| # taz.de -- 404: Keine Verbindung hinter Gittern | |
| > In Deutschlands Gefängnissen geht die Digitalisierung schleppend voran. | |
| > Warum gedruckte Zeitungen hier noch immer unverzichtbar sind – und welche | |
| > Ideen der Justizvollzug hat, um digital nachzubessern | |
| Von Johanna Treblin | |
| Nachrichten sind heute nur ein Wisch entfernt. Zeitungen gibt es als App, | |
| als E-Paper, online oft sogar kostenlos. Für Verlage ist das billiger, für | |
| Abonnent:innen bequemer: kein Drucken, kein Austragen, die News kommen | |
| früher aufs Display als auf den Frühstückstisch. | |
| So weit, so einfach. Wenn man nicht im Gefängnis sitzt. Von der | |
| Digitalisierung, die außerhalb der Mauern – mal mehr, mal weniger gut – | |
| voranschreitet, kommt im Knast wenig an. Gefangene, die wissen wollen, was | |
| in der Welt draußen passiert, können sich also nicht aufs Internet | |
| verlassen, sondern sind auf TV und gedruckte Tageszeitungen angewiesen. | |
| Selbst in den wenigen Gefängnissen, in denen es Internet für Insassen gibt, | |
| sind darüber E-Paper kaum abgedeckt. | |
| „Die Welt in der Haft ist eine andere. Da spielen Zeitungen noch eine | |
| wichtige Rolle“, sagt Sybill Knobloch. Sie arbeitet seit 35 Jahren beim | |
| Verein Freiabonnements für Gefangene und ist seit etlichen Jahren dessen | |
| Geschäftsführerin. Gegründet wurde der Verein vor 40 Jahren in Berlin – | |
| übrigens aus dem taz-Umfeld. Prominentes Gründungsmitglied ist der | |
| langjährige taz-Anwalt Johannes Eisenberg. „Am Anfang hätte niemand | |
| gedacht, dass der Verein in 40 Jahren noch immer existiert“, sagt Knobloch | |
| der taz. Printzeitungen sind im Gefängnis eben noch kein Auslaufmodell. | |
| Aktuell ermöglicht der Verein 2.198 Knastabos in ganz Deutschland, erreicht | |
| nach Knoblochs Einschätzungen aber fünf- bis zehnmal so viele Gefangene, da | |
| die Abonnent*innen ihre Ausgaben oft mit anderen teilen. Die taz ist mit | |
| 350 Abonnent*innen vertreten, am häufigsten wird die Süddeutsche Zeitung | |
| abonniert: 607-mal. Auch ein paar Wochenzeitungen und Magazine werden | |
| direkt an die Gefangenen ausgeliefert, darunter der Spiegel, das | |
| Satiremagazin Titanic, kicker und die Siegessäule. Und ein paar | |
| fremdsprachige Zeitungen sind auch dabei. Die Gefangenen erhalten die | |
| Zeitungen mit der persönlichen Post. Gelesen wird wie außerhalb der Mauern | |
| auch: morgens vor der Arbeit oder abends zum Feierabend. Die Freiabos | |
| werden durch Spenden an den Verein finanziert. Viele Zeitungen bieten die | |
| Gefangenen-Abos außerdem günstiger an. | |
| Das ist auch notwendig, weil die etwa 40.000 Menschen, die in Gefängnissen | |
| sitzen, sich die Abos in der Regel nicht leisten können, zumal die Preise | |
| stetig steigen. Eine taz kostete zuletzt regulär 3 Euro, die SZ ist am | |
| Kiosk für 4,20 Euro pro Ausgabe zu haben. Gefangene haben vor allem das | |
| Geld zur Verfügung, das sie bei den Pflichtjobs in Haft erarbeiten – und | |
| dafür erhalten sie gerade einmal [1][durchschnittlich 3 Euro pro Stunde]. | |
| Warum spenden Menschen für Knastabos? „Das sind Leute, die selbst Zeitung | |
| lesen und den Wunsch nachvollziehen können, sich informieren zu wollen“, | |
| sagt Knobloch. Gleichzeitig machten sie es „aus Empathie mit Gefangenen | |
| heraus, mit Menschen, die es schwer haben“. | |
| Der Verein kümmert sich nicht ausschließlich um die Vermittlung von | |
