| # taz.de -- Ausgehen und rumstehen von Anastasia Zejneli: Die Mutter wird es wo… | |
| Es ist einer der letzten warmen Abende des Jahres. Also rein in die | |
| verrauchte Kneipe. Das Ziel: Das Kumpelnest3000 in Schöneberg. Enrico | |
| Ippolito liest am Abend aus seinem neuen Roman „Modesta“. | |
| Zwischen Blumengestecken und Blumentapeten, Spiegeln und Discokugeln sitzen | |
| zwei Dutzend Gäste, größenteils Freund*innen des Autors. Es wirkt | |
| angenehm familiär. Vielleicht auch, weil ich selbst meine Familie in Form | |
| meiner Mutter dabei habe. | |
| „Wenn es eine Pause gibt und es uns nicht gefällt, können wir dann gehen?�… | |
| fragt sie und nimmt einen skeptischen Schluck aus ihrer mehr weiß als | |
| gelben Apfelschorle. Wir sitzen nebeneinander in der letzten Reihe. | |
| Zuvor hatte sie sich bereits mit dem Verlagsfotografen angefreundet, der | |
| uns, dafür dass wir sonst niemanden kannten, einmal zu oft ablichtete. | |
| „Überall wo du hingehst machst du Freunde“, sagte meine alte Mitbewohnerin | |
| einmal zu meiner Mutter. Als genervte 15-Jähirger fand ich das oft | |
| anstrengend, mittlerweile ist es eines der Dinge, die ich an ihr schätze. | |
| Während der Autor aus seinem zweiten Roman liest, einer 12-Stunden | |
| Abhandlung, in der der schwule Protagonist Blumen kauft und auf eine Party | |
| geht, sich über Verlust Gedanken macht und Gespenster sieht, beobachte ich | |
| meine Mutter und frage mich, ob es ihr hier wohl gefällt. Was macht man mit | |
| den Eltern, wenn sie zu Besuch kommen? Wenn sie das Brandenburger Tor | |
| gesehen, die Currywurst gegessen und über die Spree geschippert sind? | |
| [1][Sinthujan Varatharajah] postet relativ regelmäßig, wenn die eigenen | |
| Eltern zu Besuch sind und beschloss für sich, das eigenen Programm | |
| durchzuziehen. Was einem selbst gefällt, werden die Eltern wohl nicht | |
| hassen? | |
| Meine Mutter muss das Experiment mit mir wagen. Während die beiden | |
| Verleger*innen und ihr Autor abwechselnd rauchen und laut über die | |
| Angst vor Autofiktion nachdenken, blicke ich zu meiner Mutter. Was sie wohl | |
| denkt? Stört sie der ganze Rauch? | |
| Eine Stunde und eine Cola später, will sie nach Hause. Die Lesung ist | |
| vorbei, ich hake mich bei ihr unter, während wir die Straßenseite wechseln. | |
| „Interessant“, fand sie den Abend, doch eine Frage bleibt: Verdienen die | |
| Leute genug Geld, „wenn man so sitzt, raucht, trinkt und schreibt?“, fragt | |
| sie mich. „Das müssen wir wohl noch ausprobieren“, antworte ich und sie | |
| lacht. | |
| Knapp 24 Stunden später stehen wir in dem dunklen Treppenhaus eines | |
| ehemaligen Kaufhauses an der Karl-Marx-Straße in Neukölln. Wir spielten | |
| bereits Karten im Treptower Park, aßen Pizza am Körnerpark und wie immer | |
| Baklava an der Sonnenallee. Nun schleppen wir uns gemeinsam mit mindestens | |
| 100 weiteren Leuten, die Stufen zur Ausstellung des 20. Jahrgangs [2][der | |
| Ostkreuzschule hoch]. | |
| Wir müssen immer wieder warten, meine Mutter reagiert gelassen auf die | |
| Menschenmengen. Auf dem Weg hoch, bot uns eine Mitarbeiterin den Aufzug an, | |
| meine Mutter lachte nur und bog zu den Treppen ab. | |
| In der stickigen und lauten Halle angekommen, drängeln wir uns durch die | |
| Masse an vorwiegend gut angezogenen Gen-Z-lern. Stolze Familien machen | |
| Fotos mit ihren erfolgreichen Kindern. | |
| Es ist ein Sehen und Gesehen-werden, die Ausstellung nur Nebenrolle im | |
| Geschehen. Meine Mutter sammelte Postkarten ihrer Favoriten. Arbeiten über | |
| ein Dorf in Syrien und Schwarzem Leben in der DDR. ‚Als Erinnerung an das | |
| Treppensteigen‘ sagt sie. | |
| Genug Kulturprogramm beschließen wir am Samstag und gehen ein letztes Mal | |
| im Plötzensee baden, lesen unsere Bücher und sonnen uns. [3][Das Wochenende | |
| ein Experiment, es scheint geglückt zu sein?] Am Sonntag sitzt meine Mutter | |
| wieder im Zug und fragt, wie denn der Mann nochmal hieß von der Kneipe. Sie | |
| will zu Hause angeben, mit ihren neuen Kontakten. | |
| 23 Sep 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Anastasia Zejneli | |
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