| # taz.de -- Die bessere Buchmesse | |
| Das war noch was, als ich wusste, was ich lesen will und wer die Leute | |
| sind, die so schreiben, dass die Bilder, die in meinem Kopf entstehen, mich | |
| überraschen. Ich kannte die Namen von Autor*innen, die mich nicht kalt | |
| ließen, die Worte auf eine Weise setzten, die mein inneres Echo mehrstimmig | |
| machten und nicht dumpf und von denen ich bis heute zehre. Ging ich in | |
| Buchläden, war das, als besuche ich mir liebe Bekannte. Sie sprachen durch | |
| ihre Bücher zu mir. | |
| Es hätte immer so weitergehen können, aber einige starben, die Literatur | |
| veränderte sich und auch ich mich. | |
| Irgendwann fing ich an, mich in Buchläden zu verlieren. Zunehmend traf ich | |
| nur noch auf Fremde dort. Und ohnehin wurden Buchläden zu Supermärkten. | |
| Sobald ich sie betrat, überkam mich Müdigkeit angesichts des Zuviel an | |
| Worten. Manchmal kaufte ich dann doch ein Buch, weil mir der Umschlag | |
| gefiel. Oder weil jemand mit klingendem Namen es in höchstem Ton lobte. Auf | |
| Worte wie „Meisterwerk“, „einzigartig“, auf Sätze wie „eine Stimme, … | |
| kennen muss“ falle ich rein. Schon klar, es sind Gefälligkeitslügen. Hat | |
| die lobende Person Zugang zu Leitmedien, umso schlimmer. | |
| Wie dem auch sei, ich verlor den Kontakt zur Literatur. Zu viel und zu viel | |
| Bullshit. Zeugs, das nicht zur Kopfdroge taugt, kein Echo auslöst; Texte, | |
| die Moden bedienen und langweilig waren. Fortan mied ich Buchläden, las | |
| keine Rezensionen mehr, angesagte Rankings von Neuerscheinungen ließen mich | |
| kalt. | |
| Ein paar Jahre ging das so, dann geschah ein Wunder. In einer Kiste an der | |
| Straße lagen Bücher. Eins nahm ich mit, ein dünnes. Der Name des Autors | |
| sagte mir nichts. Er hatte eine Geschichte geschrieben, die am Rio de la | |
| Plata spielt und von der man lernen kann, wie man schreiben muss, damit | |
| Spannung entsteht. Krimi, Liebesroman, Drama und eine Parodie auf die | |
| testosterongetriebene Idiotie der Männer in einem ist das Buch. Die | |
| Hauptfigur ist Schriftsteller. | |
| Seit dieser Erfahrung komme ich selten an Bücherkisten und | |
| Straßenbibliothen in Telefonzellen vorbei, ohne etwas mitzunehmen. (Und | |
| hineinzustellen.) | |
| Ich bereue meine neue Nähe zur gebrauchten Literatur nicht. Die Geschichte | |
| eines Mädchens im 16. Jahrhundert, das verkleidet als Junge Zugang zu | |
| Bildung in einem Männerkloster erhält, bis ein Mönch den vermeintlichen | |
| Jungen missbrauchen will, war wahnsinnig spannend. Die Biografie eines | |
| französischen Arbeitsmigranten aus der Kabylei wiederum war in Worte | |
| gekleidete Poesie. Das letzte Buch aus einer Bücherkiste, das ich mir in | |
| Windeseile reinzog, hatte den Losertitel „Pi mal Daumen“. Kein Wunder ist | |
| es in der taz nicht besprochen worden. | |
| Ich schreibe jetzt nicht, wer all diese Autor*innen sind. Die Fehler des | |
| Literaturbetriebs sollen hier nicht wiederholt werden. Wer nie mehr achtlos | |
| an Bücherkisten vorbei geht, findet sie oder eben andere. Bücherkisten sind | |
| nachhaltige, niedrigschwellige Wunderkammern der Literatur, in der alle | |
| Bücher gleich wertlos und wertvoll sind. Niemand macht auf Buchmessen einen | |
| Wirbel um sie und ohne aufgeblasenes Besprechungswesen kommt, was drin | |
| liegt, auf jeden Fall aus. Waltraud Schwab | |
| 11 Oct 2025 | |
| ## AUTOREN | |
| Waltraud Schwab | |
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