# taz.de -- Vom Verdauen der Geschichte | |
> Was wird aus dem Foto, was aus seiner Beweiskraft, wenn alles täuschend | |
> echt, aber falsch sein kann? Die Preisträger:innen des 14. | |
> Wüstenrot-Förderpreises für Dokumentarfotografie kommen zu | |
> unterschiedlichen Antworten auf solche Fragen – zu sehen derzeit in | |
> Braunschweig | |
Bild: So war er, der Sozialismus: „o. T.“, Detail aus der Sektion „Die Bl… | |
Von Bettina Maria Brosowsky | |
Wenig scheint noch derart so verlässlich: Alle zwei Jahre präsentiert das | |
Museum für Photographie in Braunschweig die vier jeweiligen | |
Preisträger:innen des Förderpreises Dokumentarfotografie der Wüstenrot | |
Stiftung. Mit dieser Auszeichnung, 1994 in Kooperation mit der | |
fotografischen Sammlung im Folkwang Museum Essen ins Leben gerufen, will | |
die gemeinnützige Stiftung aus Baden-Württemberg solche Absolvent:innen | |
fördern, die sich dem langen Atem komplexer Bildgeschichten aus der | |
Lebenswirklichkeit verpflichtet fühlen. | |
Bislang kamen 56 Fotograf:innen von 20 Hochschulen und Akademien in | |
diesen Genuss. Darunter sind 17 von der Hochschule für Grafik und Buchkunst | |
HGB in Leipzig – mit Abstand am häufigste prämierte Institution. Nominiert | |
werden die Teilnehmenden durch die Hochschulen, die Förderung umfasst ein | |
Preisgeld und ein Produktionsbudget für eine Arbeit; die kann sich aus | |
vorherigen Themen ergeben. Nach zwei Jahren geht alles auf | |
Ausstellungstournee, ein kostenloser Katalog erscheint. Nun ist der 14. | |
Jahrgang zu sehen, der 2023 ermittelt wurde; parallel gehen jetzt die | |
Preisträger:innen der 15. Auslobung mit ihren Projekten an den Start. | |
Zwei Faktoren haben die Fotografie wie auch das Bewegtbild zuletzt | |
grundlegend verändert. Zum einen die Digitalisierung sowohl des | |
Aufnahmeverfahrens und der Nachbearbeitung als auch der Distribution von | |
Bildergebnissen, beschleunigt durch die Beschränkung im öffentlichen Leben | |
und Raum durch Corona. Andererseits der verstärkte Einsatz künstlicher | |
Intelligenz als bildgeneratives Verfahren. Beides unterminiert das | |
Vertrauen ins fotografische Bild: ist es noch authentisch, ist die | |
dargestellte Situation wahr und kein Deepfake? Interessant: Wie verhalten | |
sich junge Fotograf:innen zu solchen nicht zuletzt ethischen Fragen? Im | |
Katalog wird das „Dokument als Problem“ ausgemacht, die vier Ausstellenden, | |
alle um 1990 geboren, fanden unterschiedliche Antworten. | |
Klassisch bildjournalistisch arbeitet Jana Bauch. Die Absolventin der | |
Hochschule Düsseldorf begleitete Klimaaktivist:innen in Lützerath, | |
mittlerweile dem Braunkohletagebau zum Opfer gefallen. Deren Kommentare, | |
auch zu ihrer Bildstrategie, ließ sie auf die Abzüge schreiben. Ramona | |
Schacht, HGB Leipzig, aus Gifhorn stammend, hatte bereits 2022 in der | |
Städtischen Galerie Wolfsburg auf ihr Archivmaterial aus Textilkombinaten | |
im sowjetischen Kyjiw vertraut, ihre installative Dia-Maschine zeigte | |
damals zehn quadratmetergroße Siebdrucke. Ihre neuerlichen | |
Siebdruckextrakte zeigen nun Arbeiterinnen, alle im gleichen Kittel, die | |
wenig begeistert einer täglichen Indoktrination applaudieren. Begrüßung | |
einer sowjetischen Delegation, Blumengaben bei Plansoll-Übererfüllung, | |
Belehrungen im umgekehrten Falle: So ging es einst in der Spinnerei Leipzig | |
zu, heute das lokale Galerie- und Atelierzentrum. Ihre Recherche ergänzt | |
Schacht um ein Tableau aus bunten Dederon-Stoffen; die DDR-eigene | |
Kunstfaser, zu Kittelschürzen konfektioniert, war der Exportschlager | |
Richtung westdeutscher Versandhäuser. | |
Marc Botschen, Absolvent der HFBK Hamburg, griff auf den „Ahnenpass“ seines | |
Urgroßvaters zurück, zerlegte das NS-Dokument in vielen digitalen und | |
reproduktiven Schritten, bis er seine Familiengeschichte physisch wie | |
psychisch „verdaut“ hatte, wie er meint. Dudu Quintanilha von der | |
Städelschule Frankfurt schließlich verfolgt in einer Video-Installation | |
Mitglieder der örtlichen „Unstable Group“, früher Beschwerdechor, die in | |
therapeutischer Absicht und für Performances zusammenkommen. Ihre Themen | |
sind die Individualisierung, nicht unkompliziert im gemeinsamen kulturellen | |
Prozess. Das Heilmittel: anderen zuhören und ihre Texte lesen. Im Video | |
läuft beides nicht unbedingt synchron – eine feine, absurde Medienkritik, | |
ganz im Sinne des „Problems Dokument“. | |
16 Jul 2025 | |
## AUTOREN | |
Bettina Maria Brosowsky | |
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