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# taz.de -- Kommentar von Benno Schirrmeister über Schleswig-Holsteins Frömme…
Gott sei Dank hat es früher Gott gegeben. Auch wenn es unangemessen ist,
einen Gottesbezug in eine Landesverfassung zu schreiben, wie
Schleswig-Holstein das jetzt plant: Dass es einst ein evolutionärer Vorteil
für die Menschheit war, sich unsichtbare Strafinstanzen auszudenken, haben
belastbare empirische Studien wie die des Belfaster Psychologen Jerry
Bering plausibel gemacht.
Der von ihm diagnostizierte Glaubensinstinkt hat ermöglicht, Herrschaft zu
stabilisieren. Er hat den armen Opfern erlaubt, sich vom
grämend-unfruchtbaren Nachsinnen zu erlösen, wo denn der Sinn der Untat,
des Kriegs, der Katastrophe oder der Krankheit liege, die sie getroffen
hat. Gott (Pronomen: es/sein) hat es eben gewollt, als Strafe oder als
Prüfung, egal: Seine Wege sind unergründlich, sein Ratschluss geheim.
Fertig. Jetzt weiterleben.
Als Europa sich im 18. Jahrhundert zu demokratisieren begonnen hatte,
fingen auch die Götter an wegzusterben. Sie verkümmerten zu mehr oder
minder billigen Pointen in der Literatur. Vor allem zogen sie sich aus der
Sphäre des Staates zurück. In Ländern, deren Bürger*innen ein System
geschaffen haben, das aus eigener Kraft versucht, Gesundheit, Hygiene,
Bildung und sozialen Ausgleich voranzubringen, spielen sie keine Rolle mehr
in der Gesetzgebung. Wer mag, darf sie trotzdem jederzeit anrufen.
Diese Sphären sauber zu trennen, bedeutet einerseits: Wer ohne
Gottesvorstellungen auskommen will und kann, wird dafür nicht länger
ausgegrenzt. Und es spricht ein gesundes Vertrauen in die
Problemlösungskompetenz des Staates daraus: In Schweden und Dänemark kommt
niemand auf die Idee, ein fiktives höheres Wesen in die Verfassung zu
schreiben.
Ja, der Himmel war leer und es ging uns gut damit: Schleswig-Holstein
erblühte mit seiner gottverlassenen Landessatzung. Auch ihre
Einstiegsformel kam seit 1950 ganz ohne Frömmelei aus, die im Zweifel eben
doch, etwa bei der Wahl agnostischer Verfassungsrichter*innen, als
Waffe im Kulturkampf dienen kann.
Warum das jetzt anders werden soll? Den Sinn der geplanten Formel hat die
kirchenpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion, Anette Röttger
(evangelisch), dem SHZ offenbart. Sie besage: „Es liegt nicht alles allein
in unserer Hand.“ Es geht also darum, sich in eine passend modellierbare –
„nicht alles allein“, hoho! – Nichtverantwortung zu begeben. Man sorgt
dafür, eine schlechte Ausrede fürs angesichts multipler Problemlagen
wahrscheinliche Scheitern zu haben. Der Gottesbezug legt gesetzlich fest:
Egal, was wir nicht schaffen, wir konnten’s nicht packen, weil ach Gott.
Das liegt freilich auch theologisch nahe: Die Wiederkehr der Götter, das
ist in den abrahamitischen Religionen die Apokalypse, der Moment des
Untergangs. Ein Gottesbezug in Schleswig-Holsteins Verfassung wäre ein
Zeichen der Hoffnungslosigkeit.
16 Oct 2025
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
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