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# taz.de -- Sophie Jung Die Kunst der Woche: Sich einfach mal dem Camp hingeben
Der New Yorker Künstler Matthew Lutz-Kinoy übergibt einfach dem Raum die
Performance. Seine Ausstellung „Bolero Bordello“ ist Kulisse, Bühne und
Zuschauerraum. Transparente Stoffbahnen hängen von den meterhohen Decken
des ostmodernen Pavillonbaus der Galerie Capitain Petzel an der
Karl-Marx-Allee. Sie sind bemalt mit Schlieren und Rundungen. Die
Silhouetten tanzender Körper tauchen auf dem Musselinstoff auf, ihre sich
krümmenden, zum Sprung ansetzenden Gestalten schimmern von den vielen
Leinwänden durch ihn hindurch, schmiegen sich in den Augenwinkel, stehen
manchmal direkt vor einem.
Lutz-Kinoys Kunst ist eine Art sanfter Eklektizismus: pastellfarbene
Anleihen an den Rokoko, die großgestischen Pinselstriche des Informel –
und die androgynen Tanzenden wirken wie aus einem expressionistischen
Gemälde. Ihre Figuren und Bewegungen hat Lutz-Kinoy dem
Avantgarde-Tanzensemble Ballet Russe nachempfunden. In diese sinnliche
Zusammenkunft setzt er noch riesige Rosen auf Lampions an der Decke:
überzogene, theatrale, rote Rosen. Ganz viel Camp schwingt durch diesen
Raum. Man darf sich ihm hingeben und davon bespielen lassen.
Wie sich der Raum sozial wandelt und sich das in die Architektur
einschreibt, davon handelt die trocken mit „Areal“ betitelte Ausstellung
von Kathrin Wojtowicz und Anna Holtz bei Stations im Neuem Kreuzberger
Zentrum (NKZ). Jenem 1974 fertiggestellten, halbkreisförmigen Gebäuderiegel
am Kottbusser Tor, Produkt des Westberliner Stadtsanierungswahns, für
dessen 367 Wohnungen derart viel Stahlbeton verbaut wurde, dass er
praktisch unsanierbar ist.
Anna Holtz hat eine Akte über das NKZ aus dem Stadtarchiv an die Wände des
Projektraums tapeziert. Vom Unmut der Mieter:innen liest man dort. Eine
Initiative hatte sich 1977 gegründet, war aber in der migrantisch geprägten
Bewohnerschaft an „rein deutsche Mieter“ gerichtet. Als Gegenstück zu solch
xenophober Geschlossenheit ließ Holtz nun einige der charakteristischen
70er-Jahre-Deckenpaneele mit denjenigen aus dem Café Kotti nebenan
austauschen. Zu den hellen White-Cube-Exemplaren gesellen sich nun die
nikotinvergilbten.
Das Gebäude des NKZ wurde in den 1980ern umgewandelt, man öffnete es mit
Passagen zu den umliegenden Straßen. Öffnen, dafür braucht man Türen. Nach
dieser Formel ließ Kathrin Wojtowicz Aufnahmen von Türen und Toren auf
Spiegel drucken. Auf den matt reflektierenden Flächen zeichnet eine körnige
Farbe mal Aufzugtüren, Rollläden oder die Nahaufnahme einer Türklinke des
Borkenhauses auf der Pfaueninsel ab. Skurrile Aneinanderreihungen,
gleichsam clean mit Metallkettchen an die sauberen Wände gehängt. Obwohl:
Sauber, seltsam, anders, dreckig, solche Kategorien gilt es hier einfach
mal zu missachten.
Matthew Lutz-Kinoy: „Bolero Bordello“. Galerie Capitain Petzel, bis 20.12.
Di.–Sa. 11–18Uhr, Karl-Marx-Allee 45
Anna Holtz/Kathrin Wojtowicz: „Areal“, Stations, bis 13. 12., nach
Vereinbarung unter [email protected], Adalbertstr. 96
12 Nov 2025
## AUTOREN
Sophie Jung
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