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# taz.de -- Rassismus im Mietshaus: Wenn der Nachbar rechtsextrem ist
> Ein Mann bekommt seit Jahren rassistische Hassbotschaften in den
> Briefkasten gesteckt. Polizei und Vermieter sind machtlos – oder
> gleichgültig?
Bild: Die erste von vielen Hassbotschaften, die H. erhalten hat (Ausschnitt)
Berlin taz | Stellen Sie sich vor, Sie finden regelmäßig Hassbotschaften in
Ihrem Briefkasten oder an Ihre Wohnungstür geklebt. Zettel, die Sie
auffordern, das Land zu verlassen, die Sie als „illegalen Ausländer“ oder
„Kanaken“ beleidigen. Zettel, die oft mit „AfD“ unterschrieben sind oder
illustriert mit Galgen, Hakenkreuzen oder Hitler-Zitaten.
Was tun Sie, wenn Sie sich zwar sicher sind, dass ein bestimmter Nachbar
dahintersteckt – das aber nicht beweisen können? Wenn der Vermieter über
Jahre untätig bleibt, die Polizei Ihre Anzeigen immer wieder einstellt?
Habib H. hat all dies erlebt. Im Frühjahr 2019 zog der heute 48-Jährige,
dessen Nachname zu seinem Schutz nicht genannt werden soll, in ein
10-Parteien-Haus in Zehlendorf. Wenige Wochen später fing es an: Seither
findet er alle zwei bis drei Monate rassistische Botschaften, auf denen zum
Beispiel steht: „Du mohamedanisches Kanacken-Schwein, hau ab aus
Deutschland!“.
Mindestens 20 Hassschriften hat H. im Laufe der Jahre bekommen, die letzte
am 18. Juni. Mindestens 15 Anzeigen hat er erstattet – erfolglos.
## Ungeniert ausgefragt
Dabei weiß er, wie er sagt, wer der Urheber ist. Wenige Tage nach seinem
Einzug, erzählt H. der taz, habe der Flurnachbar geklingelt, ein älterer
Herr. Er habe ein Ölfläschen in der Hand gehalten und behauptet, H.s Tür
würde quietschen. Er habe den Mann eingelassen, so H., um zu zeigen, dass
bei ihm nichts quietscht.
Dabei habe der Nachbar ihn ungeniert ausgefragt – und vor allem wissen
wollen, woher er komme. „Aus Algerien“, habe er geantwortet. Eine Woche
später habe er den ersten Zettel bekommen. Unter der bereits zitierten
Botschaft ist ein Galgen gezeichnet, an dem ein Halbmond hängt. All dies in
den Farben der algerischen Flagge: rot, grün, weiß.
Für H. ist der Fall damit klar. „Niemand sonst im Haus weiß, woher ich
komme“, sagt er. Die Botschaften müssten aus dem Haus kommen, die Haustür
sei immer geschlossen und seine Wohnung liege im 2. Stock am Ende des
Gangs. „Und mit den anderen Mietern verstehe ich mich gut“, sagt H.
Zur Rede gestellt hat H. den Nachbarn nie, er habe Angst vor ihm, sagt er.
„Er könnte verrückt sein. Und bei all dem Hass gegen Migranten, von dem man
immer liest, kann man nie wissen, was solche Leute vielleicht machen.“ Seit
[1][im vorigen Sommer im Nebenhaus ein Mann mit Waffe durchdrehte] (und von
der Polizei erschossen wurde), hat H. noch mehr Angst. Er kann schlecht
schlafen, jedes Mal, wenn er seine Wohnung verlässt, hat er Angst, neue
Zettel zu finden oder auf den „Nazi-Nachbarn“ zu treffen.
## Nur „Unbekannt-Verfahren“
Die Polizei konnte er von seinem Verdacht nicht überzeugen. Es brauche
Tatsachen, um gegen eine Person als beschuldigte zu ermitteln, erklärt
Sebastian Büchner, Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Berlin. Der Fall
werde daher als „Unbekannt-Verfahren“ geführt, der einzig denkbare
Ermittlungsansatz seien mögliche Spuren auf den Botschaften.
Tatsächlich wurde im Herbst 2024 – fünf Jahre nach der ersten Strafanzeige
– eine Spurenanalyse an der damals neuesten Hassbotschaft beauftragt. Diese
Analyse ist bis heute nicht abgeschlossen – so etwas dauere wegen der
„eingeschränkten“ Personalressourcen bei der Kriminaltechnik mindestens
Monate, „wahrscheinlich mehr als ein Jahr“, so Büchner. Dennoch wurde im
März dieses Jahres das Verfahren erneut eingestellt – aus
statistisch-internen Gründen und wegen der geringen Erfolgsaussichten. Man
könne es aber jederzeit wieder aufnehmen, so Büchner, wenn die
Spurenanalyse etwas ergebe.
Wenig Unterstützung bekam H. auch vom Vermieter, der landeseigenen Gewobag.
Zwar versicherte die Hausverwaltung H. im Juli 2020 in einer E-Mail, die
der taz vorliegt, dass sie keinen Rassismus im Haus dulde und er die Fälle
dokumentieren solle. „Aber gemacht haben sie nichts“, sagt H.
Sebastian Schmidt, Sprecher der Gewobag, erwidert auf taz-Anfrage, man habe
„umgehend reagiert“ – aber wie, schreibt er nicht. Auch habe man H.
