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# taz.de -- Grobkörnig demokratisiert
> Das „Grainy Days 16mm Festival“ in Hamburg feiert das besondere
> Filmformat. Das prägte seit 1923 die Filmkultur von Avantgarde bis
> Dokumentarfilm, weil es erschwinglich und beweglicher war
Bild: 15 Minuten lang berühmt: Für seine „Screen Tests“ filmte Andy Warho…
Von Wilfried Hippen
Das Bild ist körnig und die Schärfe muss manchmal während der Projektion
nachgestellt werden. Der Ton rauscht oft ein wenig und kommt von kleinen
Lautsprechern. Die Leinwand ist entweder so groß wie ein Bettlaken oder das
Filmbild wird einfach auf eine weiße Wand geworfen. Der Projektor wurde
irgendwo im Raum aufgebaut und im Hintergrund hört man leise seine
Laufgeräusche.
So wurden einst Filme im 16-mm-Format gesehen. Diese Kinoerfahrungen aus
Klassenzimmern, Filmclubs, Gemeindesälen und Hobbykellern prägten viele,
die mit dem analogen Kino aufwuchsen. Dabei hatte das 16-mm-Format keine
Aura wie der Super 8-Film, der auf vielen Festivals und in großen
Spielfilmen wie „Super 8“ gefeiert wird. 16mm ist kein Mythos, sondern auf
den ersten Blick nicht viel mehr als eine Industrienorm. Und so wird erst
jetzt mit dem „Grainy Days 16mm Festival“ von Donnerstag bis Sonntag im
Hamburger Metropolis-Kino das erste Filmfestival zu diesem Format in
Deutschland überhaupt veranstaltet.
Dessen Programm macht deutlich, wie einschneidend das Format seit seiner
Einführung im Jahr 1923 die Film- und Kinokultur beeinflusst hat. Filme
wurden dank der Verkleinerung der Filmstreifen von 35mm auf 16mm billiger
und dadurch demokratischer – sowohl bei der Herstellung als auch in der
Verbreitung, also bei den Kameras und den Projektoren. Das Filmemachen war
nicht mehr das Monopol von Studios, die sich als einzige die großen Kameras
und das teure Filmmaterial leisten konnten. Filmkopien konnten billiger
hergestellt und überall dort gezeigt werden, wo es Platz für die viel
kleineren Projektoren gab.
So entstanden viele Nischen, in denen eine neue, vielfältige und wilde
Filmkultur sprießen konnte. „Nische“ ist dann auch eines der Lieblingsworte
des Kuratoren des Festivals Thorsten Wagner, der selber eine große Sammlung
von 16mm-Filmen hat. In solchen Nischen konnten etwa die Avantgardefilme
von Kenneth Anger, Jonas Mekas und Andy Warhol entstehen.
Nicht so bekannt wie diese Künstlerikonen der 1960er ist Maya Deren, die
in den 1940er und 1950er Jahren mit ihren 16mm-Filmen die Avantgarde vor
dieser Avantgarde war. Wagner würdigt sie mit einer Werkschau mit dem
schönen Titel „for what Hollywood spends on lipstick“ (25. 7., 17 Uhr).
Ein anderer Filmkünstler, der dank 16mm in Hollywood seine Filme
kompromisslos nach seinen eigenen Visionen inszenieren konnte, war John
Cassavetes. Von ihm hat Wagner „Faces“ von 1968 ins Programm genommen (26.
7. 20.45 Uhr), bei dem übrigens Steven Spielberg als unbezahlter
Laufbursche mitarbeitete. Der Klassiker des amerikanischen
Independent-Films wird in Kinos wie dem Metropolis immer mal wieder in
verschiedenen Kontexten gezeigt. Doch diesmal wird eben eine 16mm-Kopie von
ihm projiziert. Das Bild wird also nicht so scharf, der Ton nicht so
brillant und das Filmmaterial nicht so unverbraucht sein wie bei den
sorgfältig restaurierten Digitalfassungen, an die man sich bei den
Vorführungen von alten Filmen inzwischen gewöhnt hat.
Auch der Dokumentarfilm, wie wir ihn heute kennen, wurde erst durch die
16mm-Kameras möglich, denn nur mit ihnen konnten die Kameraleute nach
draußen gehen, um dort beweglich und spontan die Wirklichkeit in ihren
Bildern einzufangen. Für das Kurzfilmprogramm „Die Star Maschine“ (24. 7.,
21 Uhr) hat Wagner drei dokumentarische Filme über Pop-Stars aus den
1960er- und 1970er-Jahren ausgewählt. Darunter „Das Tor zum Garten der
Träume“, für den Rolf Schübel mit der Kamera zwei junge Mädchen aus
Oberhausen bei einem Tag mit ihrem Idol, dem Schlagersänger Bernd Clüver,
begleitet hat.
Für den Einsatz in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen wurden in der
Nachkriegszeit fleißig 16mm-Lehrfilme über Gott und die Welt produziert,
die dann in den Landesbildstellen ausgeliehen werden konnten. Besonders
obskur und unfreiwillig komisch wirken davon heute die Kurzfilme in dem
Programm „Totgekifft“ (26. 7. 16 Uhr), in denen der Drogenmissbrauch zum
Teil mit reißerischen Mitteln verteufelt wurde.
Aufgeklärt wurde auf 16mm auch über Sexualität, und der ironisch
verschrobene Titel des entsprechenden Kurzfilmprogramms (25. 7. 19.30 Uhr)
„In Utero: Vorstellungen von Weiblichkeit zwischen Biologie und
Gesellschaft“ lässt schon erahnen, dass hier auch eine Leerstelle im
Programm des Festivals kaschiert werden soll: Denn ein wichtiger Teil der
Geschichte des 16mm-Films war die Pornografie. Das Unterhaltungsmedium, mit
dem die sogenannte „adult film industry“ ihre größten Profite machte, war…
vor der VHS-Ära die 16mm-Filmrollen.
Obwohl heute fast alle Filme digital gedreht werden, gibt es in einer
Nische der Filmkunst noch Raum für analoge Produktionen auf
16mm-Filmmaterial. Ein Beispiel dafür ist der US-amerikanische
Arthouse-Film „Classical Period“ (27. 7. 16.30 Uhr) von Ted Fendt aus dem
Jahr 2018.
Auf einer anderen Ebene ist 16mm jedoch ein sterbendes Medium: Die
Filmkopien halten nicht ewig und in den Archiven fallen sie dem
„Essigsyndrom“ zum Opfer. Und so wird bei der Abschlussveranstaltung des
Festivals mit dem Titel „Sweet 16 Going, going, gone – über die
Vergänglichkeit des Materials“ (27. 7., 19 Uhr) ein Film zu Grabe getragen:
Die 16mm-Kopie des Hollywood-Musicalfilms „Dames“ von 1934 der Kinemathek
Hamburg ist inzwischen so zersetzt, dass sie kaum noch vorzuführen ist.
Aber wenn sie jetzt zum letzten Mal projiziert wird, gilt dabei die alte
dramaturgische Regel „je schlimmer desto besser“.
23 Jul 2025
## AUTOREN
Wilfried Hippen
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