| # taz.de -- orte des wissens: 3.000 Jahre Aufgeschriebenes | |
| > Von Tontafeln bis zu fragwürdiger Tinte: zu Besuch im Hamburger „Centre | |
| > for the Study of Manuscript“ | |
| Man hätte auch etwas abschneiden können, unten oder an der Seite, da wo | |
| keine Kalligrafie ist. Hätte den Streifen chemisch analysieren können, um | |
| so herauszufinden, ob das Manuskript tatsächlich wie behauptet um die 1.000 | |
| Jahre alt ist. Doch diese Möglichkeit scheidet grundsätzlich aus: „Wir | |
| arbeiten nicht destruktiv“, sagt Konrad Hirschler, Experte für arabische | |
| Manuskripte und seit 2022 Direktor des „Centre for the Study of Manuscript | |
| (CSMC)“ der Uni Hamburg: „Wir schneiden und lösen nichts ab, wir brechen | |
| nichts auf.“ | |
| 2011 gegründet, wurde das CSMC zunächst durch den Sonderforschungsbereich | |
| der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert. Seit 2019 gehört es | |
| zum Exzellenzcluster; gesichert ist die umfangreiche Förderung bis 2032. | |
| Gut 40 Disziplinen aus den Feldern der Geistes- und Naturwissenschaften | |
| sowie der Computerwissenschaften arbeiten und wirken eng zusammen; mit an | |
| Bord ist auch das Forschungszentrum Desy. | |
| „Wir schauen uns die Geschichte der Schriftlichkeit vom Objekt her an und | |
| beginnen mit dem Schriftartefakt: dem Papyrus, dem Pergament, der | |
| Tontafel“, so Hirschler. Es geht also vornehmlich nicht um den Text, um die | |
| in ihm enthaltenen Informationen und Ideen, sondern um das, was das | |
| Material zu erzählen hat, wenn man es befragt. Es geht um Fragen der | |
| Datierung und immer wieder auch um Authentifizierung, wobei – ganz wichtig | |
| – das Institut nicht im Auftrag von Auktionshäusern oder privaten Sammlern | |
| tätig wird. | |
| Im vorliegenden Falle hatte eine öffentliche Bibliothek in Saudi-Arabien | |
| oben erwähntes Manuskript erworben, doch bald waren ihr Zweifel an der | |
| Datierung gekommen. Experten des CSMC nahmen sich besonders die Zeile vor, | |
| in der der Autor, sein Ort und der Zeitpunkt der Niederschrift benannt | |
| werden: „Es stellte sich bei der Tintenanalyse mit Blick in unsere | |
| Tintendatenbank heraus, dass für die Schrift dieser speziellen Zeile eine | |
| industrielle Tinte benutzt worden war, die frühestens ab 1950 hergestellt | |
| wurde“, erzählt Hirschler. Er lächelt: „Interessanterweise ist es eine | |
| Tinte, die oft zum Fälschen von Geldscheinen verwendet wird.“ | |
| Ein zweites Beispiel, das die Arbeitsweise des CSMC veranschaulicht: die | |
| Untersuchung von Keilschrift-Tafeln aus dem alten Babylonien, wie sie in | |
| Museen lagern. „Die meisten Keilschrift-Tafeln wurden als Briefe in | |
| Umschlägen aus Ton verschickt, und viele wurden nie geöffnet; wir wissen | |
| also nicht, was drinnen ist.“ Kommt man vor Ort etwa mit dem mobilen | |
| CT-Scanner, den man zusammen mit dem Desy entwickelt hat, nicht weiter, | |
| heißt es, stattdessen auf neue bildgebende Verfahren zu warten oder sie zu | |
| entwickeln – und nicht die Umschläge aufzubrechen. „Wir holen überhaupt d… | |
| Artefakte nie nach Hamburg, weil das nicht gut für sie ist. Wir reisen zu | |
| ihnen“, sagt Hirschler. | |
| Noch etwas ist wichtig: „Unser Forschungsbereich ist stark kolonial | |
| geprägt, arbeiten wir doch meist zu nicht europäischen Regionen.“ Und da | |
| seien viele Sammlungen wie Bestände unter mindestens zweifelhaften | |
| Umständen zustande gekommen. Das wird nicht nur zur Kenntnis genommen, | |
| sondern gegebenenfalls wird nicht mit ihnen gearbeitet. Dabei ist man so | |
| konsequent, dass auch aus Büchern oder Artikeln, die sich auf die | |
| Untersuchung von Artefakten beziehen, deren Provenienz unklar ist, nicht | |
| mehr zitiert wird. | |
| Hirschler weist auf die Regalwand mit den Forschungsberichten des | |
| Instituts: „Wir ermuntern unsere Studierenden, durchaus auf die | |
| traditionelle Buchproduktion zu setzen und sich nicht nur auf Datensätze zu | |
| verlassen.“ Schließlich wisse man, in wessen Haus man hier ist: „Wir haben | |
| als Menschheit mit den materiellen Artefakten 3.000 Jahre lang ein super | |
| Ding aufgebaut.“ Er jedenfalls wolle kein Historiker sein, der „in 1.000 | |
| Jahren zum frühen 21. Jahrhundert arbeitet“. Wo wird man dann etwa die | |
| Metadaten zu diesem Artikel hier finden können? Frank Keil | |
| 15 Sep 2025 | |
| ## AUTOREN | |
| Frank Keil | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA |