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# taz.de -- Arm sein verboten?
> In Hamburg zahlt die S-Bahn lieber ein Bußgeld zurück, als ein Urteil
> über ihr Bettelverbot zu kassieren. Denn das hätte deutschlandweit
> Auswirkungen
Von Amira Klute
Ein Bettelverbot verhindert nicht, dass Menschen in der Bahn nach Kleingeld
fragen. Sie tun es nur zu einem höheren Preis – in Hamburg derzeit 40 Euro.
Diese Vertragsstrafe steht auf Verstoß gegen ein „Bettel- und
Musizierverbot“, das seit Kurzem in S- und U-Bahnen des Hamburger
Verkehrsverbunds (HVV) durchgesetzt wird. Seit Mai 2024 weisen Durchsagen
im Stundentakt auf die Regel hin, Kontrolleur*innen stellen Strafzettel
aus, wie beim Fahren ohne Fahrschein. Weil sich zunehmend Fahrgäste
beschwert hätten, sagt der HVV.
In dessen Allgemeinen Beförderungsbedingungen steht das Verbot sogar schon
seit 2004, wurde aber lange kaum umgesetzt. Zum HVV gehören unter anderem
die S-Bahn Hamburg, eine Tochter der Deutschen Bahn, sowie die Hamburger
Hochbahn, die U-Bahn und einen Teil der Busse betreibt. Zusammen verhängten
sie im vergangenen Jahr rund 3.000-mal Bußgeld. Auch wenn nicht alle auch
eingetrieben werden, mussten Betroffene über 50.000 Euro zahlen. Wer das
nicht kann, dem droht ein Inkassoverfahren.
Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) bezweifelt, dass die Regel
rechtens ist. Mit zwei Betroffenen [1][und dem Straßenmagazin Hinz&Kunzt]
hat sie im März gegen das Verbot geklagt. In einem Fall hat die S-Bahn dem
betroffenen Kläger die Geldstrafe zurückgezahlt. Eine zweite Klage, gegen
die Hochbahn, ist aber noch anhängig.
Ein Urteil hätte Auswirkungen über Hamburg hinaus: Verkehrsbetriebe in
Berlin, München und Bremen haben ähnliche Regeln erlassen, setzen sie aber
unterschiedlich rigoros um. Ein Urteil könnte auch eine Frage klären, die
Gerichte bisher nicht beantwortet haben: Gibt es ein Recht, zu betteln?
Mareile Dedekind von der GFF ist überzeugt, dass das Hamburger Bettelverbot
zu sehr in die Grundrechte armer Menschen eingreift: Es verletze ihr
Persönlichkeitsrecht und ihre Meinungsfreiheit – Rechte, die auch
Verkehrsbetriebe in ihrer Hausordnung achten müssten. „Jeder Mensch hat das
Recht, in der Not nach Hilfe zu fragen“, sagt die Juristin. Dass Menschen
die Konfrontation mit sichtbarer Armut möglicherweise unangenehm ist,
rechtfertige das Verbot nicht.
Die GFF möchte, dass das Gericht eine bisher fehlende Grundsatzentscheidung
zum Betteln trifft, auf die sich andere Jurist*innen dann beziehen
können. Dafür wollen sich ihre Anwält*innen, wenn es sein muss, durch
alle Instanzen klagen.
In Deutschland ist Betteln seit 1974 nicht mehr verboten. Dass Kommunen es
nicht pauschal wieder untersagen dürfen, haben mehrfach die Gerichte
entschieden, etwa 2023 für Krefeld. Städte verbieten deshalb bestimmte
Formen: „aufdringliches“ und „aggressives“ Betteln in Bremen, „banden…
organisiertes“ im rheinland-pfälzischen Speyer.
Die Idee einer organisierten „Bettelmafia“ kritisieren nicht nur
Jurist*innen. Sie sei eng verknüpft mit Rassismus gegen Sinti und Roma
und der antiziganistischen Vorstellung „reisender Täter*innen“, sagt etwa
der Soziologe Roman Thurn, der zu Verdrängung von armen Menschen forscht.
Dass über das Bettelverbot im Hamburger Verkehrsverbund ein Gericht
entscheidet, hat die S-Bahn Hamburg mit ihrer Zahlung an den Kläger vorerst
verhindert. Ob es im zweiten Fall zum Verfahren kommt, wird sich im August
zeigen. In der Zwischenzeit regt sich Widerstand außerhalb der Gerichte:
Eine [2][Onlinepetition für ein Ende des Bettelverbots] unterschrieben
fast 13.000 Menschen. In einem Bündnis, das im Juni zum zweiten Mal zur
Kundgebung gegen das Verbot aufrief, sind auch solidarische Fahrgäste
organisiert.
Eine von ihnen ist Maria Bent von der „Lobbygruppe gegen Verdrängung und
Diskriminierung“. Die Verbotsdurchsagen in der Bahn hätten sie schockiert,
sagt sie. „Wir müssen Menschen auffangen, die das System gebeutelt hat, und
sie nicht weiter ausgrenzen.“ Bent gründete eine Telegram-Gruppe, in der
Menschen zusammenkamen, die es ähnlich sehen. Mit Leuten, die das
Bettelverbot gut finden, würde sie gern reden. „Ich will niemanden
verurteilen“, sagt Bent, „nur aufklären.“
2 Aug 2025
## LINKS
[1] https://www.hinzundkunzt.de/die-androhung-von-strafen-erzeugt-druck/
[2] https://www.change.org/p/stoppt-das-vorgehen-des-hvv-gegen-bettelnde-mensch…
## AUTOREN
Amira Klute
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