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# taz.de -- Neue Männlichkeit: „Als Frau hast du es dringender...“
> In der Party-Schlange vor der Toilette trifft unsere Autorin auf einen
> einfühlsam-rücksichtsvollen Mann. Aber dann ist das auch wieder nicht
> recht.
Bild: Er wollte ja nur nett sein...
[1][taz FUTURZWEI |] Ich bin auf einer hippen Wg-Party irgendwo in Berlin.
Das Hippe erkennt man daran, dass jemand vor mir auf dem Boden sitzt und
auf seiner mitgebrachten Handpan spielt, während im Hintergrund ein
entspannter House-Beat läuft.
Gefühlt alle tragen sie Seidenhemden, und die Stimmung lässt sich als
„angenehm“ beschreiben, aber eher so ein langezogenes „angeneeehm“, wie…
Rainald Grebes Song „Wellnesshotel“. Und die Schlange vor der Toilette, wo
ich eigentlich auch hinmöchte, ist wieder mal viel zu lang.
Mein Blick fällt auf ein Poster im Gang: „Was auch alles männlich ist“.
Darauf verschiedene Zeichnungen, von jungen (cis) Männern mit hippen
Frisuren. „Weinen“, „sensibel sein“, „richtig zuhören“, „nachfra…
schminken“, „in Therapie gehen“, „aussprechen lassen“,…
Hat ein bisschen was von Grönemeyer für Kleinkinder. Wen in dieser Runde
vermeintlich aufgeklärter, erwachsener Menschen sprechen denn bitte diese
banalen Poster-Anregungen an?
## Das Ende des Feminismus?
„Voll das gute Poster“, sagt ein Typ, der an mir vorbeischlurft. Doch bevor
ich meine Frage zu Ende formulieren kann, ob er das denn alles ohne das
Poster nicht wüsste, ist er mit einem leeren Lächeln wieder verschwunden.
Endet so also eine feministische Bewegung? Mit einem Poster und klaren
Vorgaben zu Männlichkeit? Ist das die Antwort auf ein jahrtausendelanges
Patriarchat, das – wie wir Feminist:innen ja wissen – den Männer
ausschließlich die Rolle der starken, emotional kalten Ernährern und
Kriegern zugewiesen hatte? Und ist das die Antwort auf die auf Social Media
immer größer werdende Bewegung von Frauenhassern wie Andrew Tate?
Und ist man eigentlich überhaupt plötzlich in der Lage, richtig zu weinen,
nur weil auf einem Poster steht, es sei okay? Und welches Gender hatte wohl
die Person, die das aufgehängt hat? Und sind „zuhören“, „aussprechen
lassen“ und so weiter nicht eigentlich ganz normale Verhaltensweisen von
Menschen, die respektvoll mit anderen umgehen möchten?
Und ist das nicht schon voll chauvimäßig, wenn man überhaupt drüber
nachdenkt, dass das auch was Männliches sein könnte?
## Emotionale Arbeit statt Leidenschaft
Ich schaue mir die Bildchen von den sensiblen, verletzlichen Männern an.
Wie sie beim Therapeuten sitzen und später beim Date, und ihre
frühkindlichen Traumata und Bindungsängste zerreden.
Denn vor der Leidenschaft steht die emotionale Arbeit und die kommt
natürlich immer in Ich-Botschaften, man möchte ja nichts falsch machen. Man
möchte ja Respekt zeigen, als sensibler, moderner Mann. Und Verständnis.
Und Einfühlsamkeit. Und Selbstreflexion.
Manchmal zu viel auf einmal, sodass ich mir bei manchen Männern oft gar
nicht mehr sicher bin, ob sie überhaupt irgendeine Meinung zu irgendetwas
haben. Die so vorsichtig auftreten, um ja nichts Falsches zu sagen, dass
sie mich an die unsicheren Teenies aus meiner Jugend auf dem Land
zurückerinnern, die damals ganz verkrampft den Gentleman gespielt haben.
Aber auch nur, wenn sie bei dir landen wollten. Die kurzum – wie man damals
noch zu Selbstbewusstsein gesagt hat – keine cojones hatten. Ob sie wohl
heute Nagellack tragen? Oder doch lieber sogenannte Alpha-Männer geworden
sind?
## Der wahre Gentleman
„Geh du gerne zuerst“, unterbricht der Typ vor mir meine Gedanken.
„Du stehst doch vor mir in der Schlange“, sage ich.
„Ja, aber ist nicht so schlimm. Als Frau hast du es vielleicht dringender…�…
Aha, ich wüsste nicht, dass ich sowas kommuniziert hätte, aber er scheint
es ja besser zu wissen.
„Meinst du nicht, dass dieses ,Ladies first’ ziemlich altbacken und voll
sexistisch ist?“, sage ich - vielleicht etwas zu hart.
„Entschuldige“, jetzt wirkt er verunsichert, fast schon beleidigt. „Ich
habe mir halt vorgenommen Frauen vorzulassen, weil wir Männer ja sonst
immer und überall im Stehen pinkeln können, und für euch ist es ja
komplizierter.“
## Keine Diskussion
Kurz frage ich mich, wo er in der Wohnung schnell im Stehen pinkeln würde.
Und schaue unwillkürlich zu den Topfpflanzen rüber. Ich lache, aber er
versteht meinen Witz irgendwie nicht, sagt nur verärgert und gar nicht mehr
so sensibel: „Ich wollte ja nur nett sein. Man kann es euch wirklich nicht
recht machen!“
Euch.
Bevor ich mit ihm weiter darüber diskutieren kann, wen er denn genau damit
meint, ist er verschwunden, vielleicht sucht er jetzt wirklich nach einem
Ort, um ganz männlich im Stehen zu pinkeln. Die Toilette ist jedenfalls
frei. Und ich fühle mich, als hätte ich einen kleinen Machtkampf verloren.
Ich hätte mich jetzt gerne mit ihm gestritten, aufrichtig, laut und auf
Augenhöhe. Aber wahrscheinlich ist genau das das Problem. Vor lauter
gutgemeinter Vorsicht, überspielter Unsicherheit und Einfühlsamkeitsgetue
versteigen wir uns noch mehr in diese Geschlechterrollen.
Also, vor allem die Männer natürlich, ist ja klar.
■ „[2][Stimme meiner Generation]“ heißt die gemeinsame Online-Kolumne von
Aron Books und Ruth Lang Fuentes. In loser Folge schreiben sie darin für
unser Magazin taz FUTURZWEI über die Lebensrealität der Gen Z und darüber
hinaus.
■ Lesen Sie weiter: Die aktuelle Ausgabe unseres Magazins taz FUTURZWEI
N°34 mit dem Titelthema „Zahlen des Grauens“ gibt es jetzt [3][im taz
Shop].
4 Sep 2025
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## AUTOREN
Ruth Lang Fuentes
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