| Zeitungen. Mittlerweile vermittelt er auch Bücher, organisiert den Runden | |
| Tisch für ausländische Gefangene, koordiniert ein Kochprojekt mit | |
| Ehrenamtlichen in der JVA für Frauen in Berlin-Lichtenberg und ruft | |
| alljährlich zu Weihnachten dazu auf, Bücher, Telefongeld oder andere | |
| Weihnachtsgeschenke an Gefangene zu spenden. Hauptfokus liegt aber weiter | |
| auf dem Zugang zu Informationen für Gefangene. Der Verein führt daher immer | |
| wieder Umfragen in Gefängnissen durch, unter anderem zum Stand der | |
| Digitalisierung in den Haftanstalten. Eine Umfrage von 2019 ergab, dass | |
| immerhin in fünf von sieben Bundesländern, in denen die Umfrage | |
| durchgeführt wurde, ein eingeschränkter Internetzugang für Gefangene | |
| verfügbar war. Allerdings nicht über alle Haftanstalten hinweg, weil die | |
| Gefängnisleitungen die Internetzugänge individuell regeln. Freigeschaltet | |
| waren vor allem die Seiten der Agentur für Arbeit sowie von Anbietern von | |
| Schul- oder Ausbildungsmaßnahmen zur Entlassungsvorbereitung. In mehreren | |
| Bundesländern gab es Videotelefonie. | |
| Von Oktober 2024 bis Januar 2025 rief der Verein Abonnent*innen in | |
| Gefängnissen aus allen Bundesländern zu einer Umfrage über | |
| Nachrichteninteresse und Medienkonsum auf. 150 meldeten sich zurück. Die | |
| gaben das Fernsehen mit knapp 90 Prozent als meistgenutzte | |
| Informationsquelle an, gefolgt von Printmedien mit 70 Prozent. Etwa jede | |
| zehnte Person gab an, Videotext zu verwenden. Das Internet lag bei | |
| lediglich 2,7 Prozent. | |
| In Berlin sollen Gefangene bald Internetzugang bekommen und E-Paper lesen | |
| können. Dort gibt es in vielen Justizvollzugsanstalten bereits das | |
| sogenannte Haftraummediensystem (HMS). Die Senatsverwaltung für Justiz | |
| beschreibt es so: „Das HMS ist ein stationäres All-in-one-System und | |
| besteht aus einem in der Regel mittels Schwenkarm im Haftraum befestigten | |
| Touchbildschirm und optionalem Zubehör wie einer Tastatur, Kopfhörern oder | |
| einem Blu-ray-Player.“ Das HMS dient als Computer mit Schreibprogramm. Auch | |
| E-Books können darüber gelesen werden. | |
| Weitere Dienste wie Telefonie und Videotelefonie können kostenpflichtig | |
| zugebucht werden. Internet gibt es bisher nicht. Das soll sich 2026 aber | |
| ändern, wie die Senatsverwaltung auf taz-Anfrage mitteilt. Dann soll auch | |
| die Internetseite des Verbundes der öffentlichen Bibliotheken Berlins | |
| erreichbar sein, über die viele nicht nur deutschsprachige Zeitungen | |
| gelesen werden können. | |
| Tatsächlich kommt das alles reichlich spät, ist unzureichend ausgebaut und | |
| zudem noch teuer. Fernsehen und Radio kosten pro Monat 13,95 Euro. Wer | |
| E-Mails schreiben möchte, muss pro Monat 1,95 Euro zahlen, während das | |
| außerhalb der Mauern meist kostenlos ist. D[2][er Dienst wird von Telio zur | |
| Verfügung gestellt], ein privates Unternehmen, das in fast ganz Deutschland | |
| die Telefonie in Gefängnissen bereitstellt. | |
| [3][Ein Pilotprojekt hatte bereits 2018 Tablets in die JVA Heidering | |
| gebracht]. Das lief 2019 aus. [4][Zwei Jahre später verkündete der damalige | |
| Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne)] Internet für alle Gefangenen. Ende | |
| 2022 bekam dann die Frauen-JVA in Lichtenberg als Erste das HMS. Allerdings | |
| ohne E-Mail-Funktion und anders als geplant ohne Internet, [5][wie 2023 | |
| netzpolitik.org aufdeckte]. Und in den beiden großen Berliner Gefängnissen, | |
