewichte mehr", so betitelte die private
Wirtschaftsuni EBS in Wiesbaden eine Studie - und bezieht sich auf eine vom
Weltskiverband Fis angestoßene Entwicklung der letzten Jahre, die darauf
abzielte, Springer vor der Magersucht zu bewahren. Denn damals, in den
frühen 2000er Jahren, gaben manche Springer ein mitunter bedenkliches Bild
ab, wie Verena Jung von der EBS erklärt: "Damals wurde festgestellt, dass
ein Teil der Springer an der Grenze zur Magersucht war. Und da gab es immer
wieder Diskussionen, dass man dem entgegenwirkt."
Man nahm dann den sogenannten Body-Mass-Index, kurz BMI genannt, als
Referenzgröße. Der BMI wird errechnet über das Verhältnis von Körpergröße
und Gewicht. Ab einem BMI-Wert von 18,5 spricht die
Weltgesundheitsorganisation von Magersucht.
Rund ein Fünftel der Springer waren vor einigen Jahren im kritischen
Bereich. Sven Hannawald, der vor zehn Jahren alle vier Wettbewerbe der
Vierschanzentournee gewann, wog bei 1,84 Länge federleichte 64 Kilo. Sein
BMI betrug 19. Wie das blühende Leben sah er dabei nicht aus. Ein BMI von
20 ist nun der Grenzwert, mit dem die Springer antreten dürfen. Wer den
Wert unterbietet, wird aber nicht ausgeschlossen. Er muss mit kürzeren
Skiern antreten.
## Athleten statt Hungerhaken?
"Grundsätzlich führt ein längerer Ski zu einem größeren Auftrieb, was die
Weite des Springers positiv beeinflusst. Dies war zumindest innerhalb der
letzten zehn Jahre so", sagt Sascha Schmidt, der Studienleiter. 145 Prozent
der Körperlänge darf der Ski im äußersten Fall lang sein, wenn die
Voraussetzungen in Sachen BMI erfüllt sind. Auf den ersten Blick ergibt
diese Regelung Sinn. Doch es gibt auch Kritiker.
Und zu denen zählt Jens Weißflog, die Skisprunglegende. "Es ging mit der
Heraufsetzung des BMI einmal um den medialen Aspekt. Der Fokus der Medien
war ja auf Fotos gerichtet, die einen Sven Hannawald in einer Position
zeigten, wo er unvorteilhaft aussah, aber wenn man die Skispringer heute
ansieht, dann hat sich ein bisserl was daran geändert."
Athleten statt Hungerhaken? Eines ist gewiss: Der Weltverband nahm seine
Fürsorgepflicht gegenüber den Sportlern ernst. Doch es gibt noch einen
anderen Aspekt: die Sicherheit an der Schanze. Mancher glaubt, dass ein
athletischer Springer sicherer unterwegs sei, weil er die Kräfte, die auf
ihn wirken, besser verarbeiten könne. Weißflog hält dies für
unwahrscheinlich: Unsicherheit im Skispringen entsteht hauptsächlich durch
äußere Bedingungen.
Die Springer haben sich zudem in Windeseile auf den kürzeren Ski
eingestellt. Und sie tun unverändert große Sprünge. Denn es ist eben nicht
alles eine Sache des Gewichts, sondern auch der Technik. Ein neuer Typ von
Bindung, die es den Athleten erlaubt, den Oberkörper näher an den Ski
heranzubringen, kompensiert den Nachteil des Gewichts. Da wird das Spiel
von Neuem eröffnet, wie Schmidt erläutert. "Mit dieser neuen Bindung
braucht man nicht unbedingt längere Ski, um höheren Auftrieb zu bekommen,
und deshalb ist die Sanktion dadurch wesentlich eingeschränkter."
## Den letzten Zentimeter Ski herausholen
Auch Weißflog bestätigt den Effekt der Bindung auf die Weite: "Durch eine
Materialweiterentwicklung der Bindung und damit der effektiveren
Auflagefläche der Ski in der Luft hat man die Sanktion der Skiverkürzung ad
absurdum geführt hat." Sascha Schmidt spricht von einem dynamischen
Prozess: Die Suche nach dem Fortschritt, nach dem perfekten Sprung, halte
unvermindert an.
Das weckt Erinnerungen. An einen anderen Technikzirkus: an die Formel 1.
Auch dort geht es um Kraft, um Leistung und um den Einfluss des Gewichts:
Was das Technische betrifft, so versucht natürlich jeder, genau wie bei der
Formel 1, alles genau auszuloten. Man will auch den letzten Zentimeter Ski,
das letzte Gramm herausholen, um einen Leistungsgewinn zu erreichen.
Weißflog macht sich überhaupt keine Illusionen: BMI hin, Bindung her:
Eines, sagt der Sachse, sei sicher: "Skispringer werden auch zukünftig so
leicht wie möglich sein."
1 Jan 2012
## AUTOREN
Stefan Osterhaus
## TAGS
Skispringen
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