| # taz.de -- großraumdisco: Ein Kick gegen die Vorurteile | |
| > Vor Jahren krachte es in Berlin noch zwischen Jugendlichen und Feuerwehr. | |
| > Nun trifft man sich auf dem Platz und macht mit dem Ball Beziehungsarbeit | |
| Die Pfiffe des Schiedsrichters hallen durch die Siedlung: graue Blöcke mit | |
| blauen Fensterläden, auf den Balkonen Sonnenschirme und | |
| Satellitenschüsseln. Dahinter reihen sich dutzendfach gleichförmige | |
| Gebäude, die durch Überführungen verbunden sind. Rund 8.000 Menschen wohnen | |
| in der Neuköllner High-Deck-Siedlung und dem benachbarten Wohnkomplex. Etwa | |
| die Hälfte von ihnen lebt von Transferleistungen. | |
| „Wallah, schieß!“, ruft einer der Jugendlichen, die hier an dem | |
| Samstagnachmittag Fußball spielen. Am Spielfeldrand steht Hicham | |
| Abou-Hassan. „Die brauchen eine Perspektive“, sagt der 23-Jährige. Er ist | |
| selbst Neuköllner und Straßensozialarbeiter in der High-Deck-Siedlung. „Für | |
| Leute wie uns von der Straße müssen Orte geschaffen werden, an denen | |
| Perspektiven geschaffen werden“, sagt Abou-Hassan. | |
| Organisiert wird das Fußballturnier von Outreach, einem Träger für mobile | |
| Jugendsozialarbeit, zusammen mit dem Jugendclub „The Corner“ in der | |
| High-Deck. Es ist Teil des Projekts „Kiezgespräche“, das Outreach seit | |
| Mitte 2023 gemeinsam mit der Berliner Feuerwehr betreibt. | |
| Entstanden ist das Projekt als Reaktion auf die [1][Krawalle in der | |
| Silvesternacht] 2022/23. Damals hatten Jugendliche einen Bus in Brand | |
| gesetzt. Als die Feuerwehr eintraf, versperrten ihnen brennende Mülltonnen | |
| den Weg. Einsatzkräfte wurden mit Steinen, Flaschen, Feuerwerkskörpern und | |
| Schreckschusspistolen attackiert. Der Einsatz musste abgebrochen werden, | |
| die Flammen griffen auf darüberliegende Wohnungen über. | |
| Der brennende Bus wurde bundesweit zum Symbol „gescheiterter Integration“. | |
| Auf mehreren Gipfeln gegen Jugendgewalt wurden Maßnahmen beschlossen, etwa | |
| mehr Sozialarbeit an Schulen sowie Workshops für Jugendliche mit Feuerwehr | |
| und Rettungsdiensten. | |
| „Es geht nicht darum, eine bestimmte Bevölkerungsgruppe verantwortlich zu | |
| machen“, erklärt Janis Tappe. Der Feuerwehrmann steht in Feuerwehrpulli am | |
| Spielfeldrand. Die Silvesterausschreitungen seien kein Neuköllner Problem | |
| gewesen, sondern ein berlinweites. Daher finden die Turniere neben Neukölln | |
| in fünf weiteren Bezirken statt. | |
| In Neukölln traten die Jugendlichen zunächst gegen die Feuerwehrmänner der | |
| Neuköllner Wache an. Inzwischen spielen sie mal gegeneinander, mal | |
| miteinander. Am Samstag gibt es wegen des hohen Andrangs ausschließlich | |
| Jugendteams. Die Feuerwehrmänner sind trotzdem zur Unterstützung da und | |
| feuern die Kids vom Spielfeldrand an. | |
| Im Laufe des Projekts sind weitere Angebote hinzugekommen: Pyroworkshops, | |
| Besuche auf Wachen, Boxtrainings sowie Kochabende. Seit 2023 fanden rund | |
| 200 Veranstaltungen statt, an denen etwa 1.800 Jugendliche teilnahmen. | |
| Drinnen im „The Corner“ wird parallel zum Fußballturnier auf der | |
| Playstation Fußball gezockt. Sechs Jungs sitzen auf Sofas und gucken | |
| gebannt auf die Leinwand: Paris Saint-Germain zieht Real Madrid gerade | |
| haushoch ab. In den Container zieht eine Rauchwolke von der Grillstation am | |
| Eingang. Dort brutzeln auf einem Grill Würstchen, daneben ist ein | |
| Hotdog-Buffet mit Brötchen, Wurst, Ketchup, Senf. Kids mit Fake-Gucci-Caps | |
| holen sich Hotdogs ab, aus den Boxen dröhnt Eminem, auf der | |
| Tischtennisplatte wird geknutscht. Mittendrin: die Feuerwehrmänner. | |
| Mit dampfendem Hotdog in der Hand erzählt Sascha Müller: „Es gab damals | |
| viel Unverständnis für das Verhalten der Jugendlichen. Einige | |
| Feuerwehrleute haben danach resigniert und sich aus Brennpunktorten | |
| versetzen lassen.“ Müller nicht. Er ist selbst in Neukölln aufgewachsen und | |
| seit 13 Jahren im Ausrückebereich Neukölln tätig. Das Projekt gibt ihm | |
| Hoffnung: „Es ist besser geworden“, meint der Wachabteilungsleiter. | |
| Auch Abou-Hassan von Outreach wertet das Projekt als Erfolg. Doch | |
| Beziehungen aufzubauen, sei ein langer Prozess. „Diese Arbeit braucht Zeit, | |
| Geld und Ressourcen“, sagt er. Daran fehlt es. Sowohl das Feuerwehrprojekt | |
| als auch das Outreach-Team in der High-Deck stehen auf der Kippe. | |
| Abou-Hassan sagt: „Wenn wir keine anständigen Ressourcen bekommen, wird | |
| Neukölln seinen Problemstempel nie loswerden.“ Lilly Schröder | |
| 18 Oct 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Lilly Schröder | |
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