| Tegel und Plötzensee, fehlt das HMS bis heute komplett. Laut | |
| Senatsverwaltung liegt das an fehlender Netzwerkinfrastruktur. Diese werde | |
| aber an den beiden Standorten nachgerüstet und das Problem im kommenden | |
| Jahr behoben, so die Senatsverwaltung. | |
| Damit ist Berlin immerhin weiter als alle anderen Bundesländer, wie | |
| taz-Recherchen ergeben haben. In Bayern konnten Gefangene bis vor Kurzem | |
| teils nur zweimal im Monat für je 20 Minuten telefonieren. Jetzt ist es | |
| einfacher geworden, kostet nichts, und bald soll es sogar Haftraumtelefonie | |
| geben. Auch die meisten anderen Bundesländer führen langsam | |
| Haftraumtelefonie ein. Noch muss aber meist auf dem Gang telefoniert | |
| werden. In gesonderten Räumen bieten viele Haftanstalten spätestens seit | |
| der Coronapandemie zudem Videotelefonie an sowie den Zugang zur digitalen | |
| Lernplattform Elis. Aber regelmäßig E-Mail-Schreiben – was günstiger und | |
| schneller wäre als Briefkorrespondenz oder Online-Nachrichtenseiten lesen | |
| oder im Internet Wohnungen und Jobs suchen zur Vorbereitung auf die | |
| Haftentlassung – das ist nur vereinzelt möglich. | |
| Baden-Württemberg will nun ein eigenes Pilotprojekt testen. 50 Insassen in | |
| Ulm und Schwäbisch Gmünd sollen [6][Mini-PCs auf die Zellen bekommen], | |
| womit ein gesicherter Zugang zum Internet möglich ist, gesichertes | |
| E-Mailing, Videotelefonie, E-Learning, Fernsehen, Radio sowie ein | |
| gefängnisinternes Schwarzes Brett. Wann es losgeht, ist noch nicht bekannt. | |
| Hessen habe „eine fachliche Digitalstrategie entworfen“, sagt ein Sprecher | |
| des dortigen Justizministeriums der taz und plane – wie auch | |
| Mecklenburg-Vorpommern – die Einführung eines HMS. In den meisten | |
| Bundesländern gibt es keine Gesamtstrategie, aber individuelle Lösungen. So | |
| können Gefangene in Untersuchungshaft im Saarland „bei umfangreichen | |
| Ermittlungsakten diese auf einem Tablet mit reiner Lesefunktion einsehen“. | |
| In Schleswig-Holstein können „geeignete Gefangene“ Mails senden und | |
| empfangen. Rheinland-Pfalz will ein Pilotprojekt zum „zukunftsträchtigen | |
| Thema Telemedizin“ starten – also die Möglichkeit, online eine Sprechstunde | |
| bei Ärzt:innen wahrzunehmen. Aus Bremen heißt es: „In Einzelfällen wird | |
| ein kontrollierter Zugang zum Internet auf Antrag eines Gefangenen im | |
| Beisein eines Fachdienstes gewährt.“ | |
| Doch bei Einzellösungen solle es nicht bleiben. Die Länder haben die | |
| Justizministerkonferenz aufgefordert, bis zum Frühjahr eine | |
| Digitalstrategie für den Justizvollzug vorzulegen. Eine Sprecherin der | |
| Bremer Senatsverwaltung für Justiz weist außerdem auf die Relevanz | |
| digitaler Kompetenzen für die Resozialisierung hin. „Eine ‚digitale | |
| Resozialisierung‘ ist nicht nur mit den Grundprinzipien des modernen | |
| Strafvollzugs vereinbar; sie ist sogar geboten, damit die Strafgefangenen | |
| den digitalen Anschluss an die Gesellschaft nicht verlieren.“ | |
| 20 Dec 2025 | |
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| [4] https://www.berlin.de/sen/justv/presse/pressemitteilungen/2021/pressemittei… | |
| [5] https://netzpolitik.org/2023/internet-in-berliner-haftanstalten-testperson-… | |
| [6] https://www.staatsanzeiger.de/nachrichten/politik-und-verwaltung/so-viele-p… | |
| ## AUTOREN | |
| Johanna Treblin | |
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