„zusätzlich ein persönliches Gespräch mit einer Mediatorin vorgeschlagen�…
Abgesehen davon, dass H. dies abstreitet, ist unklar, was eine Mediation
bezwecken sollte: Dass H. sich mit dem mutmaßlichen Nazi-Nachbarn
ausspricht? Ansonsten gibt Schmidt zu, dass der Gewobag die Dimension des
Problems anfangs unklar gewesen sei und sie H. daher „zunächst auf eine
privatrechtliche Handhabe verwiesen haben“.
## Angeschwärzt beim Vermieter
Das geschah, nachdem H. am 17. Juli 2023 eine Abmahnung von seinem
Vermieter bekam: Die Gewobag habe „Kenntnis erhalten“, dass H. seine
Wohnung untervermiete; er solle sich erklären, andernfalls werde man auf
Unterlassung klagen, heißt es in dem Schreiben, das der taz ebenfalls
vorliegt. H. ist sicher, dass ihn der „Nazi-Nachbar“ angeschwärzt hat.
Doch die Gewobag wollte ihm den Namen aus Datenschutzgründen nicht geben –
auch nicht, als er darauf hinwies, dass der Urheber derselbe sein könnte
wie bei den Hassbotschaften. Das Service-Center der Gewobag schrieb H. am
27. Juli: Wenn er „private Probleme mit Mietern im Haus habe, bitten wir
Sie, dies auch privatrechtlich zu klären“.
Als dann die Polizei im vorigen Jahr dieser Spur nachgehen wollte, war es
zu spät. In einem Brief der Staatsanwaltschaft an H. heißt es, die
Hausverwaltung habe erklärt, dass die Meldung von H.s angeblich illegaler
Wohnungsnutzung „wohl damals falsch erfasst wurde, man nicht mehr über das
besagte Schreiben verfüge“.
Nach fast sechs Jahren mit Hassbotschaften und ohne Hilfe hatte H. im
Januar genug und ging zur Fachstelle gegen Diskriminierung auf dem
Wohnungsmarkt „Fairwohnen“. Remzi Uyguner von der Fachstelle kennt ähnliche
Geschichten. „Wir erleben es nicht selten, dass Ratsuchende über
rechtsextreme Nachbarn klagen oder von rassistisch aufgeladenen
Nachbarschaftsstreitigkeiten berichten.“
## „Schlicht rassistische Hetze“
In 2025 hatte die Fachstelle bisher 120 Beratungsanfragen, davon 35
Nachbarschaftskonflikte betreffend, davon 25 rassistisch aufgeladen. Das
Besondere an diesem Fall ist für Uyguner zum einen, dass es keinen Anlass
für die Hassbotschaften zu geben scheint, etwa einen vorausgegangenen
Streit über Lärm. „Dies hier ist schlicht rassistische Hetze“, sagt er.
Relativ neu sei auch, dass die Beschimpfungen mit der Aufforderung zur
„Remigration“ verbunden sind und oft mit „AfD“ gekennzeichnet. „Das z…
auf beunruhigende Weise, wie tief die Debatten und Begriffe der letzten
Zeit die Menschen beeinflusst haben“, so Uyguner.
Mitte Januar schrieb die Fachstelle einen Brief an die Gewobag: Der
Vermieter müsse etwas unternehmen. Das Unternehmen reagierte tatsächlich:
In H.s Haus wurde kurz darauf eine „Mieterinformation“ aufgehängt, die die
„Vorfälle“ beim Namen nennt und betont, „dass wir als Unternehmen solches
Verhalten in keiner Weise dulden“. Man behalte sich vor, „mit Abmahnungen
sowie Strafanzeigen gegen derartige Handlungen vorzugehen“. Der Aushang
endet „Mit freundlichen Grüßen“, aber ohne Absender.
Uyguner erkennt diese Aktion durchaus an. „Immerhin hat die Gewobag diesen
Aushang gemacht – das ist mehr, als andere Vermieter bei rassistischen
Nachbarschaftsvorfällen tun.“ Allerdings war der Aushang laut H. nach
wenigen Tagen verschwunden. Darauf angesprochen, erklärt Schmidt, der
Gewobag-Sprecher, der Hauswart habe den Aushang erneut aufgehängt. H.
verneint dies. „Ich gucke jeden Tag auf das Brett im Erdgeschoss, der
Zettel hing dort nie mehr.“
## Am liebsten ausziehen
Was könnte ein Vermieter noch tun, wenn er, wie Schmidt beteuert, den
„geschilderten Fall sehr ernst nimmt“? Er könnte, sagt Uyguner, „eine
Mieterversammlung einberufen und dort deutlich sagen, dass man Rassismus im
Haus nicht duldet“. Auch die Polizei, findet er, könnte einen Aushang
machen, in dem sie um Hinweise zu den Hasszetteln bittet. Schließlich werde
auf Einbrüche in der Nachbarschaft auch mit Aushängen reagiert.
Doch H. glaubt nicht mehr an Hilfe, er will nur noch wegziehen. Uyguner
findet das eigentlich nicht richtig, schließlich bekämen „Nazi-Nachbarn“ …
am Ende doch ihren Willen. In diesem Fall erwarte er aber „konkrete
Wohnungsangebote“, wenn man dem Nachbarn schon nicht beikommen könne.
Tatsächlich hat die Gewobag vor wenigen Tagen bei H. angerufen. „Meine
Suche hat jetzt oberste Priorität, sagen sie.“
21 Jul 2025
## LINKS
[1] https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2024/08/berlin-wannsee-zehlendorf-pol…
## AUTOREN
Susanne Memarnia
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Diskriminierung
Diskriminierung
Berlin-Hellersdorf
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