# taz.de -- das wird: „Eine Gesellschaft ohne Arbeit war für Marx sicherlich… | |
> Sozialismus-Forscher Till Schelz-Brandenburg stellt in einem Vortrag für | |
> den Verein zur Förderung des Müßiggangs Karl Marx’Sehnsucht nach einem | |
> Jenseits der Arbeit dar | |
Interview Benno Schirrmeister | |
taz: Herr Schelz-Brandenburg, bei Ihrem Vortrag über Marx und Müßiggang, da | |
sind Sie schnell mit durch, oder? | |
Till Schelz-Brandenburg: Also erst einmal ist das Thema komplizierter. Der | |
Vortrag beschäftigt sich ja mit der Haltung von Marx und dem Marxismus zu | |
Müßiggang, und das sind schon mal zwei sehr unterschiedliche Sachen. | |
Andererseits weiß ich nicht, [1][was Sie denken], was Marx über Müßiggang | |
und Arbeit geschrieben hat. | |
taz: Das Wort „Müßiggang“ selbst hat er jedenfalls nach meinem Wissen nic… | |
sonderlich oft, und wenn, dann doch eher polemisch genutzt, so im Range | |
einer [2][rousseauistischen] Wunschvorstellung … | |
Schelz-Brandenburg: Was das Wort betrifft, das mag sein. Aber als Konzept | |
hat Müßiggang entscheidende Bedeutung für seine Theorie der Arbeit. Im | |
dritten Band des Kapitals gibt es eine markante Stelle. Da heißt es | |
sinngemäß – ich habe das Buch jetzt nicht vor mir liegen –, dass das wahre | |
Reich der Freiheit [3][erst jenseits der Arbeit beginnt]. | |
taz: Also ist ihre Überwindung ein Ziel? | |
Schelz-Brandenburg: In dem besagten Abschnitt heißt es auch, die | |
Zehn-Stunden-Bill, also dieses erste Gesetz zur Arbeitszeitbegrenzung, sei | |
der erste Schritt dorthin. Also, das ist jedenfalls was anderes, als den | |
Wunsch nach Müßiggang abzukanzeln als naive Vorstellung von Rousseau. | |
taz: Aber steht das nicht im Widerspruch zur Vorstellung von Arbeit als der | |
„ewigen Naturbedingung menschlicher Existenz“, die Georg Lukács so wichtig | |
war? [4][Die findet sich doch auch im Kapital.].. | |
Schelz-Brandenburg: Ja, das ist richtig. Dabei geht es aber um die | |
materielle Existenz des Menschen: Vielleicht leben wir in 50 Jahren in | |
einer Roboterwelt. Aber so eine Gesellschaft ohne Arbeit war für Marx | |
sicherlich nicht vorstellbar. Aber bei ihm beginnt, dialektisch gewendet, | |
die wahre Freiheit, das wirkliche Humanum, in dem der Mensch zu sich selbst | |
kommen kann, erst jenseits der Arbeit. Und zwar ganz egal, ob damit die | |
Arbeit im Kapitalismus oder die im Sozialismus gemeint ist. Das ist eben | |
ganz anders als bei Lenin, Stalin und ihren Epigonen, die immer behauptet | |
haben, im Sozialismus, also in der Sowjetunion oder in der DDR, wäre | |
Arbeit halt etwas ganz anderes. Nein, sagt Marx, auch das ist eben noch | |
Unfreiheit. | |
taz: Dann würde also doch die Vorstellung von der Aufhebung der Arbeit aus | |
den Frühschriften im Spätwerk einfach fortbestehen? | |
Schelz-Brandenburg: Bei Marx bleibt eigentlich nie ein Gedanke, den er 1847 | |
mal geäußert hat, 20 Jahre unverändert bestehen: Er verstand sich durchaus | |
als jemand, der permanent lernt und permanent seine Synthesen wieder | |
infrage stellte. Und [5][sein Werk ist durch diese grundsätzliche Offenheit | |
gekennzeichnet]. Deswegen sind Marx und das, was wir als Marxismus kennen, | |
quasi Gegensätze, davon bin ich mittlerweile überzeugt. Das beginnt ja | |
schon gleich nach Marx’Tod, als Karl Kautsky 1887 seinen größten Bucherfolg | |
mit der Schrift „Karl Marx’ökonomische Lehren“ landet. | |
taz: Das Wort „Lehren“ ist das Problem? | |
Schelz-Brandenburg: Damit beginnt etwas, was dann im Marxismus-Leninismus | |
seinen Höhepunkt findet und die Marx’sche Theorie in einen feststehenden | |
Katechismus ummünzt, der mit Karl Marx und seinem Werk nicht viel zu tun | |
hatte. | |
taz: Hätte er dann in der Frage des Müßiggangs doch eher mit der Theorie | |
seines Schwiegersohns Paul Lafargue sympathisiert als mit der marxistischen | |
Orthodoxie? | |
Schelz-Brandenburg: Sie meinen Lafargues Schrift „Das Recht auf Faulheit“? | |
Wahrscheinlich schon. Wobei Friedrich Engels seinerzeit etwas zwiespältig | |
auf diese Broschüre reagiert hat. Und man sollte nie vergessen, dass der | |
sozialistische Schriftsteller Lafargue die Satire liebte. | |
21 Aug 2025 | |
## LINKS | |
[1] /!6101920&SuchRahmen=Print | |
[2] https://www.marxists.org/deutsch/archiv/marx-engels/1875/kritik/randglos.htm | |
[3] https://www.deutschestextarchiv.de/book/view/marx_kapital0302_1894/?hl=wahr… | |
[4] https://www.deutschestextarchiv.de/book/view/marx_kapital01_1867/?hl=Naturb… | |
[5] /!6102610&SuchRahmen=Print | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |