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# taz.de -- Ermittlungen unerwünscht
> Die Ukraine entmachtet zwei Institutionen zur Korruptionsbekämpfung. Sie
> sollen für Russland gearbeitet haben. Oder will die Regierung Kritik
> unterbinden?
Bild: Protestierende in Lwiw bastelten am Dienstag noch schnell ein paar Plakat…
Aus Odessa Bernhard Clasen
Knapp hundert Menschen, darunter auffallend viele Teenager, stehen am
Dienstag schweigend in der Fußgängerzone von Odessa. Auf schnell selbst
gemalten Plakaten protestieren sie gegen einen Gesetzentwurf, der zwei
ukrainischen Institutionen zur Korruptionsbekämpfung ihre Unabhängigkeit
nehmen soll. Betroffen von dem Gesetz sind das Nationale
Antikorruptionsbüro der Ukraine (Nabu) und die
Sonderantikorruptionsstaatsanwaltschaft (SAP). „Ich will keinen Rückschritt
um 10 Jahre“, steht auf dem Plakat einer Teilnehmerin. Neben ihr fordert
ein Jugendlicher: „Stoppt das Monopol der Macht!“ Eine andere fordert ein
„Nein zu einem Gesetz im Janukowitsch-Stil!“ in Anspielung auf den
Machtmissbrauch des früheren Präsidenten Wiktor Janukowitsch. „Besonders
wütend macht mich“, so ein jugendlicher Teilnehmer der Aktion zur taz,
„dass hier gegen Institutionen vorgegangen wird, weil sie angeblich
Kontakte zu Russland haben.“ Das suggeriere ja, dass die Demonstranten, die
sich für diese Institutionen einsetzen, russlandfreundlich seien.
Aufmerksam liest sich ein Mann die Plakate durch. Doch mitmachen bei der
Aktion will er nicht. „Letztlich sind die Demonstranten Leute, die die
Macht von Selenskyj infrage stellen“, glaubt Sergi, der seinen Nachnamen
nicht nennen möchte. „Die stehen den amerikanischen Demokraten nahe.“
Nicht nur in Odessa, auch landesweit waren Menschen auf die Straße
gegangen, um gegen die geplante Entmachtung der beiden Institutionen zur
Bekämpfung der Korruption zu protestieren. Allein in Kyjiw protestierten
1.500 Menschen. Unter ihnen auch die beiden ehemaligen Box-Weltmeister
Wladimir und Vitali Klitschko, Letzterer ist seit 2014 Bürgermeister von
Kyjiw. Auch in Lwiw mischte sich Bürgermeister Andrij Sadowyj unter die
Protestierenden.
Die betroffenen Institutionen Nabu und SAP waren 2015 auf Druck der
Zivilgesellschaft und internationaler Partner wie der EU und den USA zur
systematischen Bekämpfung der Korruption gegründet worden. Seit Anfang der
Woche ist es mit ihrer Unabhängigkeit vorbei. Landesweit durchsuchte der
ukrainische Geheimdienst am Montag über 70 Wohnungen bei mindestens 15
Mitarbeitern des Nabu und verhaftete den ranghohen Nabu-Ermittler Ruslan
Magamedrasulow. Dieser soll dem Vorwurf zufolge dem russischen Geheimdienst
FSB zugearbeitet haben. Gegen andere Nabu-Mitarbeiter wurden auf einmal
alte Verkehrsunfälle neu aufgerollt. Ein „Maulwurf“ bei der Nabu soll
60-mal Informationen an den FSB weitergegeben haben. Auch gegen den SAP
wird wegen ähnlicher Vorwürfe ermittelt.
Die Proteste zeigten keine Wirkung: Noch am Dienstag passierte das Gesetz
Nummer 12414 das Parlament. Noch am selben Abend unterzeichnete Präsident
Selenskyj das umstrittene Gesetz, das diese beiden Institutionen nun dem
Generalstaatsanwalt unterstellt. Da dieser vom Präsidenten ernannt wird,
sind nun auch Nabu und SAP dem Präsidenten untergeordnet.
In seiner abendlichen Video-Ansprache versuchte Selenskyj Kritik
abzuwiegeln. Er habe sich bereits zu einem Gespräch mit den Chefs von Nabu
und SAP getroffen. Die Institutionen gegen die Korruptionsbekämpfung werden
weiterarbeiten, versicherte er, „aber ohne russischen Einfluss“.
Kritiker sehen in dem Vorgehen den Versuch, Ermittlungen der Institutionen
zur Bekämpfung von Korruption gegen das Umfeld des Präsidenten im Keim zu
ersticken. Nabu und SAP hatten gegen Ex-Minister Olexi Tschernyschow und
Timur Minditsch von Selenskyjs früherer Spaßtruppe „Kwartal 95“ ermittelt…
und damit gegen zwei Personen aus dem engen Umfeld des Präsidenten. Diese
sollen ihn zu bewogen haben, Nabu und SAP zu entmachten, meint der
Abgeordnete Yaroslav Yurchyshyn von der Holos-Fraktion gegenüber der New
Times. Nach der Anklage der Nabu gegen Ex-Minister Oleksij Tschernyschow
soll es zwischen Nabu-Chef Semen Krywonos und einem Vertreter des
Präsidialamts eine „unangenehme Unterredung“ gegeben haben, so die New
Times.
„Die Unterschrift des Präsidenten unter dieses Gesetz untergräbt das
Vertrauen der westlichen Partner und gefährdet die Integration der Ukraine
in die EU“, kritisiert der Kolumnist Sergi Fursa auf dem Portal der New
Times. Es erfreue korrupte Zeitgenossen und lasse im Kreml die Sektkorken
knallen.
Enttäuscht über dieses Gesetz ist auch Mustafa Nayyem. Nayyem war eine
Schlüsselfigur bei den Protesten der Maidan-Bewegung 2014. Nun, so fürchtet
Nayyem, können Hausdurchsuchungen ohne richterlichen Beschluss zur
Normalität werden. Das neue Gesetz sei ein Rückschritt im
EU-Beitrittsprozess. Doch solange junge Menschen wie in diesen Tagen auf
die Straße gehen, solange einige Abgeordnete nicht bereit sind, mit der
Mehrheit zu stimmen, sei noch nicht alles verloren, so Nayyem.
24 Jul 2025
## AUTOREN
Bernhard Clasen
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